STANDARD: Haben Sie sich selbst je der Schönheit wegen unters Messer gelegt?

Worseg: Nein. Ich habe mir aber in früheren Jahren, als ich noch unsicherer war und weniger selbstbewusst, überlegt, mir meine Nase machen zu lassen. Männer sind in der Regel aber feiger als Mädchen.

STANDARD: Ist Ihr Vertrauen in die Künste der Kollegen so gering?

Worseg: Das hat damit nichts zu tun. Ich weiß, was passieren kann. Egal wie gut du bist, wie oft du was machst, es kann immer was schiefgehen. Der Wunsch nach Verschönerung hängt allerdings auch mit dem Selbstwertgefühl zusammen. Und das holt man sich mit zunehmendem Alter vielleicht woanders.

Sein erstes Geld verdiente Artur Worseg mit Zeitungsaustragen, heute arbeitet er mit Skalpell und Silikon.

STANDARD: Eine neue Nase ist ja auch kein Schnäppchen. Wie groß ist der Preisdruck in Ihrer Branche, gibt es so etwas wie Mengenrabatt?

Worseg: Der Preisdruck in der kosmetischen Medizin und Chirurgie ist extrem. Viele Österreicher fahren dafür ins benachbarte günstigere Ausland, nach Tschechien, Ungarn, Kroatien oder Serbien. Es kommen auch immer mehr Ärzte zu uns, etwa aus der Ukraine, die im Rahmen von Hauspartys Botox spritzen. Und es gibt viele junge österreichische Chirurgen, die in den Markt einsteigen. Sie können von sich nicht behaupten, sie seien die Besten und Schönsten – zumindest aber die Günstigsten.

STANDARD: Hat sich Ihre Klientel in Zeiten von Selfie, Facebook und Instagram stark vergrößert?

Worseg: Vor allem bei Jüngeren haben durch soziale Medien die Beschäftigung mit dem eigenen Körper und Probleme mit dem Selbstbild zugenommen. Zugleich sorgen diese aber auch dafür, dass bei Älteren der Trend zur Schönheitschirurgie teils wieder abflacht. Es gibt Plattformen, auf denen gilt: So wie du aussiehst, bist du gut. Das Schönheitsideal wurde breiter.

STANDARD: Haben Sie Skrupel bei der Behandlung junger Frauen?

Worseg: Es ist seit einigen Jahren gesetzlich geregelt, dass ästhetische Operationen erst ab 18 Jahren zulässig sind. Außer man kann durch ein Gutachten psychische Probleme nachweisen, was wir jedoch sehr selten ausnützen. Das Klischee, zum 18. Geburtstag gibt es eine neue Nase, spielt es nicht.

STANDARD: Männer sind als Patienten immer noch in der Minderheit. Sind die Ansprüche der Frauen an deren Aussehen so niedrig?

Worseg: Für Frauen ist ihr Körper der Inbegriff ihrer Weiblichkeit, für Männer ein Instrument, das zu funktionieren hat. Für viele Männer ist ihr Körper ein Feind, gegen den sie beim Sport ankämpfen. Sie definieren sich zumeist eher über Muskeln und berufliche Erfolge.

STANDARD: Haben Sie beim Operieren ein Bild vor Augen?

Worseg: Für jeden Winkel, jeden Busen gibt es Normen. Mit der Praxis hat das aber wenig zu tun. Es geht um Einfühlungsvermögen, es muss halt alles zusammenpassen.

"Die Mehrheit der Patienten hat Erwartungen, die weit über das Körperareal, das sie stört, hinausgehen", sagt Worseg.

STANDARD: Sind Sie so etwas wie ein Kunsttischler?

Worseg: Das ist zu pragmatisch. Wichtig ist, sich zu überlegen, warum jemand überhaupt bei mir ist. Weil er Aufmerksamkeit auf sich ziehen will? Oder weil er sich geniert und sich vor den Augen anderer schützen will? Das sollte mehr Einfluss aufs Operieren haben als die reinen Maße.

STANDARD: Ob einer Hilfe braucht oder bei Psychologen besser aufgehoben wäre – wie entscheiden Sie frei eigener Interessen? Schließlich geht es für Sie um viel Geld.

Worseg: Natürlich spielt Geld eine Rolle. Und manchmal habe ich kein gutes Gefühl. Aber wenn ich es nicht mache, macht es wer anderer. Die Mehrheit der Patienten hat Motive und Erwartungen, die weit über das Körperareal, das sie stört, hinausgehen. Die meisten haben Körperbildstörungen und vermindertes Selbstwertgefühl. Sie wollen höhere Lebensqualität, sie erwarten sexuell, sozial, partnerschaftlich weit mehr als die bloße Veränderung ihres Körpers. Doch das emotionale Bild, das man von sich hat, ändert sich. Oft schickt man Leute weg, die dar über später froh sind. Das hat mit Fairness zu tun. Trotzdem werfen mir manche vor, das Argument des Helfens sei nur eine Ausrede für den Job.

STANDARD: Ist es das nicht?

Worseg: Fragt man Leute, was sich nach der Operation geändert hat, erzählen sie, zumindest kurzfristig das Gefühl zu haben, zufriedener und glücklicher zu sein.

STANDARD: Worin liegt die Sehnsucht des Menschen nach Schönheit begründet?

Worseg: Sie ist der Inbegriff von Sexualität und Fortpflanzung.

STANDARD: Lässt sich ihr Wert finanziell bemessen?

Worseg: Nein. Aber zig Studien belegen, dass schöne Menschen erfolgreicher sind, mehr Geld verdienen, bessere Noten bekommen und vor Gericht weniger Strafen ausfassen.

STANDARD: Sind Schönheitsoperationen ein nachhaltiges Investment? Anders als bei Immobilien droht ja ein vergleichsweise rascher Werteverfall.

Worseg: Das Altern spricht da ein bisserl dagegen. Nachhaltig ist es, wenn einer schon als Kind schön ist und sein ganzes Leben lang den Halo-Effekt mitnimmt – was bedeutet, dass einem Attribute angedichtet werden, die man vielleicht gar nicht hat, die aber wirtschaftlich eine enorme Rolle spielen.

STANDARD: Fordern Kunden mitunter auch ihr Geld zurück?

Worseg: Das kommt immer wieder vor, vor allem wenn Erwartungen nicht erfüllt werden oder die Behandlungen kreditfinanziert sind – eine ungute Zeiterscheinung. Beginnt der Busen zu hängen oder nehmen Leute wieder zu, meinen sie: Die Kohle hole ich mir wieder.

STANDARD: Sollte die Sozialversicherung für Eingriffe aufkommen?

Worseg: Die meisten Leute, die sich einer Operation unterziehen, haben ein soziales, persönliches Problem – mit allen Folgen wie Depressionen, sozialer Vereinsamung und Angststörungen. Hier müsste die Sozialversicherung zahlen. Bei kleinen Kindern mit abstehenden Ohren zahlt sie ja auch. Auch Psychologen und Psychiater werden bezahlt.

STANDARD: Aber wo ziehen Sie die Grenze? Ab wann ist ein subjektiver Makel echtes Gift für die Seele?

Worseg: Diese Diskussion ist uralt. Schon im alten Griechenland diskutierten Ärzte, was mit dem hippokratischen Eid vereinbar ist und was verwerflich. Die Alterung hinauszuzögern passte. Etwas zu verändern, was einen stört, war jedoch verwerflich. Im Mittelalter argumentierte man, ältere Frauen hätten das Recht auf Verschönerung, um nicht von ihrem Mann gescholten zu werden. Wollte man sich nur so verändern, war es Gotteslästerung.

STANDARD: Sie sind sehr wohlhabend. Kollegen meinen, mit konservativem Zugang zum Beruf, also so wenig chirurgischen Eingriffen wie möglich, wird man nicht reich.

Worseg: Ein falsches Klischee. Mit nicht chirurgischer Medizin lässt sich weitaus mehr verdienen. Wer operiert, hat unendlich hohe Nebenkosten. Das große Geld macht man vielmehr mit kleinen Eingriffen, die nicht viel kosten.

STANDARD: Sie kommen aus der rekonstruktiven Chirurgie. War die Entscheidung für die reine Schönheit richtig?

Worseg: Es war meine schwierigste berufliche Entscheidung – und geschah aus Trotz. Ich hatte Jobs, um die ich mich bewarb, nicht bekommen und war grantig. Ich hatte dann lange Zeit das Gefühl, abgestiegen zu sein. Das änderte sich im Laufe der Jahre, auch wenn ich mich manchmal immer noch frage, was ich da eigentlich mache. Mittlerweile sind Schönheitschirurgen gesellschaftlich anerkannt. Viele Kollegen, die mich Verräter nannten, sind heute selber welche.

STANDARD: Warum greifen Sie in Fernsehdokusoaps zum Skalpell?

Worseg: Fernsehsendungen sind Werbung. Auch wenn wir sagen, es geht um Aufklärung. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Aber jeder, der die Möglichkeit dazu hat und unternehmerisch denkt, wird es machen, auch wenn diese Filme in der Ärzteschaft und Ärztekammer mehr als umstritten sind.

STANDARD: Würden Sie es nicht machen, macht es wer anderer?

Worseg: Zu 100 Prozent.

STANDARD: Sie tanzen ebenso regelmäßig auf dem Societyparkett. Lieben Sie die Öffentlichkeit so sehr oder dient diese dem Geschäft?

Worseg: Ich weiß nicht, ob es dem Geschäft hilft. Aber Bekanntheit ist wichtig, natürlich schaut man auf Medienpräsenz. Ab einem gewissen Status tauchst du halt wo auf – und bist in der Zeitung. Es scheint, als ob du jeden Tag weg wärst. Was nicht stimmt, weil man früh aufsteht und Kinder hat.

STANDARD: Ärzte haben die "Seitenblicke"-Gesellschaft nicht nötig.

Worseg: Weil sie keine Unternehmer sind, im Spital arbeiten. Ich muss unternehmerisch denken.

Worseg: "Ärzte sind Kleingeldzähler. Das habe ich nie gemacht. Um raufzukommen, muss man großzügig denken."

STANDARD: Sind Sie ein guter Unternehmer?

Worseg: Ein sehr guter. Sonst hätte ich kein Spital aufbauen können. Das ist unüblich für Ärzte. Sie sind eher Kleingeldzähler, schauen auf jeden Groschen und streiten um fünf Euro, anstatt sich darauf zu konzentrieren, dass was weitergeht. Das habe ich Gott sei Dank nie gemacht, vielleicht wegen meiner Herkunft aus der Gastronomie. Man muss, um raufzukommen, großzügig denken, Freude am Gestalten haben. Ich habe mein Geld immer investiert.

STANDARD: Standen Sie finanziell je an der Kippe?

Worseg: Natürlich, mit dem Spital. Aber das ist nicht nur eine Egosache, da geht es um Freiheit, man kann sich das Personal selbst aussuchen, sich verwirklichen. Mit einem großen Auto hineinzufahren ist eine Klischeegeschichte. Die Wahrheit ist, dass du fünfmal die Woche in der Buchhaltung bist und schaust: Wo stehen wir, können wir die Urlaubsgehälter zahlen? Wie in jedem Betrieb.

STANDARD: Sie haben Ihr erstes Geld mit Zeitungsaustragen verdient, später ein Lokal eröffnet. Wovon haben Sie damals geträumt?

Worseg: Von Erfolg. Ich habe immer von Erfolg geträumt. Von Erfolg und Freiheit. Beides hängt zusammen, und beides habe ich bis zu einem gewissen Grad erreicht. Auch Risikobereitschaft hat mich gereizt, das ist wie eine Sucht. Den Fleiß habe ich genetisch in mir.

STANDARD: Kommen Sie aus einer Unternehmerfamilie?

Worseg: Nein, meine Eltern waren einfache Leute. Sie haben mir eine gerade Linie im Leben mitgegeben. Das hat mir viel geholfen. Ich hatte nie das Gefühl, Leichen zu hinterlassen, egal wo ich war. Ich habe niemanden übervorteilt und keinem was weggenommen.

STANDARD: Sie arbeiteten als Chirurg ein Jahr lang in China. Was lehrte Sie Asien?

Worseg: Ich war um die 30 und genau im richtigen Augenblick im China. Ich war als Arzt rasant aufgestiegen und ein bisserl reingekippt in: Ich bin der Doktor. China hat mich da völlig runtergeholt. Arbeiter und Taxifahrer waren in China damals mehr wert als Ärzte. Diese haben vor allem funktionieren, dienen müssen und haben alle gleich viel verdient. Es war eine andere Welt. Das hat mich bis heute sehr beeinflusst. Man holt sich seine Meriten vielleicht nach außen hin über Geld, über Autos, eine schöne Frau. Aber auf mein Inneres hat es keinen Einfluss.

STANDARD: Sie überlegten ja einst auch die Expansion ins Ausland.

Worseg: Der Versuch wäre im Ostblock locker aufgegangen, aber mir fehlte die Zeit. Und warum sollte ich woanders hin, wenn es auch hier gut rennt? Transferiere ich Konzepte, kann ich nicht mehr Arzt sein. Ein Spital zu haben ist das Ende der Fahnenstange, was das Unternehmertum betrifft.

STANDARD: Sie führen aufgrund einer Villa in den Wiener Weinbergen auch eine Buschenschank – allerdings nicht ganz freiwillig?

Worseg: Ich müsste es von Behörden wegen nicht in dem Ausmaß betreiben, wie ich es mache. Aber bevor halbert, mache ich es lieber ganz. Ich weiß nicht, wie viele Häuser in Wien eigentlich ausstecken müssten. Da werden dann zweimal im Jahr Freunde zum Heurigen eingeladen.

STANDARD: Ihre einstige Praxisgemeinschaft in Döbling löste sich im Streit auf.

Worseg: Das ist ausgefochten. Man geht als Unternehmer auch Partnerschaften ein, die nicht funktionieren. Ich geniere mich nicht dafür. Aber man muss wieder zurück an den Start, menschlich wie finanziell. Es war meine größte Niederlage, die ich aber so nicht einstecken konnte. Ich kaufe den Standort zurück. Es geht ums Habenwollen – und tut dem Ego gut.

STANDARD: Zurück zu den Schönheitsoperationen. Sie sagten einst, es gibt kaum etwas Dekadenteres. Leben Sie von Dekadenz?

Worseg: Ja: Unsere Gesellschaft ist am absteigenden Ast, und absteigende Gesellschaften sind immer dekadent. Denn es geht uns gut, und wer weiß, wie es morgen weitergeht. Doch in Zeiten der Dekadenz werden die Künste groß.

STANDARD: Unsere Gesellschaft geht den Bach hinunter?

Worseg: Zu 1.000 Prozent. Es gibt Werteverfall, Persönlichkeitslosigkeit, Zukunftslosigkeit. Hinzu kommt die gefährliche Mischung der Kulturen und Nationalitäten. Das ist eine Zeitbombe, das spüren die Menschen. Denkt man heute mit gutem Gefühl 20 Jahre voraus in die Zukunft? Nicht wirklich. (Verena Kainrath, 6.1.2019)