Frage:

"Meine zwei Kinder sind diesen Herbst auf den Geschmack gekommen, dass es lustig ist, wenn sie Kinder zu sich einladen. Seitdem haben wir fast jeden Tag Besuch. Anfangs hat es mir auch Spaß gemacht, ich habe es sogar unterstützt, vor allem auch, weil das Wetter oft nicht so schön war und wir sowieso nicht in den Park gehen konnten. Manchmal nehme ich ein befreundetes Kind von meinem Sohn mit vom Kindergarten oder bei der Kleinen kommen auch Elternteile mit. Dazu kommt, dass unsere zwei Nachbarskinder oft einfach läuten und vor der Tür stehen.

In einigen Familien steht die Tür immer offen für Nachbarskinder.
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Mir wird das langsam zu viel, ich will aber nicht unfreundlich sein, und außerdem macht es den Kindern, bis auf ein paar Ausnahmen, Spaß. Wie soll ich mich verhalten?"

Antwort von Katharina Weiner:

Mit einem guten Gewissen Nein zu sagen gilt auch für Nachbarskinder und Freunde. Ich kann nachvollziehen, dass es Ihnen Freude bereitet, wenn Sie Ihre Kinder gut versorgt mit Freundschaften und Zeit zum Spielen wissen.

Dennoch beinhaltet ein Familienleben noch manches mehr, wie Haushalt, Verpflichtungen und auch Ruhezeiten. Je mehr wir Kinder mit Unterhaltung versorgen, desto schwieriger wird es für sie, ihre eigene Kreativität wahrzunehmen und ohne Anregung von außen Freude mit sich selbst zu empfinden.

Es darf also zwischendurch ruhig langweilig erscheinen. Das mag zu Beginn für alle etwas unangenehm, auch mit physischem Unwohlsein verbunden sein. Dennoch bietet es Ihnen und Ihren Kindern die Möglichkeit, gut mit sich selbst auszukommen, ohne Fremdstimulation und damit verbundenen Abhängigkeiten.

Also sagen Sie ruhig: "Ich habe es ausprobiert, sehr oft noch jemanden bei uns zu haben. Jetzt merke ich, dass mir das zu viel wird. Deshalb werde ich in Zukunft auch mal Nein sagen, wenn ich spüre, dass ich Ruhe brauche." (Katharina Weiner, 13.1.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin, Coach und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
Foto: Sven Gilmore

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Da kann man Ihren Kindern nur gratulieren. Sie machen das, was unserer menschlichen Natur am ehesten entspricht. Eine bekannte US-amerikanische Anthropologin und Primatenforscherin hat herausgefunden, dass wir Menschen uns vor allem durch unser mannigfaltiges Sozialleben von unseren nächsten Verwandten unterscheiden. Was ihr besonders auffiel, war ein entscheidender Unterschied in der Kinderbetreuung bei Menschen und Affen.

Bei Naturvölkern werden Babys viel häufiger als bei Affen auch von anderen Mitgliedern der Gruppe betreut, etwa während der Hälfte der Zeit. Die Mutter ist in erreichbarer Nähe, aber sie steht nicht andauernd in der unmittelbaren Pflicht. Das verlässliche Abrufen der Bindung an die Mutter und nicht der andauernde direkte Kontakt scheint für uns Menschen der entscheidende Schlüssel für eine artgerechte Kindheit zu sein.

Allerdings sind wir von einem solchen Konzept in unserer Gesellschaft meilenweit entfernt. Genau dieses entscheidende Modell von Eltern auf Abruf existiert bei uns kaum. Doch welche Eltern würden nicht ins Schwärmen geraten angesichts der Möglichkeit, die Hälfte des Tages nur auf Abruf und nicht pausenlos bereitstehen zu müssen?

Fazit: Sie sollten die Freundschaften Ihrer Kinder unterstützen. Allerdings sollten Sie dabei auch Ihre eigenen Bedürfnisse berücksichtigen. Und die legen nahe, dass auch die anderen Eltern an die Reihe kommen sollten. Stimmen Sie sich mit Ihren Nachbarn ab, dass die Kinder mal hier und mal dort sein können. Und ganz von selbst werden Sie so auf einmal wieder Zeit für sich und für Ihren Partner haben. (Hans-Otto Thomashoff, 13.1.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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