Kein Tatort, sondern eine Algenblüte: Chlamydomonas nivalis in voller Pracht.

Foto: Thomas Leya

Lichtmikroskopische Aufnahme der etwa zwei Hundertstel Millimeter kleinen Zysten.

Foto: Thomas Leya

Als 1818 britische Seefahrer auf der Suche nach einer Nordwestpassage die Küsten der Baffins Bay auf Grönland entlangsegelten, staunten sie über Schneefelder in "dunkler Karmesinfarbe". Wie Kapitän John Ross beschrieb, war der Schnee "den Fels herunter, an einigen Stellen bis zu einer Tiefe von zehn bis zwölf Fuß von dem färbenden Stoff durchdrungen". Die Schiffsoffiziere betrachteten Proben unter dem Mikroskop und fanden darin dunkelrote, samenkornartige Gebilde.

Wie man heute weiß, wird die rote Farbe im Schnee durch die Alge Chlamydomonas nivalis hervorgerufen. Bei den mikroskopisch kleinen, roten Gebilden handelt es sich um beinahe leblose Dauerstadien, sogenannte Zysten. Sie sind von einer Substanz ummantelt, die auch Pollenkörnern ihre Widerstandskraft verleiht. "Bislang hat noch kein Wissenschafter diesen zu den Grünalgen zählenden Organismus im Labor kultivieren können", sagt Thomas Leya vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie in Potsdam. Algenforscher der Deutschen Botanischen Gesellschaft (Sektion Phykologie) haben Chlamydomonas nivalis zur Alge des Jahres 2019 gekürt.

Carotinoid als Sonnenschutz

"Die vermehrungsfähigen Stadien der blutroten Schneealge müssten eigentlich aufgrund des enthaltenen Photosynthese-Farbstoffs, des Chlorophylls, grün sein", so Leya. Tatsächlich gibt es auch eine ganze Reihe anderer Schneealgen, die Schnee großflächig grün färben können. Die rote Farbe in Chlamydomonas nivalis wird aber durch Astaxanthin hervorgerufen, ein Carotinoid, das man auch in Garnelen oder Lachs findet – letztere eignen sich den Farbstoff erst durch den Verzehr von rotgefärbten Algen an. In der Alge schützt der blutrote Farbstoff die lichtempfindliche Photosynthese-Maschinerie vor zu intensiver Sonnenstrahlung. Vermutlich dient das Astaxanthin auch dazu, das Erbmaterial im Zellkern vor schädigendem UV-Licht abzuschirmen.

Die blutrote Schneealge kommt fast überall auf der Welt vor, wo ewiger Schnee herrscht: in der Arktis, der Antarktis und im Hochgebirge. Forscher nehmen an, dass sie an ihren kalten Lebensraum gebunden ist und bei höheren Temperaturen abstirbt. Nachgewiesen ist das aber noch nicht. Auch über den jährlichen Zyklus der Entwicklung der roten Schneealgenfelder ist wenig bekannt. "Wir wissen zwar, wie Roter Schnee aussieht, aber wir wissen nicht wirklich, wie diese mikroskopische Alge es schafft, im Frühsommer, wenn noch mehrere Meter Neuschnee liegen, solche Massen an Zellen hervorzubringen. Dabei handelt es sich ja um eine regelrechte Algenblüte", sagt Leya.

Auch wenn das Phänomen des Roten Schnees seit 200 Jahren bekannt ist, liegt noch vieles darüber im Dunklen. Dabei ließen sich diese kälteangepassten Schneealgen vielleicht auch industriell nutzen. Da Chlamydomonas nivalis bislang nicht im Labor kultivierbar ist, müssen zur Untersuchung der roten Zysten immer wieder neue Proben gesammelt werden. "Solange wir davon keine lebenden Reinkulturen haben, wird sich ihr Leben weiterhin im Verborgenen abspielen", so Leya. Vielleicht verleiht ja die Wahl zur Alge des Jahres der Forschung dazu neuen Auftrieb. (red, 8.1.2019)