Eine Reihe von Initiativen zum Thema gesunde Ernährung wurde durch Coca-Cola verhindert, kritisieren Wissenschafter.

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Coca-Cola durfte als erstes internationales Unternehmen im Jahr 1978 – nach 30 Jahren Isolation unter Mao – wieder sein zuckerhaltiges Sprudelwasser im Reich der Mitte verkaufen. Mit Erfolg. China ist mittlerweile der drittgrößte Absatzmarkt für den Weltkonzern. Während der Durst nach Produkten des Getränkeriesen in den USA sinkt, bleibt der Appetit der chinesischen Bevölkerung nach Coke, Fanta und Sprite ungebremst. Aus gutem Grund, wie Recherchen eines Forscherteams rund um Susan Greenhalgh von der Harvard University zeigten.

Die Strategie des Konzern basierte auf einem einfachen Rezept: Gründe ein wissenschaftliches Institut, das vermeintlich unabhängige Empfehlungen abgibt. "Alle Speisen und Getränke sind Teil einer gesunden Ernährung, solange du genug Bewegung machst", lautete die zentrale Botschaft des International Life Science Institute (ILSI) an die chinesische Bevölkerung.

Das ILSI wurde 1978 in den USA von Alex Malaspina, einem Coca-Cola-Vorstand, gegründet. Finanziert wird es von Marktgrößen wie Coca-Cola, Nestlé, McDonald's und Pepsi. Seit 1993 gibt es auch einen Ableger in China. Vorstand war der gut vernetzte Ernährungswissenschafter Chen Chunming, der bis zu seinem Tod im Vorjahr auch das Chinese Center for Disease Control and Prevention (CDC) leitete.

Fit mach mit

Das ILSI wird mittlerweile in Europa und den USA heftig kritisiert, weil es den Einfluss der Ernährung auf Übergewicht herunterspielt und stattdessen mangelnde Bewegung als primären Risikofaktor propagiert. "Es wurde sogar behauptet, dass mit Zucker gesüßte Getränke gesundheitliche Vorteile bieten", schreibt Susan Greenhalgh im Fachmagazin "British Medical Journal". Damit sollte der Verkauf kalorienreicher Getränke gesichert werden.

In China avancierte das Institut zu einer Art Geburtshelfer für viele Kampagnen des Gesundheitsministeriums. Coca-Cola habe sich "geschickt in die Position einer Schattenmacht der chinesischen Gesundheitspolitik manövriert, um sicherzustellen, dass die Regierung im Kampf gegen die zunehmende Adipositasepidemie nicht die Interessen des Konzerns untergräbt", so Greenhalgh. Demnach wird ILSI in China als Brückenbauer zwischen Regierung, Wissenschaft und Industrie gesehen, der gesundheitspolitische Entscheidungen beeinflusst.

So organisierten Coca-Cola und ILSI zahlreiche Konferenzen, die mehr Bewegung als Lösung für die zunehmende Übergewichtsepidemie in den Mittelpunkt stellten. Dazu wurde auch Aerobic-Papst Kenneth H. Cooper eingeladen, um Vorträge über die Macht der Bewegung zu halten. Auf den veranstalteten Adipositas-Meetings präsentierten zahlreiche von Coca-Cola gesponserte Experten ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema "körperliche Aktivität". Der Wissensstand zum Einfluss der Ernährung auf das Körpergewicht wurde hingegen weitgehend ignoriert.

"Inzwischen ist diese Denkweise schon so in der chinesischen Gesundheitspolitik verankert, dass Steuerungsmaßnahmen wie Werbebeschränkungen für ungesunde Lebensmittel oder Zuckersteuern – wie sie etwa die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert – quasi undenkbar sind", lautet das Fazit des Forscherteams.

Die Zukunft wird nicht leichter

Nachdem die "New York Times" im Jahr 2015 eine Reihe kritischer Berichte veröffentlicht hat, bewirbt Coca-Cola seine Bewegungsprogramme nicht mehr aktiv. "Der Einfluss des Konzerns wird in China aber weiterhin spürbar sein, da die Aktivitätsprogramme etabliert sind", meint Greenhalgh.

Die chinesische Bevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich dicker geworden, das zeigt die Entwicklung von Übergewicht und Adipositas: 1991 waren rund 21 Prozent der Erwachsenen in China davon betroffen, bis zum Jahr 2011 verdoppelte sich die Rate auf 42 Prozent. Dieser Trend wird sich noch weiter verstärken, prognostizieren Experten. So glaubt etwa der seit Jahren in China tätige Ernährungsexperte Barry Popkin, dass der Einfluss von ILSI im Kampf gegen Übergewicht und Adipositas "extrem schädlich war, da so die Bewusstseinsbildung für gesündere Ernährung verhindert wurde".

In China war 2011 rund die Hälfte der 6,8 Millionen Todesfälle von Erwachsenen über 35 Jahren auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen, berechnete die chinesische Ernährungswissenschafterin Yanping Lin. Bluthochdruck sei für 40 Prozent der Herzinfarkte und Schlaganfälle der Hauptauslöser gewesen. Mittlerweile leidet etwa ein Drittel der chinesischen Bevölkerung an Hypertonie, 1979 waren es nur rund acht Prozent. (gueb, 13.1.2019)