Chromosomenfehler sind der häufigste Grund für Fehlgeburten. "Das ist keine Anomalie, es ist die Regel", sagt der US-Forscher William Richard Rice.

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20 Jahre sei es her, berichtete die ehemalige First Lady Michelle Obama im vergangenen November bei der Vorstellung ihrer Memoiren. 20 Jahre sei es her, dass sie eine Fehlgeburt erlitten habe. Danach fühlte sie sich als Versagerin, einsam und verloren. "Ich dachte, ich habe versagt, weil ich nicht wusste, wie normal Fehlgeburten sind, weil man nicht darüber redet", sagte Obama in Interviews.

Auch heute denken Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, immer noch, nur ihnen passiere das, es handle sich um ein seltenes Ereignis – und sie tragen die Schuld dafür. Ein verbreiteter Irrglaube, auch weil das Thema immer noch ein Tabu ist.

Sehr wahrscheinlich, so zeigte eine im Juli 2018 erschienene US-Studie, erlebt jede Frau im Laufe ihres Lebens mehr Fehlgeburten, als sie Kinder lebend zur Welt bringt. Dies gehöre, so der Forscher und Autor der Studie William Richard Rice von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara, zum Fortpflanzungskonzept dazu, um lebensfähiges Leben auf die Welt zu bringen. Am Beispiel Dänemark erläutert der Wissenschafter, dass dort jede Frau im Schnitt 1,7 Kinder habe, im Laufe ihres Lebens aber auch 2,1 Fehlgeburten.

Die meisten Fehlgeburten werden nicht bemerkt

Bisher hatten nur einige wenige Studien die Vermutung aufgestellt, dass eine Fehlgeburt das häufigste Ergebnis einer Schwangerschaft sei. Rice sichtete für seine Untersuchung unterschiedliche Quellen. Unter anderem auch Daten von künstlichen Befruchtungen, die zeigen, wann und wie häufig ein implantierter Embryo abstirbt oder ob es zur Geburt kommt. Andere Studien ermittelten, wie die Rate an tödlichen chromosomalen Abnormalitäten mit dem Alter der Frau ansteigt.

Die meisten Fehlgeburten werden von den Schwangeren allerdings nicht bemerkt, sie passieren häufig in den ersten Tagen nach der Befruchtung. Die Regelblutung tritt dann einfach etwas später ein. Es gebe für Fehlgeburten viele Gründe, so Rice, aber Chromosomenfehler seien dabei die häufigsten. "Das ist keine Anomalie, es ist die Regel", sagt er.

Eine Fehlgeburt sei daher bei einer Schwangerschaft nichts Ungewöhnliches, sie gehöre dazu. Schon bei einer 20-Jährigen sei das Risiko, eine Fehlgeburt zu erleiden, genauso hoch wie die Wahrscheinlichkeit, ein Kind lebend zu gebären. Schon ab dem 25. Lebensjahr ist die Fehlgeburtenrate aber größer als die Lebendgeburtenhäufigkeit. Mit zunehmendem Alter der Frau schießt dieses Risiko in die Höhe. Frauen, die auf die 50 zugehen, hätten im Schnitt 30 und mehr Fehlgeburten im Verhältnis zu einer Lebendgeburt, so Rice. Das sei der Grund, warum ältere Frauen deutlich länger brauchen, um ein Kind zu bekommen.

Fehlerhafter Chromosomensatz

Der Zellbiologe Mark Wossidio von der Universität Wien teilt die Auffassung von Rice: "Frühe embryonale Aborte oder abnormale Embryonalentwicklungen sind Bestandteil unserer Fortpflanzung." Nach seinen eigenen Erfahrungen und anderen Studien überleben etwa nur 30 bis 50 Prozent aller befruchteten menschlichen Eizellen die ersten fünf, sechs Tage der sogenannten Präimplantationsentwicklung. Im Vergleich dazu überstehen bei Tieren wie Mäusen 80 bis 90 Prozent aller befruchteten Eizellen diese Zeit.

"Wir wissen, dass etwa 50 Prozent aller befruchteten Eizellen einen fehlerhaften Chromosomensatz vorweisen", sagt Wossidio. Noch sei ungeklärt, an welcher Stelle der Zellteilung es zu diesen Fehlern komme. "Die Gründe für eine embryonale oder fötale Fehlentwicklung sind besonders mit steigendem Alter der Frau sehr vielseitig."

Zum einen spiele hier die Qualität der Eizellen eine große Rolle, die sich mit steigendem Alter stark verändern kann – die Eizellen sind bei der Frau bereits bei ihrer Geburt in den Eierstöcken fertig angelegt und begleiten sie sozusagen ein Leben lang. Nach der Einnistung des Embryos spielen aber auch die gegebenen Bedingungen im Uterus der schwangeren Frau eine große Rolle, denn sie können das Wachstum des Kindes negativ beeinflussen.

Lebensstil hat nur geringen Einfluss

Im Jahr 2012 hatte ein US-amerikanisches Forscherteam in einer Übersichtsarbeit gezeigt, dass in jeder der ersten zwölf Wochen nach der Befruchtung etwa zwei von hundert Schwangeren eine Fehlgeburt erleben. Ab der 13. Woche sinkt die Fehlgeburtenrate kontinuierlich. Je nach Datenquelle haben so im Laufe der fünften bis 20. Schwangerschaftswoche elf bis 22 von hundert Schwangeren eine Fehlgeburt.

Nur bei zwei bis fünf Prozent der Schwangeren treten Fehlgeburten vermehrt auf. "Frauen müssten sich daher nach einer ersten Fehlgeburt noch keine Sorgen machen", sagt Bettina Toth, Reproduktionsmedizinerin an der Medizinischen Universität Innsbruck. Das Verschmelzen von Spermium und Eizelle sein ein hochkomplexer Vorgang, der nicht immer gleich klappe.

Tatsächlich ist es so, dass es im Ablauf "Eisprung, Befruchtung der Eizelle und Einnistung" viele Störfaktoren gibt. Das startet mit der Interaktion von Spermien und Eizelle und geht weiter mit einer fehlenden Einnistung aufgrund von Entzündungen, immunologischen Störungen oder anderen Problemen. "Der Lebensstil aber hat hierbei nur einen geringen Einfluss", sagt Toth. Erst nach drei aufeinanderfolgenden Fehlgeburten sollte der Arzt abklären, ob es einen Grund dafür gibt. (Andreas Grote, 9.1.2019)