Im Jänner wird die Leitung des Wiener Volkstheaters neu ausgeschrieben. Derzeit wird debattiert, in welche Richtung es gehen soll.

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In einer Zeit, in der der Begriff der Nation im öffentlichen Meinungsaustausch einen mehr als militant-aggressiven Ton bekommt und das sogenannte Volk allerorts seine zumeist wütende Meinungsgemengelage auf die europäischen Straßen trägt und die (a)sozialen Medien, von allzu vielen Seiten gelikt, offensiv damit füttert.

In einer Zeit, in der die Sozialdemokratie – und das Volkstheater ist und bleibt, wenn auch nur symbolisch, ein Haus der öster reichischen Gewerkschaft – europaweit von einem ebenso selbstverschuldeten wie historisch einmaligen Niedergang gekennzeichnet ist, vor allem aber frei ist und bleibt von jeglicher konkreter oder auch nur programmatischer gesellschaftlicher wie politischer Vision, ja nicht einmal ein vorzeigbares, alternatives Konzept für die nähere Zukunft hat.

In einer Zeit, in der das bürgerliche Stadttheater nur noch ein armseliges Elitenprojekt ist und diese Eliten durch eine ohne Scheu geäußerte Kulturlosigkeit sowie umfassende Unbildung und Abgestumpfheit auffallen, insbesondere naturgemäß die Vertreter unserer politischen Elite.

In einer solchen Zeit ist die Krise des Wiener Volkstheaters zwar nur eine gesellschaftliche und politische Randerscheinung, aber angesichts des langsamen Niedergangs bei gleichzeitig anhaltender Verweigerung von geeigneten Problemlösungen durch die Fortsetzung alter Fehler, des immer gleichen Einsatzes von immer gleich gescheiterten Mitteln und Modellen, ein allzu offensicht liches Anschauungsmaterial für das totale Fehlen österreichischer Kulturpolitik seit Jahrzehnten.

In einer solchen Zeit hat ein Volkstheater keine Gegenwart und keine Zukunft! Es braucht eine radikale Neugründung!

Altbekannte Probleme

Im Jahr 1996 hat die – damals noch bestehende – Österreichische DramtikerInnen Vereinigung den "Ersten österreichischen DramatikInnen-Kongress" im Volksheater veranstaltet. Und eine der Podiumsdiskussionen damals – die man heute wiederum veranstalten könnte, ja müsste – trug den Titel "Sparen! Kürzen! Zusperren!". In dieser fiel auch das folgende Zitat des Kultursoziologen Robert Harauer: "Man spricht ja gerne von Wien als Theaterstadt. Wenn ich durch die Stadt gehe und mir die Theaterplätze anschaue, das sind sehr ehrwürdige Häuser. Wenn ich mir ketzerisch überlege, dann könnte man ja auch mal überlegen, das Burgtheater oder ein anderes Theater umzuwidmen oder abzureißen und stattdessen mit neuer Architektur ein neues Theater hinzubauen, nämlich wirklich ein Theater der Moderne; weil Räume und architektonische Räume nicht zufällig einen großen Einfluss ausüben auf den Zugang zum und die Auseinandersetzung mit dem Theater. Also was für eine Theaterstadt wie Wien fehlt, ist ein moderner Bau des Theaters."

Man kann heute, gemischt mit Trauer und Wut, zusammenfassend auch sagen, dass diese umfassend besprochenen und diskutierten Probleme, Krisen und Konflikte des Theaters als künstlerisch-gesellschaftlicher Raum mehr als zwanzig Jahre später immer noch dieselben sind – anhaltend ungelöst und brisant wie eh und je. Wir sind nach zwanzig Jahren keinen Schritt weiter.

"Das Sprechtheater braucht Neugründungen, die Künstlern reale Chancen eröffnen, den Erfordernissen der Kunst und der Zeit zu folgen statt wie bisher den Erfordernissen satter und verbürokratisierter Betriebe. Es braucht neue Strukturen der Förderung, der Mittelvergabe, der Verwaltung, kurz gesagt, eine Komplettreform, die den Interessen einer neuen Generation von Theatermachern und Besuchern gerecht wird. Die Institutionen sind für die Künstler und das Publikum da, nicht die Künstler und das Publikum für eine formelhafte Bürokratie und vorgetäuschte, leerlaufende Betriebsamkeit." Das habe ich 2001 geschrieben, dem ist 2018 nur hinzuzufügen: Nichts ist da, kein Gedanke, keine Idee, kein Konzept, kein Entwurf, bei niemandem.

Zwei Wege

Das Wiener Volkstheater, und nur deswegen melde ich mich zu Wort, könnte in dieser besagt belasteten Zeit zu einem richtungsweisenden Modell werden, wie man von kompetenter kulturpolitischer Seite – selbstverständlich nach einer genauen, wenn möglich auch wissenschaftlichen Erhebung aller Problemfelder und Problemlagen – zu einem ebenso radikalen wie realistischen Entwurf für ein neues Wiener Volkstheater kommt. Ich kann also nur dazu raten, eher wohl muss ich sagen, ich hoffe, dass die Wiener Sozialdemokratie – sie ist der Ansprechpartner, denn von der derzeitigen Bundespolitik ist diesbezüglich absolut nichts zu erwarten – einmalig und erstmalig den erforderlichen wie notwendigen (visionären) Mut aufbringt, um ein neues Haus des (modernen) Theaters zu schaffen; ein zeitgemäßes Theater, das – wie immer es dann heißen wird und welche Programmatik es auch immer verfolgen wird – jenseits des österreichischen Parteipolitikgezänks mitsamt des elenden Proporzkampfes und der besonders für die junge Generation unverständlichen Funktionärsmentalität funktioniert und sich im wahrsten Sinn des Wortes "frei" dem widmen kann, wofür es geschaffen wurde, wofür es geschaffen ist: der Theaterkunst.

Der andere Weg ist – wie österreichweit üblich – die Fortsetzung des bisher begangenen Weges. Diesen hat Ronald Pohl bereits 2006 im STANDARD charakterisiert: "Inhaltliche Besinnungen auf die zusehends gefährdete Kunstform Theater werden geflissentlich vermieden. So kann, trotz aller Bemühungen, Theater in Wien nur werden, was es zum Teil längst geworden ist: ein beliebiges Angebot zur urbanen Raumbehübschung." (Armin Anders, 13.12.2018)