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Foto: AP/Nicola Dove

Seit der russische Kulturminister Wladimir Medinski 2014 schwor, sein Haus werde nie mehr das Artdocfest subventionieren – wegen "staatsfeindlichen Äußerungen" von Festivalpräsident Witali Manski –, mehrten sich Schikanen gegen das Dokumentarfilmfestival. Doch Manski, einer der renommieren Dokumentarfilmer des Landes, ließ sich nicht beirren und zeigte weiterhin auch verstörende Filme.

Nun, bei der zwölften Ausgabe des Festivals, war es anders: Angesichts gesetzlicher Verschärfungen, die nur Vorführungen von Filmen mit staatlicher Vertriebslizenz erlaubten, musste Manski kürzen: Während er das vollständige Programm in der lettischen Hauptstadt Riga präsentierte, ließ er im Moskauer Oktoberkino nur lizenzierte Filme laufen. Vor jeder Vorführung wurde jedoch über jene 71 von 127 Filmen informiert, die ausschließlich im Internet gezeigt werden konnten.

Wären die Filme im Kino präsentiert worden, hätte das Festival mit Geldstrafen zwischen 1.300 und 2.600 Euro pro "illegaler" Vorführung rechnen müssen. "Dass diese Filme nicht in Russland gezeigt werden können, ist ein Verbrechen, für das sich früher oder später jemand verantworten wird müssen", sagt der Festivalpräsident. Dabei hatte das Parlament beschlossen, dass die Regierung jährlich eine Liste von Festivals erstellen soll, die Filme auch ohne Vorführlizenz zeigen dürfen. Bislang gibt es keine Liste.

Seit 2014 Filmzensur gesetzlich ermöglicht

"Vor dem Hintergrund, dass das Kulturministerium 27 Verwaltungsstrafverfahren in Bezug auf das Artdocfest inspiriert hat, fällt es schwer zu glauben, dass wir in dieser Liste der erlaubten Festivals sein werden", so Manski. War die in den 1990ern verankerte Vertriebslizenz lange ohne Relevanz, haben sie Gesetzesnovellen seit 2014 in ein mächtiges Zensurwerkzeug verwandelt. Vorbilder liegen nahe. Staatsgründer Lenin hatte 1922 die Filmkunst zur wichtigsten aller Künste erklärt und Zensur gefordert: "Konterrevolutionäre und amoralische Streifen darf es nicht geben!"

Im postsowjetischen Russland ist Zensur freilich verboten. Behörden sollten vor einer Lizenzerteilung nur mutmaßlich illegale Inhalte prüfen oder Schimpfwörter suchen. Seit 2014 sind sie im Kino generell verboten. Die Praxis sieht bisweilen anders aus – insbesondere bei politisch unliebsamen Filmen. Ohne dies im Detail zu begründen, hatte das Ministerium heuer "illegale" Inhalte in Armando Iannuccis schwarzer Komödie The Death of Stalin entdeckt und damit einen russischen Kinostart vereitelt.

Auch rein ästhetische Einschränkungen möglich

"Im Ministerium sitzen Juristen, die darauf spezialisiert sind, die Lizenz zu verweigern", sagt Manski. Keine Chance auf die staatliche Erlaubnis hätte etwa sein Film Putins Zeugen, erzählt er. Der Film lief beim Artdocfest im Internet. Offensichtlich verbotene Inhalte lassen sich in der Doku, einer selbstkritischen Reflexion Manskis über seine Rolle als semioffizieller Dokumentarfilmer des Kreml im Jahr 2000, nicht entdecken.

Nahezu ausgeschlossen ist auch, dass Alexej Krassowskis Komödie Prasdnik ins Kino kommt. Der Film spielt Ende 1941 und handelt von einer Bürokratenfamilie im belagerten Leningrad, der es dennoch an nichts fehlt. Monate vor der Premiere, die in der Silvesternacht auf Youtube stattfinden soll, hat der Geschäftsführer der Kreml-Partei Einiges Russland, Andrej Turtschak, das Ministerium aufgefordert, keine Lizenz zu erteilen.

Unscharfe Einstellungen

Abseits politischer Fragen beschäftigt sich das Kulturministerium auch mit ästhetischer Reglementierung. Abgelehnt wurde etwa der Lizenzantrag Olga Stolopowskajas für ihre Doku Angst unter der Gürtellinie. "Sie haben es damit begründet, dass es in der abgegebenen Version unscharfe Einstellungen gibt", erzählt Stolpowskaja, die einen Monat lang an ihrem Antrag gearbeitet hatte.

Stolpowskaja sieht einen weiteren Kollateralschaden der geltenden Regeln: Da die Lizenz ausschließlich in Moskau zu erhalten sei, verschwänden Filme von Regisseuren aus der Provinz zunehmend aus den russischen Kinos. Sie hätten weder Zeit noch Geld, um sich darum zu kümmern. (Herwig G. Höller, 27.12.2016)