Kaum ist ein Kind eingeschult, soll es – in Zukunft in der dritten Klasse – auch schon wieder ausgesiebt werden.

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Das sogenannte Pädagogikpaket, das vorige Woche im Parlament beschlossen wurde, hat mit seriöser Pädagogik nichts zu tun. Bildungsminister Heinz Faßmann hat in einem Interview bekannt, dass das Paket nicht auf erziehungswissenschaftlich gesicherter Evidenz, sondern auf "Politik" beruht.

Manche Beobachter interpretierten das als Anzeichen dafür, dass Minister Faßmann nicht mehr länger bereit ist, seinen guten Namen und seine Reputation als Sozialwissenschafter für eine Politik herzugeben, die auf nicht mehr als den naiven Bekenntnissen und nebeligen Behauptungen von Kanzler und Vizekanzler beruht. Hat Professor Faßmann doch anlässlich seiner Bestellung zum Minister erklärt, dass er sich ausbedungen habe, seine Expertise als Sozialwissenschafter nicht in der Parlamentsgarderobe abgeben zu müssen.

Die wohlbegründeten Einwände gegen das Paket voll "schwarzer Pädagogik", die ihm die ÖFEB, die Vereinigung von 350 österreichischen Bildungsforschern und Erziehungswissenschaftern übermittelt hat, wurden von ihm jedoch offensichtlich "nicht einmal ignoriert". Wieweit ist Faßmann bereit, die Vorgaben des gesunden, türkis-blauen Volksempfindens mitzuvollziehen? Werden in den Schulen nun auch wieder "gesunde Watschn" erlaubt, die der Mathematiker Rudolf Taschner, ein von Kanzler Sebastian Kurz handverlesener ÖVP-Quereinsteiger, für ein taugliches Erziehungsmittel gehalten hat? Kommen auch wieder schulische Raucherzimmer für 17-jährige Oberstufenschüler, wenn dies H.-C. Strache, der Schutzpatron des Grundrechtes jedes Österreichers und jeder Österreicherin auf Lungenkrebs, verlangt?

Ohne Sachkenntnis

Kurz und Strache fordern im Brustton der von keiner Sachkenntnis angekränkelten Überzeugung mehr schulische "Leistungsorientierung". Ja, es gibt Kinder, die aufgrund ihrer familiären Sozialisation und persönlichen Lerngeschichte nicht jene Leistungen erbringen, die der Lehrplan erwartet, aber diese Kinder brauchen zum Aufbau von Lernbereitschaft, Selbstvertrauen und Erfolgszuversicht nicht Fünfer, Sitzenbleiben und Ausgrenzung, sondern das Engagement kompetenter Lehrpersonen und die Geborgenheit und Solidarität einer Klasse, die allemal heterogen ist.

Österreichische Lehrerinnen und Lehrer müssen kostbare Zeit und Energie auf die schulische Auslese (und deren bürokratische Absicherung) verschwenden, die in Ländern wie Finnland, Kanada und Australien bis zum Ende der Schulpflicht zur Gänze für die umfassende Förderung und die Kompensation außerschulisch produzierter Lerndefizite genutzt werden können.

Ministerielle Giftküche

Soeben ist bekannt geworden, dass in der Giftküche des Ministeriums unter dem Kürzel "iKPM" (für "individuelle Kompetenz- und Potenzialmessung") bereits das nächste aberwitzige Vorhaben brodelt: Der im Regierungsabkommen angedrohte "Talente-Check". Was in anderen Ländern mit 15/16 Jahren erfolgt, soll österreichischen Achtjährigen in der dritten Volksschulklasse zugemutet werden: "umfassende Individualmessungen fachbezogener Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern (...) sollen durch ergänzende Berufsorientierungs- und Entwicklungsinstrumente (...) die Wahl des weiteren Bildungs- oder Berufsweges" unterstützen".

Gegen diese De-facto-Vorverlegung der AHS-Auslese um ein Jahr bringt die ÖFEB-Stellungnahme den fundamentalen entwicklungspsychologisch-pädagogischen Einwand, "dass die für eine weitreichende Schullaufbahnentscheidung erforderlichen Fähigkeiten und Interessen in diesem Alter oft noch nicht ausreichend entwickelt sind (...) und (...) Merkmale der Schülerinnen und Schüler gemessen werden, die durch den Besuch von Schule und Unterricht überhaupt erst entwickelt und gefördert werden sollen".

In so gut wie allen OECD-Ländern gilt daher der Grundsatz: Solange Kinder schulpflichtig sind, besteht für den Staat die Pflicht, sie unvoreingenommen zu fördern und ihnen die Chance zu geben, ihr Potenzial und ihre Interessen mit einem breiten allgemeinbildenden Curriculum zu erkunden und zu entfalten. (Das ist übrigens auch der Grund, warum die OECD den Pisa-Schulleistungsvergleich an 15/16-Jährigen durchführt.)

Glaubt Minister Faßmann tatsächlich, dass sich Eltern eine schulische Mutmaßung wünschen, ob ihr achtjähriger Sohn das Talent zum Quantenphysiker, Herrgottschnitzer, Orthopäden, Speläologen oder veganen Koch hat?

Zum Abschluss ein kleines Gedankenexperiment. (Ich bitte Antonio Fian um Nachsicht für die "Anleihe"!) Wie könnte ein "Talente-Check" des achtjährigen Heinz Faßmann ausgesehen haben?

Faßmann-Talente-Check

Lehrerin A: Der Faßmann-Heinz ist gescheit. Der wird einmal AHS-Professor für Turnen und Geografie.

Lehrerin B: In dem Buben steckt mehr. Der hat das Zeug zum Universitätsprofessor für Geografie.

Lehrerin C: Glaubt mir: der Heinz hat das Talent zum Bildungsminister.

Lehrerin A: Was braucht man eigentlich als Minister?

Lehrerin B: Sachverstand und die Courage, für seine Überzeugungen einzustehen.

Lehrerin C: Oder man hält den Mund und versteckt sich hinter dem Koalitionsabkommen.

Lehrerinnen A, B und C (gleichzeitig): Na, wir werden ja sehen ...

Tja, liebe zukünftige Drittklassler und deren besorgte Eltern: Ihr habt euch vermutlich "iKPM" nicht als Weihnachtsgeschenk gewünscht; falls ihr es kriegt, werdet ihr es an seiner türkis-blauen Verpackung erkennen. Und passt auf bei der Auswahl eines Lokals für die Weihnachtsfeier eures Klassenelternvereins. Hoffentlich findet ihr ein Extrazimmer, in dem nicht am Vortag mit der Erlaubnis von Kurz und Strache geraucht wurde. Kalter Zigarettenrauch ist fast so unangenehm wie "iKPM". Merry Christmas! (Karl Heinz Gruber, 18.12.2018)