"Hier liegt die Demokratie begraben" – eine Anhängerin der Gelbwesten auf der Place de la République in Paris.

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Braucht Frankreich mehr Demokratie? Direkte gar? Die Frage ist durch die Gelbwesten-Proteste aufgekommen und wird immer reger diskutiert, während die Bewegung selbst am Abflauen ist. Die "Gilets Jaunes" fordern ein "Referendum durch Bürgerinitiative", kurz "RIC" genannt. Lange Zeit durch die sozialpolitischen Anliegen verdrängt, schält es sich als zentraler Punkt einer Bewegung heraus, die sich als Volkes Stimme gegen die Eliten versteht. "In Paris gelten wir als Störfaktor, nicht als Souverän", argumentierte ein älterer Gelbwestenträger in Orléans. "Die Möglichkeit von Volksinitiativen würde die Machtverhältnisse umkehren."

Die Debatte ist in Frankreich nicht neu. Der vertikal gegliederte Zentralstaat hat mit Basisdemokratie nicht viel am Hut. In der Fünften Republik kann nur der Staatspräsident Volksabstimmungen zu Sachfragen ansetzen – ein Widerspruch in sich. Dem gleichen Geist entspricht die Wahlmonarchie, die Charles de Gaulle 1962 vom Volks absegnen ließ: Seither wird der omnipotente Staatspräsident direkt vom Volk gewählt.

Gesetz in zehn Jahren nie angewendet

Vielen Franzosen genügt das nicht mehr. Auf öffentlichen Druck hin musste Nicolas Sarkozy 2008 ein "Referendum durch geteilte Initiative" einführen. Er verwässerte es aber stark, indem er zwar Volksabstimmungen ermöglichte, aber nur auf Initiative des Parlaments. Dieses neue Recht wurde in zehn Jahren kein einziges Mal genutzt.

Das soll sich nun ändern: Die Sozialisten wollen, auf diese Prozedur gestützt, die von Präsident Emmanuel Macron gesenkte Vermögenssteuer wiedereinführen. Sie kommen den konservativen Republikanern zuvor, die gerade ein Referendum über die umstrittene Benzinsteuererhöhung und die ganze Energiewende prüfen. Die Grünen sind Volksabstimmungen seit jeher günstig gesinnt.

Auch die Linkspartei "Unbeugsames Frankreich" schwimmt auf der gelben Welle mit: Sie hat diese Woche einen Vorstoß eingereicht, der wie die "Gilets Jaunes" ein eigentliches Verfassungsrecht auf Volksinitiativen schaffen will. Dafür sollen nur noch 700.000 Unterschriften nötig sein.

Ja, aber ...

Premierminister Edouard Philippe zeigt sich vordergründig gut gewillt: "Ich sehe nicht, wie man dagegen sein könnte." Er relativierte aber sogleich: "Solche Abstimmungen wären nur unter gewissen Bedingungen und nicht zu jeder beliebigen Frage möglich." Die Gelbwesten kontern empört, es liege nicht an der Regierung, die Themen zu bestimmen. Das heutige Referendumsrecht sei auf "institutionelle, soziale, wirtschaftliche und Umweltfragen" eingegrenzt. Die heißumkämpfte Vermögenssteuer fiele darunter – nicht aber gesellschaftspolitische Themen, die in Internetforen von rechts ins Spiel gebracht werden: Leihmutterschaft, der UN-Migrationspakt oder das EU-Abkommen von 2005, das die Franzosen an den Urnen abgelehnt hatten, bevor es das Parlament in anderer Verpackung dennoch in Kraft setzte.

Wie paradox die Lage in Frankreich ist, zeigt sich darin, dass in letzter Instanz der Staatschef bestimmt, ob dem Volk das Initiativrecht zugestanden wird. Macron dürfte dazu kaum bereit sein. Ihm bleibt nicht verborgen, dass vor allem Rechts- und Linkspopulisten auf ein Initiativrecht des Volkes drängen. Sie würden eine Volksabstimmung über die Vermögenssteuer unweigerlich in ein Plebiszit über die derzeit verfolgte Wirtschaftspolitik verwandeln – und damit über den Präsidenten persönlich. Macron wäre dann wohl nicht mehr lange im Elysée-Palast. (Stefan Brändle aus Paris, 20.12.2018)