Foto: Mandelbaum Verlag

Dass in diesem Kompositum allgegenwärtiger Unbehaustheit ein Friedhof das Einzige ist, was eine Ahnung von Heimeligkeit vermittelt, sagt alles." Literarisch beschreibt Wolfgang Freitag das Terrain in und um den Linzer Friedhof St. Martin – die letzte Ruhestätte von meist namenlosen Opfern des Zweiten Weltkrieges: KZ-Opfer, Flüchtlinge, Bombenopfer, Soldaten. Besucht hat Freitag, seines Zeichens Journalist, Leiter des "Presse-Spectrums", Dramaturg, Autor, den beklemmenden Ort im Zuge einer Recherche: "Der Fall Karl Horvath" beschreibt ein Einzelschicksal als Fallstudie, als Synonym für Milieus, Urteile und Vorurteile; einst und jetzt.

1939 als "Asozialer" nach Dachau deportiert, 1945 aus dem KZ Mauthausen/Gusen befreit, 1946 als vermeintlicher Kriegsverbrecher angeklagt, 1948 vom Linzer Volksgericht verurteilt, 1952 in Verfahrenswiederaufnahme freigesprochen, doch gezeichnet für den Rest seines Lebens. Horvaths Kampf um Rehabilitierung, sein anschließendes Ringen um Entschädigung sowie persönliche Erinnerungen an ihn vervollständigen ein Bildnis, das singuläre Einblicke in die Welt der Nachkriegsjahre bietet und paradigmatisch für Österreich im 20. Jahrhundert stehen kann.

Das Schicksal des Loipersdorfer 'Zigeuners' Karl Horvath reflektiert nicht nur viele der Verwerfungen in den Jahrzehnten nach dem Untergang der Habsburgermonarchie, sondern auch die Kontinuität der Verfolgung und Kriminalisierung, der die Volksgruppe der Roma damals ausgesetzt war und heute von Neuem ausgesetzt ist. Immerhin wurde die Volksgruppe der Sinti und Roma in Österreich erst im Dezember 1993, also vor 25 Jahren, als solche anerkannt.

Abgesehen vom penibel recherchierten, minutiös und eloquent formulierten Bericht besticht Wolfgang Freitags historische Spurensuche vor allem durch sprachliche Brillanz, Empathie und Humanismus. In Dokumenten, Protokollen und Prozessakten werden Konflikte zwischen Juden und Nichtjuden, politischen und ethnischen Häftlingen luzide. Erschreckende gegenseitige Vorwürfe, entlarvende Vorurteile, Kriminalisierungen und Vorverurteilungen. Flucht und Ausflucht, Kompetenz und Inkompetenz folgt zum Quadrat. Irrwege zum Recht, zur Gerechtigkeit.

Beispielhaft nennt der 1958 Geborene die Selbstverständlichkeit der Verwendung des Wortes 'Zigeuner', in Lexika sowie im Alltag, bis in die späten Dekaden des 20. Jahrhunderts. "So wie sich bis heute nicht allzu viele etwas dabei denken, wenn auf einen Farbton namens 'Hautfarben' die Sprache kommt, sei's in größeren Buntstiftsortiments, sei's in Dessous-Geschäften." Diskursiv. Keineswegs schwarz-weiß. Verstörend, wichtig. (Gregor Auenhammer, 27.12.2018)