Wechselnde Zeugnisse einer auf Wirksamkeit getrimmten Geschichtspolitik: "Eine blassblaue Frauenschrift" (1984).

Foto: Filmarchiv

"Die Katze auf dem Gleis" (1970)

Foto: Filmarchiv

"Radetzkymarsch" (1993)

Foto: Filmarchiv

In der Geschichte der österreichischen Zweiten Republik nehmen die 70er-Jahre eine besondere Stellung ein. Unter der Regierung Kreisky durchlief das Land einen Modernisierungsschub, und auch der Wohlstand nahm zu. Und so könnte man auch den Untertitel von Axel Cortis Film Totstellen aus dem Jahr 1975 auf eine Erfolgsgeschichte hin münzen: Der Sohn eines Landarbeiters wird Bauarbeiter und baut sich ein Haus. Das kleine Glück im Burgenland, von dem hier die Rede ist, stellt sich aber nie ein. Der Versuch des Maurers Franz, für sich und seine Familie ein Leben aufzubauen, scheitert an vielen schwierigen Umständen: an der Borniertheit der Leute im Dorf, an der Ausbeutung in der Stadt, an der strukturellen Überforderung von Franz. Denn die Erwerbsbiografie, die ihm hier allein offensteht, ist im Grunde schon eine, wie sie der Neoliberalismus in diesen Jahren erst allmählich erfindet.

Totstellen beruht auf einem Buch des linken Autors Michael Scharang, und dementsprechend ist Franz eher ein Fallbeispiel als eine vollständig entwickelte Figur. Klaus Rott, der die Hauptrolle spielte, begann im selben Jahr auch als Karli Sackbauer in der Fernsehserie Ein echter Wiener geht nicht unter. Dieser nachmalige Klassiker des österreichischen Fernsehens trifft in Totstellen auf einen düsteren Subtext. Das reiche und international als höchst lebenswert deklarierte Wien von heute bekam 1975 von Axel Corti den burgenländischen Maurer Franz ins Fundament gemauert.

Ein österreichisches Kino gab es damals gerade nur in Rudimenten. Und so ist Totstellen auch ein Film an der Schwelle zwischen Fernsehen und Kino. Das könnte man für sehr viele von Axel Cortis Filmen sagen. Unter dem Titel Das produktive Gewissen zeigt das Filmarchiv Austria über Weihnachten und Neujahr das filmische Werk des vor 25 Jahren verstorbenen Regisseurs, der einer breiten Öffentlichkeit vor allem durch seine Radiostimme bekannt war. Corti war aber eben auch der maßgebliche Filmemacher, der in Österreich die Lücke schloss, die zwischen dem populären Kino der Nachkriegsjahre (im weitesten Sinn: dem Heimatfilm) und dem kritischen Neubeginn der 70er-Jahre klaffte.

Ausschnitt aus Axel Cortis Verfilmung von Gernot Wolfgrubers "Herrenjahre".
Thomas Schett

Mit seinem Debüt Kaiser Joseph und die Bahnwärterstochter (1963) adaptierte er ein Stück des urösterreichischen Autors Fritz von Herzmanovsky-Orlando, im Auftrag des ORF und mit dem späten Hans Moser. Trotz des manchmal ein wenig übertriebenen Unernsts, mit dem Corti die Identitätsbemühungen der jungen Zweiten Republik durch den kakanischen Kakao zog, sind hier auch schon Aspekte des kritischen Nationalfernsehens erkennbar, das der ORF in seinen besten Jahren war. Das Gelenk zu den Stoffen, die Corti danach zunehmend in der aufregenden österreichischen Literatur um 1970 fand, bildet Jakob der Letzte nach Peter Rosegger. Eine Waldbauerngeschichte, aus der man fast direkt den Maurer Franz hervorgehen lassen könnte, aber auch den Bruno Melzer aus Herrenjahre: Peter Simonischek wurde einer der prägenden Darsteller für Corti, und Gernot Wolfgrubers vielleicht bestem Buch widerfuhr das Glück einer kongenialen Umsetzung.

Hitler, Freud und Jägerstätter

Wenn das Filmarchiv mit dem Begriff des Gewissens auf den Aspekt der intellektuellen Intervention bei Axel Corti anspielt, dann hat das zwei Aspekte: Der ORF verstand sich damals selbst in viel höherem Maß als eine intellektuelle Anstalt, und Corti verkörperte diesen Anspruch in idealer Weise. Seine biografischen Filme über den katholischen Widerstandkämpfer Franz Jägerstätter (1971), über die Jugend von Adolf Hitler (Ein junger Mann aus dem Innviertel, 1973) und über den jungen Freud (1976) gaben Österreich ein dialektisches Angebot an Repräsentationsfiguren. Die Trilogie Wohin und Zurück (1982-1985) erfüllte zugleich Ansprüche auf Geschichtspolitik und Publikumswirksamkeit und war dabei Ausdruck einer wichtigen Arbeitspartnerschaft: Das Drehbuch stammt von Georg Stefan Troller, der in Paris lebt und der dazu beitrug, die Geschichte des Exils in die Vergangenheitsbewältigung der Nazijahre zu integrieren.

Bei den großen historischen Stoffen mit Kameramann Gernot Roll (Die Hure des Königs und Radetzkymarsch waren die letzten Projekte Cortis) ist dann schon die Medienkonkurrenz zu spüren, die das Genre des Fernsehfilms unter ästhetischen Druck setzte. Axel Corti war Fernsehfilmemacher in einer Zeit, in der es noch eine Öffentlichkeit gab, die ein Gewissen vertrug und ertrug – und erwartete. Nicht nur das macht sein Werk heute noch eminent sehenswert – und entdeckenswert. (Bert Rebhandl, 14.12.2018)