Der Sound des Wartezimmers: Husten und Schnäuzen, Rascheln und Tippen.

Foto: heribert corn , corn@corn.at

Jedes Arztwartezimmer hat seine Fixbestandteile: durchgesessene Stühle, einen Tisch, dessen Beine sich unter abgegriffenen Magazinen biegen, eine raumhohe Grünpflanze und einen Taschentuchspender. Und jeder, der in einem Arztwartezimmer sitzt, weiß: Er muss warten.

Denn immer weniger Ärzte müssen immer mehr Patienten versorgen. Der Grund für beides: Österreich wird älter. In zehn Jahren wird die Hälfte aller niedergelassenen Ärzte und der Ärzte mit Krankenkassenvertrag in Pension gehen. In zehn Jahren wird mehr als ein Fünftel der Österreicher über 65 Jahre alt sein. Und viele von ihnen werden chronisch krank sein.

Hier, in einer Praxis, die so überall in Wien sein könnte, starren die Patienten auf den Boden. Eine Dame mit aufwendigen Locken und rosa Lippenstift schaut auf die Uhr, sie sitzt schon seit einer Stunde hier. "Niemand will mehr Arzt werden, das ist das Problem", sagt sie. Schuld sei, wie in jeder Branche, "dass ein paar ganz oben Geld nach rechts und links schieben und nichts nach unten weitergeben."

Eine bessere Bezahlung und vor allem bessere Arbeitsbedingungen fordert auch der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖAK) und Obmann der Bundeskurie der niedergelassenen Ärzte, Johannes Steinhart. Er drängt auf einen politischen Gipfel zum Ärztemangel.

Pensionierungswelle steht an

Diese Woche belegte die ÖAK ihre jahrelange Warnung vor dem Ärztemangel mit einer Auswertung der Altersstatistik der Ärzte: Der weitaus größte Teil der gut 18.000 niedergelassenen Ärzte ist zwischen 56 und 58 Jahre alt, kommt also in den nächsten Jahren ins Pensionsantrittsalter. Bei manchen Fachgebieten sei die Entwicklung, so die ÖAK, dramatisch: So werden etwa von den Orthopäden mit Krankenkassenvertrag in zehn Jahren 64 Prozent das Pensionsalter erreichen, bei den Fachärzten für Innere Medizin sind es 61 Prozent. Unter den Wahlärzten gehen gut 40 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Pension.

Der IMH-Vertrauensindex, der das Vertrauen von Ärzten ins eigene Spital misst, zeigt: Ein Drittel der Krankenhausärzte fürchtet einen Ärztemangel. Vor allem in öffentlichen und Ordensspitälern, so die Umfrage, ist das Personal besorgt, die Betreuungsqualität aufrechterhalten zu können.

Eine junge Frau, von oben bis unten schwarz gekleidet, blickt von ihrem Smartphone auf. Man hört Autos hupen und Patienten husten. "Ich hoffe, es kommen junge Ärzte nach", sagt sie, "aber die gehen alle ins Ausland." Tatsächlich: 2017 absolvierten 1.665 Leute ein Medizinstudium an einer österreichischen öffentlichen Universität. 40 Prozent von ihnen werden nicht in der medizinischen Versorgung arbeiten oder das Land verlassen. Der Bedarf an Nachbesetzungen ist damit nicht zu decken.

Hinzu kommt, dass mit 1. Jänner 2019 ein Übereinkommen in Kraft tritt, für das bisher eine zehnjährige Übergangsregel galt. Ab Neujahr dürfen Ärzte ihre Verträge mit der Gebietskrankenkasse nicht mehr verlängern, sobald sie 70 Jahre alt sind. Die Ärzteschaft im Land wird damit zwar jünger, aber auch ausgedünnt.

Mehr Wartezeit oder Hektik

"Ich denke nicht, dass der Punkt kommen wird, an dem man keinen Arzt mehr findet, wenn man ihn braucht", sagt die junge Frau im schwarzen Rollkragenpullover, "Panik halte ich für falsch." In kleinen Orten aber, wo es bisher nur zwei Ärzte gab, rechnet ein Sprecher der ÖAK vor, wandert der gesamte Ort zu einem, wenn der andere geht. Für die Patienten bedeutet das mehr Wartezeit oder einen Arzt, der sich nur noch halb so viel Zeit für sie nimmt.

Die Frau mit den lockigen Haaren wird aufgerufen. Sie geht durch zwei schmale Türen in einen Raum, in dem sie zwischen Medikamentenschachteln, Ordnern und Untersuchungsinstrumenten von ihrem Arzt empfangen wird. Ein paar Jahre lang wird er das noch machen, dann muss auch er in Pension. (Gabriele Scherndl, 21.12.018)