In der Serie "Diener des Volkes" bringt es Wolodymyr Selenskyj vom Lehrer zum Präsidenten. Und vielleicht kandidiert er bald wirklich.

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Er ist ein Staatsmann, von dem viele Ukrainer träumen. Der Normalo von nebenan, unbedarft und jung, aber integer und fern von den korrupten Seilschaften der Politik. Ein ehemaliger Mittelschullehrer, der sich keine Anleihen bei den Oligarchen, sondern – ganz der Pädagoge – bei den geistreichen Reden der Antike holt.

Das Problem: Diese Person ist nicht real, sondern der Held der TV-Serie Sluga Naroda (Deutsch: Diener des Volkes). Der Plot geht so: Nachdem sich ein Geschichtslehrer in einer Schimpftirade über die ukrainische Politik ergeht und seine Schüler diese Rede auf Youtube hochladen, wird er zum Internetstar – und später zum Präsidenten gewählt. Korrupte Politiker, die den impulsiven Enddreißiger zu ihrer Marionette machen wollen, werden vom Präsidenten überführt und gefeuert.

Einige Zuseher scheinen dem "Diener des Volkes" die Rolle so sehr abzunehmen, dass sie sich eine Fortsetzung auch abseits der Fernsehbildschirme wünschen. Laut Umfragen hat der Hauptdarsteller Wolodymyr Selenskyj gute Chancen, bei den Präsidentschaftswahlen am 31. März in die Stichwahl zu kommen. Mit 13,4 Prozent Zustimmung wird er derzeit nur von Julia Timoschenko (20,8 Prozent) ausgestochen, Präsident Petro Poroschenko liegt mit 11,1 Prozent an dritter Stelle. Es seien vor allem Jungwähler unter 30 Jahren, Protestwähler und eingefleischte Serienfans, die für Selenskyj votieren, sagt Oleksij Antypowytsch vom Umfrageinstitut Ratinggroup – wenngleich offen sei, ob diese Gruppen am Ende wirklich zu den Urnen gehen.

Kandidatur noch offen

Fünf Jahre nach den Maidan-Protesten ist die Sehnsucht nach neuen Gesichtern in der ukrainischen Politik jedenfalls so groß wie nie. Ob der Komiker Selenskyj aber tatsächlich antreten wird, ist noch unklar. In einem Videointerview hat er sich zuletzt wortreich um diese Frage gewunden: Er würde zwar "ernsthaft erwägen", dass er es "vielleicht, ja, machen werde", müsse das aber noch mit seiner Familie besprechen. Die Frage wird wohl bis zuletzt – der Wahlkampf startet offiziell am 31. Dezember – offenbleiben. Es ist aber bestimmt kein Zufall, dass die nächste Staffel der Serie ausgerechnet kurz vor den Wahlen anlaufen soll. Eine Kampagne nach allen Regeln der Kunst, die für zusätzliche Dramatik sorgen soll?

Fakt ist indes, dass Sluga Naroda, eine Art humoristisches House of Cards mit ukrainischem Lokalkolorit, schon jetzt zu den erfolgreichsten TV-Serien des Landes gehört. Dem Komiker Selenskyj, der als tollpatschiger, aber ehrlicher Neopolitiker durch die Abgründe der Kiewer Politik stolpert, vom Staatsbankrott über Oligarchenintrigen bis hin zu durchzechten Partynächten mit IWF-Vertretern, waren die Lacher von Anfang an sicher. Die Polit-Comedy startete 2015, wurde inzwischen von Netflix gekauft und auf Youtube millionenfach (zweite Staffel: 5,3 Millionen) geklickt.

Geheimnisvolle Partei

Gerüchte über politische Ambitionen haben die Serienmacher selbst immer wieder befeuert. Heuer wurde von Mitarbeitern des Produktionsstudios Kwartal 95 offiziell eine Partei namens Sluga Naroda registriert. Doch auch sie ist ein Mysterium: Die Partei, die im Herbst bei der Parlamentswahl antreten soll, ist in einem Anwaltsbüro in einem Kiewer Bürozentrum registriert. Journalisten der angesehenen Zeitung Ukrainska Prawda wurde zuletzt der Zugang verwehrt. Die Partei hat keine Homepage und praktisch keine Mitglieder, Vorsitzender ist ein gewisser Iwan Bakanow, von dem es im Internet nicht einmal ein Foto gibt.

Das Politmärchen vom Mann aus dem Volk, der mit dem korrupten System aufräumt, ist wohl auch zu schön, um wahr zu sein. So läuft die Serie auf dem Sender 1+1 des Oligarchen Ihor Kolomojskij. Kolomojskyj, der 2014 dafür sorgte, dass die prorussischen Separatisten im Verwaltungsbezirk Dnipropetrowsk, der an den Donbass grenzt, nicht Fuß fassen konnten und im Gegenzug zum Gouverneur der Region ernannt wurde, überwarf sich später mit Präsident Poroschenko und gilt heute als dessen Erzfeind.

Ob nun Denkzettel der Wähler oder doch nur die Trickkiste eines Oligarchen, der um politischen Einfluss ringt – dass Selenskyj bei den Wahlen mitmischen könnte, zeigt, dass die leidgeprüften Ukrainer nach fast fünf Jahren Krise, Korruption und Krieg eines nicht verloren haben: ihren Humor. (Simone Brunner, 29.12.2018)