8.30 Uhr. Stefans Wecker läutet zu moderater Zeit und mit Schwung: "Relax, don't do it ...", Frankie Goes To Hollywood, wir schreiben das Jahr 1984, und der junge Mann war schon einmal entspannter, soll heißen: Der gute Tag beginnt mit dem besseren Medikamentenmix.

Das Computerzeitalter ist noch jung, Stefan ist fasziniert davon, genauer: von "Bandersnatch". Das ist zunächst ein Buch, das Stefan von seiner Mutter bekommen hat, und so heißt auch die neue Folge von "Black Mirror".

Das Konzept stammt wie die Idee zur ganzen Serie von Charlie Brooker, die Serie lief zunächst auf dem britischen Channel 4. Seit der dritten Staffel ist sie weltweit bei Netflix zu sehen und hat mit intelligenter Science-Fiction einen ziemlichen Hype ausgelöst.

90 Minuten dauert diese Folge, die auf Netflix seit Freitag abrufbar ist und dabei erstmals den Zuschauer mitspielen lässt. Theoretisch, denn aufgrund seiner Interaktivität kann der Spaß auf mehr als 300 Minuten ausgedehnt werden. An vielen Stellen kann man wählen, wie die Handlung weitergeht.

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Der Weg der Recaperin

In der Folge werden jene Handlungsstränge beschrieben, für die sich die Recaperin (kein schönes Wort, ich weiß, aber es ist gerade kein anderes vorhanden) entschieden hat, und das war in der ersten Wahl: zum Frühstück Frosties statt Sugar Puffs.

Welche Folgen hat das? Der Hund im Garten wird verscheucht, Stefan steigt in den Bus, holt seinen Walkman raus und zwei Kassetten. Wir wählen Thompson Twins: "Hold Me Now".

Stefan landet bei Tuckersoft, dem Computerunternehmen, bei dem er das von ihm entworfene Videospiel vorstellen will. Dort lernt er zunächst den genialen Colin Ritman kennen, den er wegen seiner Ideen kennt und verehrt. Zunächst läuft alles prächtig, das Angebot steht schnell, Stefan muss nur noch "Akzeptieren oder Ablehnen". Ich entscheide mich für Ablehnen, erscheint mir spannender. Das Nein ist schlussendlich doch ein Ja, Stefan schlägt nur vor, nicht mit der coolen Truppe im Team zu arbeiten, sondern ganz allein. Akzeptiert.

Foto: Netflix

Mit dem steilen Aufstieg ist es aber nicht so einfach, denn der Vater nervt, und zusammen mit der Psychotherapeutin hat Stefan das Gefühl, er werde "ständig überwacht". Ob Stefan über seine Mutter reden möchte, fragt die Therapeutin. Schon folgt die nächste Entscheidung: ja oder nein? Ich bin für Ja, weil ich wissen will, was mit der Mutter war. Es folgt die kurze Schilderung einer tragischen Geschichte, für die sich Stefan seit seinem fünften Lebensjahr schuldig fühlt, für die er aber vor allem seinen Vater hasst – "abgrundtief".

Wir sind im Plattenladen: Phaedra oder The Bermuda Triangle lautet die nächste Wahl – ich nehme Zweiteres, offen gestanden sagen mir beide nichts. Die nächsten Wochen sind hart, Stefan vergräbt sich in seine Arbeit, der Vater macht sich Sorgen, und ich habe die Wahl: Statt Tee über den Computer schütten nehme ich Vater anschreien, Konflikte haben schließlich auch etwas Reinigendes.

Stefan ist zunächst aber echt fertig. Nächste Option: Colin folgen, das bedeutet zunächst einmal, bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich nehmen, schließlich geht es um das große Ganze, was anderes als Ja könnte man hier sagen? Im Rausch geht es schließlich zur Sache: Realitäten gibt es massenhaft, alle stehen in Wechselwirkung zueinander, Zeit ist ein Konstrukt, der Spirit gibt den Rhythmus vor, bei dem man mitmuss, die Regierung beobachtet dich, sie mischen Drogen ins Essen, der freie Wille ist eine Illusion, ja, und es fällt das F-Wort: Flashbacks, die Möglichkeit, zurückzugehen und Dinge anders zu machen.

Das heißt zunächst einmal: vom Balkon springen, und das hat Folgen. Ich will, dass Stefan springt, und das macht er dann auch. Zack.

Nächstes Bild: vier Monate später. Ein ganz neuer Anfang. "Bandersnatch" ist fertig und zu verkaufen. "Kein so richtig gutes Spiel", sagt der Spielekritiker im Fernsehen. Ende.

Oder auch nicht, denn jetzt bietet mir "Bandersnatch" an, eine neue Wahl zu treffen – und alles noch einmal durchzuspielen. Also springt jetzt Colin, Stefan beißt Fingernägel, spült Pillen runter, schlägt auf den Schreibtisch, nimmt das Familienfoto. Ist das alles noch wahr? Welche Entscheidung habe ich gefällt, wer ist wer?

Tee über den Bildschirm zu schütten bringt auch keine Lösung, schön langsam bin ich des Wählens müde. Bei mir schaut jetzt Netflix mit, das habe ich zu verantworten. Es ist jemand aus der Zukunft, der Stefan kontrolliert. Netflix kontrolliert Stefan, sind wir in einer Endlosschleife, oder hat das irgendwann ein Ende?

Es hat, und es verwirrt. Also, mich zumindest. Man wird sich das alles noch einmal anschauen müssen.

Fazit: Eine klassische "Black Mirror"-Folge mit einem interaktiven Zugang, der funktioniert – allerdings ob seiner vielen Optionen auf die Dauer doch etwas anstrengt. Der freie Wille ist eine Illusion? Zumindest die Entscheidung, die Stopptaste zu drücken, bleibt mir vorbehalten. Morgen wieder. Vielleicht. (Doris Priesching, 28.12.2018)