In diesem Areal waren am Sonntag 1.300 Menschen eingekesselt worden. Die Rechtshilfe Rapid hat das Areal dokumentiert

Foto: Rechtshilfe Rapid

Experten sagen, dass die Situation rasch hätte eskalieren können

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Es waren Bilder, die er "nicht vergessen werde": So beschreibt der Nationalratsabgeordnete Robert Laimer (SPÖ) die Zwangsmaßnahmen gegen Rapid-Fans, die er am vergangenen Sonntag selbst miterlebte. Auf dem Weg zum Wiener Derby geriet Laimer in jenen Polizeikessel, in dem 1.300 Personen, darunter Frauen und Kinder, mehr als sieben Stunden lang bei Minusgraden auf einer schlammigen, unbefestigten engen Fläche eingepfercht waren.

Die Aktion sorgt nach wie vor für massive Kritik an der Polizei. Diese hat die Zwangsmaßnahme damit begründet, dass Fans zuvor Gegenstände auf die Südosttangente geworfen und somit das Leben von Autofahrern gefährdet hatten. Ein entsprechendes Video zeigt, dass von der Brücke Schnee auf die Fahrbahn gelangte, jedoch keine Pyrotechnik. "Schneebälle auf fahrende Autos zu werfen ist aufs Schärfste zu verurteilen", sagt Laimer. Er hält es jedoch nicht für gerechtfertigt, dass deshalb über 1.300 Menschen in der Kälte ausharren müssen. "Es war vor allem erniedrigend für Frauen, die nicht auf ein WC gehen konnten", so Laimer. Neben ihm sei ein junger Mann zusammengebrochen, der an Diabetes leidet. Sanitäter seien nicht zu ihm gelangt, daher mussten ihn die Rapid-Fans nach vorne "reichen". Dort sollen sich Polizisten noch über den Fan lustig gemacht haben.

Dringliche Anfrage an Kickl

Die SPÖ will am Donnerstag Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zu der Polizeiaktion befragen. Im Bundesrat ist dafür eine dringliche Anfrage anberaumt worden. Dem STANDARD liegen Augenzeugenberichte von Betroffenen vor.

Experten sehen die Aktion kritisch. "Vor allem bei diesen Temperaturen und der Anwesenheit von Frauen und Kindern ist der Faktor Zeit sehr kritisch zu hinterfragen", sagt Georg Geczek zum STANDARD. Er leitet das Competence Center Event Safety beim Roten Kreuz Wien. Die Anzahl von drei Polizeisanitätern sei für die Menschenmenge in Ordnung, allerdings müssen bei diesen Temperaturen rasch Heißgetränke zur Verfügung stehen. Das erfolgte laut Augenzeugen teils gar nicht, teils erst sehr spät. "Dann wollte sie aber fast niemand trinken, weil man nicht auf die Toilette durfte", sagt Laimer. "Die Frage ist nicht nur, wie viele Leute vor Ort erkrankt sind, sondern wie viele jetzt krank sind", so Geczek.

"Wie erfährt die Polizei, was in der Mitte passiert?"

Auch für den Experten für Crowdmanagement, Martin Bardy, der unter anderem Dozent an der FH St. Pölten und der Donau-Universität Krems ist, ist vor allem die lange Dauer der Festhaltung bei dieser Kälte hinterfragbar. "Dehydrierungen können zum echten Problem werden", sagt Bardy. Die Größe des Areals ist für ihn weniger das Problem, prinzipiell gelte als Faustregel, dass auf einen Quadratmeter nicht mehr als drei Personen kommen dürfen. Allerdings könnte sich die Dichte punktuell erhöhen, wenn etwas passiert. Und genau hier liegt für Bardy eine Gefahr: "Bei einer so großen Menschenmenge kann die Polizei nur bei den Zu- und Abgängen mit den Menschen kommunizieren, nicht aber mit jenen innerhalb der Besuchermenge, selbst ein Megafon hat nur einen eingeschränkten Radius. Gibt es Schwierigkeiten in der Mitte, wie erfährt das die Polizei, und wie kommt dort Hilfe hin?"

Gefahr durch Geländer

Auch das einen Meter hohe Geländer, das das Areal zu einer Seite hin begrenzt und hinter dem es mehrere Meter in die Tiefe geht, sei eine Gefahr, warnt Bardy: "Fünf erwachsene Männer können einen Druck von etwa 3,4 Kilonewton ausüben. Hätte es einen Auslöser gegeben, und es wäre Druck entstanden, und das Geländer hätte gehalten, dann wären die Menschen gequetscht und schwer verletzt worden. Hätte es nicht gehalten, wäre noch Schlimmeres passiert."

Aus polizeilicher Sicht sei das Grundstück optimal gewählt, wenn man Leute festhalten will, aber aus "sicherheitstechnischer Sicht waren da zu viele Unsicherheitsfaktoren", so Bardys Resümee. "Dass es keinen Auslöser gab und nichts passiert ist, das muss man den Personen in diesem Kessel zugutehalten", betont Bardy.

Auch der SPÖ-Abgeordnete Laimer ist "stolz, dass nichts passiert ist"; die Fans "zeigten Solidarität". Er denkt, dass die Polizei die Aktion geplant habe. "Wer sagt, dass das nicht bei der nächsten regierungskritischen Donnerstagsdemo passiert?", so Laimer. (Colette M. Schmidt, Fabian Schmid, 19.12.2018)