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Telefonieren ist bei jungen Menschen keine akzeptable Kommunikationform mehr.

Foto: REUTERS / Valentyn Ogirenko

Bundesminister Heinz Faßmann ließ im STANDARD-Interview vom 30. 12. 2018 mit einem Satz aufhorchen. "In Wirklichkeit spielt sich nicht viel im Internet ab, sondern in der persönlichen Begegnung." Das mag so sein, im schlecht vernetzten Dorf, fernab von Macht und Zugang. Doch lässt sich nicht leugnen, dass die zunehmende Welle der Digitalisierung uns um eine Menge an etablierten Kulturtechniken und Gewissheiten erleichtern wird. Daran werden wir regelmäßig erinnert, wenn wir sehen, was sich in amerikanischen Forschungslabors oder asiatischen Metropolen abspielt. Aber auch bei uns ums Eck, wenn im öffentlichen Raum alle Gesichter bläulich angeleuchtet sind oder junge Leute sagen, dass nur zu telefonieren keine akzeptable Kommunikationsform mehr ist.

Die Mächtigkeit dieses Veränderungsprozesses ist so groß wie vor Jahrhunderten der Buchdruck und die Massenalphabetisierung, nur ordentlich schneller. Vorher waren die Begegnungen der Menschen unter den eindrucksvollen Wand- und Deckengemälden der Kirchen vonstattengegangen, gemacht für die Ewigkeit als visuelle Einwegkommunikationsstätte für die Bauernkinder.

Durch diese anstehenden, tiefgreifenden kulturellen Veränderungen werden sich die Formen und Orte der Ausübung von Macht massiv verändern. Das sind zunehmend die digitalen Konzerne, die uns aber ihre Spielregeln dafür (noch) nicht offenlegen wollen. Diese Firmen virtualisieren nicht nur Produkte, sondern auch gesamte Märkte und Gesellschaften. Die Orte sind aber auch Staaten und Weltgegenden, die die wirtschaftlichen Chancen durch das Internet und die Digitalisierung schneller und stärker ergreifen. In der Wirtschaftswissenschaft heißt das Monopol, Skalenertrag, Produktivitätsgewinn; und dort geht das Geld hin und in der Folge auch Macht.

Neues Verständnis von Arbeit

Ein paar Beispiele: Unter den an den Börsen höchstbewerteten Firmen befinden sich an den vordersten Plätzen mehrheitlich IT-Unternehmen wie Apple, Google, Amazon, Facebook, Microsoft, Alibaba und Tencent. Der Wert solcher digitalen Plattformfirmen beruht auf dem Internet, auf Forschung im Bereich Informatik und Information. Letztere ist meist nicht einmal ihre eigene, sondern Information über und von ihren Nutzern. Phänomene wie das World Wide Web, das "Internet of Things" oder autonome Systeme zeigen, wieweit sich die Informatik – als Kern des Ganzen – in ihrer kurzen Geschichte entwickelt hat: vom "Stand-alone"-Rechner zum weltweiten Betriebssystem unserer Gesellschaft, mitten hinein in eine weitere industrielle Revolution, mit der Digitalisierung der Inhalte, der Automatisierung der Arbeit und des Denkens. Es vernetzt und durchdringt sehr real alles: Arbeit, Freizeit, Politik, Persönliches, Berufliches, Privates.

Diese Entwicklung ist natürlich auch eine Geschichte IT-basierter und internetgetriebener Innovation, meist durch junge Start-ups; nicht immer in Metropolen, aber fast immer in der Nähe von sehr guten Universitäten. Ein Hinweis, dass Universitäten wichtig sind und dass sie gut ausgestattet sein müssen.

Die Auswirkungen auf Arbeitsplätze und Verhältnisse werden massiv sein, sowohl qualitativ als auch quantitativ. Die Produktivität wird hier weiter steigen, gesellschaftlichen oder privaten Reichtum bringen, und wir werden ein neues Verständnis von Arbeit und Zeit entwickeln. Viele werden dafür auch eine Menge Zeit haben.

Das Bildungssystem, vom Kindergarten bis zu den Universitäten, steht vor oder befindet sich in großen Umbrüchen. Insbesondere Universitäten sind hier auch im Wettbewerb mit großen privaten Forschungseinrichtungen, zum Beispiel im Bereich Informatik und künstliche Intelligenz mit den zuvor genannten IT-Firmen. Hier werden sie an ihrer Qualität gemessen werden und gezwungen sein, ihre klassischen disziplinären Silos aufzubrechen.

Scheiterndes System

Diese Entwicklung hat natürlich auch eine Kehrseite. Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, warnt sogar davor, dass das System scheitert. Die Entwicklung zu einem weltweiten Megasystem mit gleichzeitigen massiven Monopolisierungserscheinungen bedeutet eine Vorherrschaft auf technischer, ökonomischer, militärischer und politischer Ebene. Dabei findet die Auseinandersetzung nicht nur zwischen Firmen, sondern auch zwischen Staaten und geopolitischen Machtblöcken statt.

In der Dynamik der Plattformökonomie dominieren einige wenige Firmen den Markt. Der Wettbewerb findet zunehmend zwischen wenigen Plattformen statt, andere müssen sich in diesem Plattformkontext bewegen und ihr Geschäftsmodell auf diese Plattformen abstimmen – mit dem Nachteil zunehmender Abhängigkeit.

Die Entwicklungen im Bereich "automated decision-making" und künstliche Intelligenz führen zu nicht trivialen rechtlichen und vor allem ethischen Fragen. Für Extremfälle wie autonome Waffen oder "killer robots" mag man sich die Auswirkungen nicht ausmalen, allein wir müssen es tun.

Das Internet ermöglicht massive Eingriffe in die Privatsphäre, sowohl durch private Firmen als auch durch staatliche Stellen. Gleichzeitig erleichtert das weltweite Netz Terrorangriffe, wie es selbst bereits ein Mittel militärischer Kriegsführung ist. Cybersecurity und Datenschutz werden permanente Themen unserer Gesellschaft werden.

Mit all dem werden wir zurechtkommen müssen. Zurechtkommen werden wir durch ein aktives Anpacken. Was kann ein kleines Land wie Österreich dazu beitragen? Eine Menge, wenn wir den Menschen Raum und Ressourcen geben, die mit ihren Ideen die digitale Welt gestalten und bereichern. Und, wer weiß, vielleicht können wir aus unserer österreichischen Tradition des Zusammentreffens, Sprechens und Zuflüsterns, des Kaffeehauses und unserer sozialen Strukturen ein paar Ideen entwickeln, die das Internet zukünftig ein wenig ähnlicher dem machen, was wir an unseren analogen Social Networks schätzen. (Michael Stampfer, Hannes Werthner, 10.1.2019)