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Diese Verkehrsüberlastung ist eine Übung – noch.

Foto: AP / Tim Ireland

Wie soll es nun weitergehen? Knapp drei Monate vor dem geplanten EU-Austritt trieb diese Frage am Montag, dem ersten Tag nach den Weihnachtsferien, die britischen Parlamentarier um. Schon diese Woche könnten all jene Abgeordneten die Muskeln spielen lassen, die den Chaosbrexit ohne Austrittsvereinbarung verhindern wollen. Am Dienstag kommender Woche soll das Unterhaus endlich über das Verhandlungspaket abstimmen, das Premierministerin Theresa May Mitte November aus Brüssel mitgebracht hat.

Die konservative Regierungschefin lobt Austrittsvertrag und politische Erklärung unverdrossen als "guten Deal". Wie im Advent, als die fünftägige Debatte kurzerhand unterbrochen und die Abstimmung abgesagt wurde, steuert die Regierung aber auch diesmal auf eine schlimme Niederlage zu: Den Brexit-Ultras der eigenen Fraktion ist Großbritanniens zukünftige Position zur Gemeinschaft viel zu nah, den Brexit-Gegnern der Opposition nicht nah genug.

Die Tory-Premierministerin stellt den Zweiflern vage "weitere Zugeständnisse" der EU-Partner in Aussicht – gewiss ein Thema der Gespräche, die der deutsche Außenminister Heiko Maas am Dienstag mit der irischen Regierung führen will. Der Dubliner Premier Leo Varadkar gilt als hilfsbereit gegenüber May, pocht aber auf die rechtliche Verankerung der sogenannten Auffanglösung ("backstop") für Nordirland. Dadurch soll die innerirische Grenze durchlässig bleiben.

Hypothetischer Ernstfall

Welche Konsequenzen das hätte, sollte am Montag eine großangelegte Übung in der südöstlichen Grafschaft Kent zeigen. Vom stillgelegten Flughafen Manston aus bewegte sich ein Konvoi von knapp 100 Schwerlastern zum Hafen von Dover, dem Nadelöhr des Handels zwischen der Insel und dem Kontinent. Manston soll als riesiges Auffanglager dienen, falls die Staus bei der Abfertigung zu groß werden. Zwar gelang das Experiment, doch die Stimmung der Trucker blieb düster: "Es fühlt sich an wie die Generalprobe zu meiner Hinrichtung", grummelte Simon Wilkinson, der zusätzliche Kosten im Fall eines ungeordneten Brexits fürchtet. Die Gesetzeslage in Großbritannien ist eindeutig: Sollte das Parlament den Austrittsvertrag nicht verabschieden, kommt es in der Nacht zum 30. März zum ungeordneten Austritt. Eine parteiübergreifende Gruppe von mehr als 200 Abgeordneten, darunter auch 22 Tories, hat an May appelliert, dieses Szenario auf jeden Fall auszuschließen.

Aber dazu macht die Regierungschefin keine Anstalten, weshalb eine andere Gruppe zu rabiaten Mitteln greifen will. Einige Parlamentarier, darunter die Vorsitzenden der Ausschüsse für Finanzen und Inneres, Nicky Morgan und Yvette Cooper, wollen der Regierung à la USA den Geldhahn zudrehen. Eine Abstimmung könnte bereits heute, Dienstag, anstehen, wenn das neue Haushaltsgesetz beraten wird. Tags darauf beginnt dann die eigentliche Brexit-Debatte über den EU-Austrittsvertrag, deren Abstimmung für kommenden Dienstag vorgesehen ist.

Und dann? Abhängig von der Höhe ihrer Niederlage müsste die Premierministerin entscheiden, ob sie nach neuerlichen Gesprächen mit Brüssel das Paket noch einmal zur Abstimmung vorlegt. In jedem Fall stehen den 643 aktiven Parlamentariern anstrengende Wochen ins Haus. Schon ist von der Streichung der einwöchigen Ferien im Februar und von Wochenendsitzungen die Rede. Immerhin müssen sieben umfangreiche Gesetzesvorhaben bis Ende März abgeschlossen werden – unabhängig davon, wie geordnet die Insel die EU verlässt. (Sebastian Borger aus London, 7.1.2019)