Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die grüne Spitzenkandidatin und Sozialsprecherin Birgit Hebein kritisieren die Regierungsvorlage zur Mindestsicherungsreform massiv.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Bleibt der Vorschlag so, wie er jetzt auf dem Tisch liegt – dann wird sich die Stadt Wien weigern, den vorliegenden Entwurf zur Mindestsicherung umzusetzen. Das haben Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die Vorsitzende der Wiener Grünen, Birgit Hebein, am Donnerstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz bekanntgegeben.

"Ich bin für den sozialen Frieden in dieser Stadt verantwortlich", sagte Hacker und suggerierte damit, dass ebendieser gefährdet sei, sollten die Änderungen bei der Mindestsicherung in der Bundeshauptstadt umgesetzt werden. Als Sozialstadtrat habe er Verantwortung für alle zu tragen, das schließe auch "Kinder, Behinderte, Alleinerzieher, Wohnungs- und Hoffnungslose" mit ein.

Hebein sieht "Armutsförderungsgesetz"

Genau diese Gruppen würden durch die Reform benachteiligt, führten Hacker und Hebein ins Treffen: Kinder etwa dadurch, dass die Ansprüche pro Kind gestaffelt werden sollen: Dem ersten Kind würden demnach 216 Euro zustehen, dem zweiten Kind 130 Euro, ab dem dritten Kind gäbe es nur mehr 43 Euro. "Der Satz ab dem dritten Kind ist genau so viel, wie Windeln pro Monat kosten", sagte Hebein dazu. 40.000 Kinder wären nach der Rechnung der Stadtregierung von den Kürzungen in Wien betroffen. "Hier handelt es sich um ein Armutsförderungsgesetz", so Hebein.

Diese Kritik übten auch zahlreiche Institutionen wie die Caritas, die Diakonie oder die Armutskonferenz. Zwei weitere Gruppen, die das neue Gesetz demnach benachteiligen würde, seien Menschen mit Behinderungen und Alleinerzieher – obwohl die Regierung hier Gegenteiliges kommuniziert.

Welche Gruppen verlieren könnten

Beiden Gruppen sollen die Länder künftig nach eigenem Ermessen Zuschläge in einem gewissen Rahmen gewähren können. "Es gibt keine Mindeststandards mehr, sondern nach unten offene Leistungen. Dazu gehören solche Kann-Bestimmungen", sagt etwa Martin Schenk von der Armutskonferenz. Hinzu komme, dass, selbst wenn der Bonus ausbezahlt wird, dieser nicht allen Alleinerziehern zugutekommt, etwa wenn drei oder mehr minderjährige Kinder in der Familie sind. Die degressiven Kinderbeiträge würden den Bonus wieder aufheben. "Der Bonus für Kinder in alleinerziehenden Familien versagt genau dort, wo er am dringendsten gebraucht wird", heißt es vonseiten der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende.

Menschen mit Behinderungen könnten Einbußen drohen, weil im neuen Entwurf nicht mehr vorgesehen ist, dass arbeitsunfähige Menschen einen 13. und 14. Bezug bekommen. Außerdem soll die Sozialhilfe geringer ausfallen, wenn Menschen in Wohngemeinschaften leben. "Das trifft vor allem Behinderte und Wohnungslose – wir sprechen hier von massiven Senkungen", sagt Schenk.

Verfassungsrechtsexperten sehen Schwierigkeiten

Betrachtet man die Ausgaben für die Länder, geht Wien von einem steigenden Verwaltungsaufwand aus, beziffern könne man den noch nicht genau. Außerdem könne das Ziel, die Mindestsicherung bundesweit zu vereinheitlichen, nicht mit einem Grundsatzgesetz realisiert werden. Denn dieses müsse den Ländern einen entsprechenden Umsetzungsspielraum gewähren; eine 15a-Vereinbarung mit nicht zu unterschreitenden Mindeststandards wäre ein "geeigneteres Instrument".

Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht meldet die Stadt Bedenken an: Der Entwurf sei über das zulässige Ausmaß konkretisiert, etwa was Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsumfang betreffe. 17 von diesen potenziellen Problemstellungen habe man bei der Prüfung auf Verfassungskonformität und den Einklang mit europarechtlichen Bestimmungen gefunden, erläuterte Hacker. Darunter falle auch die Frage nach der "sachlichen Gerechtfertigkeit" der Kinderstaffelung. Sollte die Regierung das Gesetz nicht überarbeiten, erwäge man durchaus den Gang zum Verfassungsgerichtshof.

Wien-Bashing aus Mauerbach

Ist das Gesetz aber nicht verfassungswidrig, dann dürfte die Stadt am kürzeren Hebel sitzen: Wenn Wien sein Gesetz nicht ändert, dann geht die Kompetenz auf den Bund über, sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk zum STANDARD. Das heißt, der Bund würde anstelle des Landes eine Regelung erlassen, die dann dort gültig wäre. Vollzieht Wien das Gesetz anders als vom Bund vorgegeben, könnte sich dieser mit einer Klage an den Verfassungsgerichtshof wenden. Funk könne sich "nicht erinnern, dass es in einer vergleichbaren Konfliktsituation so etwas schon einmal gegeben hätte".

Von der Regierungsklausur aus Mauerbach kam Gegenkritik: "Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten, und in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um zur Schule zu gehen", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Er wisse nicht, ob Wien das erreiche, was es wolle, wenn die Kompetenz für die Mindestsicherung zum Bund wandere. Die SPÖ wertete dies als "massive Beleidigung" der Wiener Bevölkerung. Der Kanzler habe einem beträchtlichen Teil der Wiener Bevölkerung unterstellt, dass sie faul wären und in der Früh nicht aufstehen würden, zeigte sich Wiens SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak empört.

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) schloss wie auch Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) Änderungen in der Gesetzesvorlage nicht aus. (van, lhag, 10.1.2019)

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