Seit einem Monat im Amt, will Ümit Vural als neuer Präsident die Islamische Glaubensgemeinschaft nach internen Richtungsstreitereien wieder einen – um damit dem verschärften Kurs der türkis-blauen Regierung gegen Muslime rechtlich fundiert die Stirn bieten zu können. Heuer sollen etwa im Sinne des Bundes die neun Länder sukzessive Kopftuchverbote für Mädchen in den Kindergärten umsetzen. "Ich werde mir die Regelungen genau anschauen", kündigt der studierte Jurist im Interview an. Habe er den Eindruck, dass gegen die Verfassung verstoßen werde, will er "Rechtsmittel anwenden".

"Ich gehe davon aus, dass das erst der Beginn ist. Hier wird ausgelotet, was haltbar ist": Ümit Vural über das Kopftuchverbot in Kindergärten.
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STANDARD: In Niederösterreichs Kindergärten sind bereits Strafen bis zu 440 Euro bei Verstößen gegen das Kopftuchverbot geplant. Ist schon entschieden, ob die Islamische Glaubensgemeinschaft die Verbote samt diversen Sanktionen in den Bundesländern anfechten wird?

Vural: Generell erachten wir Verbote als destruktiv. Deswegen setzen wir lieber auf Dialog mit den Eltern. Ich werde mir die Regelungen genau anschauen. Habe ich den Eindruck, dass hier gegen die Verfassung verstoßen wird, werden wir Rechtsmittel anwenden.

STANDARD: Dann ziehen Sie vors Höchstgericht?

Vural: Wenn ich sehe, dass gegen die Verfassung verstoßen wird, muss ich sagen: So nicht! Gott sei Dank gibt es den Verfassungsgerichtshof, der als Korrektiv eintritt, wenn bestimmte Kreise den Boden des Rechtsstaates verlassen.

STANDARD: Die Regierung will mit den Verboten das Selbstbestimmungsrecht von muslimischen Mädchen gewahrt wissen. Doch haben Sie Schätzungen, wie viele Mädchen es mit Kopftuch im Vorschulalter überhaupt gibt?

Vural: Das ist ja das Nächste! Die Zahl ist verschwindend gering. Wir reden also über ein nicht existierendes Problem.

STANDARD: Befürchten Sie, dass das nur der erste Schritt für weitere Kopftuchverbote ist?

Vural: Ich gehe davon aus, dass das erst der Beginn ist. Hier wird ausgelotet, was haltbar ist. Meinem Rechtsempfinden nach ist das ein Verstoß gegen die Religionsfreiheit – vom Gleichheitsgrundsatz abgesehen, weil Symbole anderer Religionen nicht betroffen sind.

STANDARD: Bei Amtsantritt haben Sie gemahnt, dass sich "die Muslime in diesem Land nicht als Bürger zweiter Klasse fühlen dürfen" – handelt die Regierung aus Ihrer Sicht nach diesem Prinzip?

Vural: Wir kennen nicht nur Statistiken, sondern auch die Menschen dahinter und ihre Schicksale – und ich halte fest, dass es nicht sein kann, dass etwa Frauen, die das Kopftuch als religiös sichtbares muslimisches Symbol tragen, in der Öffentlichkeit angepöbelt werden.

STANDARD: Ist das schlimmer geworden?

Vural: Meine Wahrnehmung ist und demnächst liegen dazu unsere Dokumentationen für 2018 vor: Ja, es ist schlimmer geworden. Ich appelliere daher, dass wir alle dagegen Hand in Hand ankämpfen.

STANDARD: Glauben Sie, dass die Regierung mit ihren Vorhaben und Gesetzen eine ohnehin schon vorhandene antimuslimische Stimmung noch befeuert?

Vural: Man kann den neuen Stil der Regierung unterschiedlich beurteilen. Die einen schätzen ihn, andere wiederum nicht. Aber eins macht mich zuversichtlich: Auch wenn Regierungen wechseln, an die Verfassung muss sich die gesamte Politik halten.

"Allein der Umstand, dass es nur eine Sprache betrifft und keine anderen, spricht für sich": Muslimenchef Vural zur Abschaffung von Führerscheinprüfungen auf Türkisch.
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STANDARD: Die Koalition hat dafür gesorgt, dass es ab heuer keine Führerscheinprüfungen mehr auf Türkisch gibt. In anderen Sprachen – etwa Kroatisch – ist das sehr wohl weiterhin erlaubt.

Vural: Als Jurist sage ich, dass das aus der Perspektive des Gleichheitsgrundsatzes ebenfalls zu hinterfragen ist. Allein der Umstand, dass es nur eine Sprache betrifft und keine anderen, spricht für sich.

STANDARD: Werden Sie deswegen auch das Höchstgericht anrufen?

Vural: Da sind andere gefragt, um sich damit zu beschäftigen – aber natürlich gibt es viele Türken, die Muslime sind, die von der Führerscheinprüfung betroffen sind.

STANDARD: Sind Sie erleichtert, dass der Verfassungsgerichtshof ein richtungsweisendes Urteil zu möglichen österreichisch-türkischen Doppelstaatsbürgerschaften gefällt hat, wonach aufgetauchte Listen mit der angeblichen türkischen Wählerevidenz kein taugliches Beweismittel seien?

Vural: Diese Überprüfungen von den Behörden waren von Anfang an sehr fraglich, deswegen bin ich froh, dass das Höchstgericht hier Klarheit und damit Rechtssicherheit geschaffen hat.

STANDARD: Kennen Sie selbst Menschen, die wegen eines etwaigen Verlusts der österreichischen Staatsbürgerschaft Sorge hatten?

Vural: Ich kenne viele, die schockiert waren, wie es kommen kann, dass ihr Name in einer der Listen aufscheint – aber Gott sei Dank ist das nun ausgestanden.

STANDARD: Sie selbst sind im 15. Bezirk aufgewachsen und haben dann am Wiener Juridicum studiert – waren Sie oft mit Vorurteilen konfrontiert?

Vural: Ich habe keine schlimmen Erfahrungen gemacht. Als Kind war ich neben der Schule viel im Park, im Fußballverein, das war sehr multikulti dort, und in der Moschee. In meiner Klasse war ich damals der einzige Türkischsprachige, deswegen habe ich rasch gelernt, Deutsch zu sprechen – das war eine schöne Zeit.

STANDARD: Sie sind türkischer Kurde, gelten aber als Vertreter der Islamischen Föderation, hinter der die türkisch-nationalistische Millî-Görüş-Bewegung steckt – wie passt das zusammen?

Vural: Man könnte auch sagen, dass ich kurdischer Türke sei – aber das sind alles nur Zuschreibungen, die gern von außen getroffen werden. Grundsätzlich ist Millî Görüş eine Art Ideenlehre, genauso wie etwa der Sozialismus – und für mich war die Islamische Föderation wichtig, weil ich und meine Eltern über sie viele Menschen, auch Gastarbeiter, kennengelernt haben, die sich sozial für andere engagiert haben. Und Religiosität und Hilfsbereitschaft sind mir auch heute noch wichtig.

"Nun habe ich 65 Moscheen, die keinen Imam haben. Das ist doch ein Einfallstor für Extremisten, die dieses Vakuum ausnützen könnten", sagt Vural.
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STANDARD: Die Regierung verfügte Mitte des Vorjahrs die Schließung von sieben angeblich islamistischen Moscheen sowie die Ausweisung von bis zu vierzig auslandsfinanzierten Imamen. Wie lautet der Stand in den Causen?

Vural: Die Arabische Kultusgemeinde wurde aufgelöst. Sie hat dagegen Beschwerde eingebracht, und der Akt liegt jetzt beim Landesverwaltungsgericht Wien. Es kann nicht in unserem Sinne sein, dass ein Teil der Glaubensgemeinschaft so einfach aufgelöst wird. Daher zeigen wir uns solidarisch. Derzeit überlegen wir gerade gemeinsam, wie wir die Gemeinde retten können.

STANDARD: Können Sie sich dafür verbürgen, dass es in den sieben von der Regierung beanstandeten Moscheen keine extremistischen Umtriebe gibt?

Vural: Es wurde gesagt, das seien Hassprediger, die ausgewiesen werden. Die Realität hat gezeigt: Die Imame werden ausgewiesen, weil sie aus der Türkei finanziert werden. Das Problem dabei ist: Das steht nur im Islamgesetz – es gilt für keine andere Religionsgemeinschaft. Nun habe ich 65 Moscheen, die keinen Imam haben. Das ist doch ein Einfallstor für Extremisten, die dieses Vakuum ausnützen könnten. Leute, die einen Imam suchen, gehen dann woanders hin, in Moscheen, die nicht unter unserem Dach sind.

STANDARD: Einspruch: Einst haben Sie das Gesetz ja selbst mitverhandelt – und mittlerweile ist auch der Passus, der keine Auslandsfinanzierungen erlaubt, ja schon seit drei Jahren in Kraft.

Vural: Stimmt, das Islamgesetz ist im März 2015 in Kraft getreten, doch wie wollen Sie in dieser Zeit neue Imame ausbilden, das bräuchte doch fünf, sechs Jahre? All das haben wir vorab auch kommuniziert, dass es hier eine Übergangsphase geben sollte. Ich möchte jedenfalls eine religiöse Kontinuität in den Moscheen gewährleistet wissen, deshalb hat Atib (größter muslimischer türkischer Verband hierzulande, Anm.) beim Verfassungsgerichtshof gegen das Ausweisen der Imame Beschwerde eingereicht.

STANDARD: Sie selbst wollen Frauen in der Glaubensgemeinschaft fördern – wie konkret?

Vural: Wenn man sich den Schurarat ansieht, sind dort viel zu wenig Frauen. Dorthin schicken die Kultusgemeinden ihre Delegierten – da habe ich keine große Handhabe. Aber ich werde nach innen sehr wohl kommunizieren, dass wir auch hier ein Abbild der Gesellschaft sein müssen.

STANDARD: Der Rat ist wohl noch eher ein Männerverein, richtig?

Vural: Der Rat hat 123 Mitglieder, nicht einmal 20 Prozent sind Frauen – das ist viel zu wenig. (Peter Mayr, Nina Weißensteiner, 10.1.2019)

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