Choreograf und Tänzer Ian Kaler: "Wenn ich mich in einem Bereich wohlfühle, suche ich die nächste künstlerische Challenge, um eine Erweiterung zu schaffen. Nicht weil ich ständig den Kick brauche, sondern aus Neugier."

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Dem Flair des Geheimnisses, das Ian Kaler umgibt, hängt etwas Zurückhaltendes an. Genauso wie der Blick seiner ruhigen Augen den Interviewer nicht durchdringend mustert, sondern bloß aufmerksam und abwartend betrachtet. Hinter diesem Blick allerdings und unter der Sanftheit seiner Stimme verbergen sich die Dringlichkeit, der Wille zu Veränderung und Anderssein, die den Stücken dieses österreichischen Choreografen ihre faszinierende Intensität verleihen.

In die Wiener Tanzszene angaloppiert ist Kaler 2010 von Berlin aus seinem Solostück Save A Horse, Ride A Cowboy. Damals noch als Frau mit dem Vornamen An und als Vorreiterin der heute selbstverständlichen Thematisierung von Gender im österreichischen Tanz. Seitdem hat Kaler den Wechsel zum männlichen Ian vollzogen. Sein Aussehen ist verändert, seine Stimmlage auch. Arbeitet er jetzt freier? "Ja, ich kann mehr ich sein und mich so zeigen", sagt der heute 36-Jährige. Schwer zu sagen, meint er, wann der Wandel vollzogen war. "Ich habe auch das Gefühl, dass unabhängig von meiner Transition jedes meiner Stücke auf dem vorangegangenen aufbaut."

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Heute kann er seine Körperlichkeit jedenfalls akzeptieren und lotet aus, "was ich mit der Kraft und meinem heutigen Körper kann, das früher nicht gegangen wäre". Mittlerweile hat er sich Muskeln antrainiert und mit Boxen begonnen. Sein Wechsel von körperlichen Techniken der Entspannung zu hartem Krafttraining ist eine für Tänzer radikale Entscheidung.

Durchgeboxt hat er sich auch zu seinem Selbstwerden. Dieses treibt Ian Kalers künstlerische Laufbahn an. Es zieht sich durch alle seine Arbeiten, die ihm seit Anfang der Zehnerjahre schnell Beachtung und schließlich einen fixen Platz in der europäischen zeitgenössischen Choreografie eingebracht haben. Kaum findet er sich an einem Ort zurecht, schaut er schon um die nächste Ecke: "Wenn ich mich in einem Bereich wohlfühle, suche ich die nächste künstlerische Challenge, um eine Erweiterung zu schaffen. Nicht weil ich ständig den Kick brauche, sondern aus Neugier."

Seine Künstlerbiografie war von Beginn an eine Entdeckungsreise. Vom Gymnasium zum Institut für transmediale Kunst an der Wiener Angewandten, von da ans Tanzinstitut der Linzer Bruckner-Universität und weiter ins hippe Berliner Hochschulübergreifende Zentrum Tanz, wo er mit seinem Cowboy-Stück abschloss. Ian Kaler hatte also erst gar nichts mit dem Tanzen zu tun. Auf den Weg gebracht haben ihn erst das Stück Alibi der US-Choreografin Meg Stuart und ein Mitmacherlebnis als Nochnichttänzer bei einem Projekt von Alain Platels Company Les ballets C de la B im Tanzquartier Wien.

Neugier auf Unbekanntes macht sich auch in Ian Kalers neuer Choreografie bemerkbar, an der er neun Wochen lang im winterlichen Stockholm gearbeitet hat. Das Stück mit dem Titel On the Cusp (An der Schwelle) wird ab Donnerstag im Tanzquartier Wien uraufgeführt. Kaler selbst wird diesmal nicht auf der Bühne sein. Er "dirigiert" die sechzehn Tänzerinnen und Tänzer der renommierten schwedischen Company Cullbergbaletten von außen.

Künstlerische Allianzen

Das Besondere an dieser vor mehr als 50 Jahren gegründeten Formation ist, dass sie sich heute ihre Choreografen selbst aussucht. Die müssen bereits einen Namen haben und mit der aus ganz unterschiedlichen Typen zusammengesetzten Gruppe zurande kommen.

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Genau die richtige Challenge für Kaler: "Ich arbeite zum ersten Mal mit einer so großen Anzahl von Tänzern." In seinem Vorgängerstück Livfe vor zwei Jahren hat der Choreograf als Solist mit autobiografischen Motiven gearbeitet und dabei erstmals auch seine Stimme hören lassen. Für Tänzer ist das Sprechen auf der Bühne ja nicht selbstverständlich, sondern ein Akt der Selbstbehauptung. Daher hat Kaler das erst mit seiner männlichen Stimme getan. Die hatte er mit einem Coach trainiert und diese Erfahrung in eine Videoinstallation, Me becoming myself (unfinished), einfließen lassen, die 2016 bei Impulstanz zu sehen war.

Seine Laufbahn ist ein Musterbeispiel dafür, wie sehr das Künstlersein eine Selbstsuche ermöglichen kann. Nur so offenbar konnte Ian Kaler sein besonderes Werk entwickeln. "Für mich als Choreograf und Tänzer war von Anfang an wichtig, nicht nur Bilder zu erzeugen, sondern zu schauen, wie es möglich ist, über Bewegungen ein eigenes Arbeiten mit dem Körper zu entwickeln."

Dabei haben sich spezielle künstlerische Allianzen ergeben. Etwa mit Planningtorock aka Jam Rostron, von dem der Sound für On the Cusp kommt. Der Musikstar arbeitet mit Kaler gerade an der Konzertperformance Powerhouse, die Mitte Jänner nach einer Leipziger Vorschau im Berliner Club Berghain Premiere hat. Wieder eine neue Erfahrung. Diese Offenheit macht viel von Kalers Geheimnis aus. (Helmut Ploebst, 8.1.2019)