Geil findet Robert Habeck vieles. Oder krass. Auch für seinen Rückzug aus den sozialen Medien fand der deutsche Grünen-Chef starke Worte: "Ich beiß mir in den Arsch."

Ein Video auf Twitter war ihm ziemlich verunglückt. Habeck spricht über Thüringen, wo 2019 gewählt wird. Die Grünen würden dafür sorgen, dass es ein "offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird". Wird. Nicht bleibt. Das hat er eigentlich gemeint, denn die Grünen regieren dort mit. Ein Shitstorm folgte, wieder einmal.

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Robert Habeck hat sich verzwitschert und schweigt künftig.
Foto: REUTERS/Michele Tantussi

Es war nicht Habecks erster Lapsus und nicht sein erster Shitstorm. Vor der Bayern-Wahl im Oktober hatte er via Twitter dazu aufgerufen, die Alleinherrschaft der CSU zu beenden, damit "endlich" wieder Demokratie herrsche im Freistaat. Habeck hatte zugespitzt – und damit zugespitzte Kritik geerntet: Ob ihm denn entgangen sei, dass die CSU schon auch demokratisch gewählt wurde? Das war noch das Freundlichste.

Jedenfalls: Habeck hat jetzt Twitter und Facebook verlassen. Denn es bringe offenbar seine schlechten Seiten zur Geltung. In der Zeit erklärte Habeck, Twitter sei "gar kein Medium des echten Dialogs". Und: "Meine Sehnsucht nach direktem Austausch mit den Leuten wird in Zukunft eher noch größer sein."

Für seinen Ausstieg wird er ein bisschen gelobt, aber noch mehr kritisiert. "Ein Problem dadurch zu lösen, dass man es meidet, ist nicht vorbildlich. Soziale Medien sind nun mal Teil der Wirklichkeit, es gilt also auch für Politiker, den richtigen Umgang zu wählen", sagt Tobias Dienlin, Medienpsychologe an der Universität Hohenheim (Baden-Württemberg) zum STANDARD.

Stolperfallen

Auch der Journalismusforscher Klaus Meier von der Uni Eichstätt-Ingolstadt hält es für "problematisch, wenn Politiker soziale Plattformen jenen überlassen, die Häme und Hetze betreiben". Natürlich lauern in den sozialen Medien Stolperfallen. Aber sie seien die gleichen wie im wirklichen Leben. "Das Prinzip ,erst denken, dann reden' galt schon vor 10.000 Jahren im normalen Gespräch, man sollte es auch auf Twitter beherzigen", meint Dienlin. Andererseits mache das schnell Gezwitscherte ja auch "den Reiz aus, weil es authentisch ist".

Weil es eben kein allgemeingültiges Twitter-Lehrbuch für Politiker gibt, findet man auf Accounts der Berliner Akteure sehr unterschiedliche Zugangsweisen. FDP-Chef Christian Lindner twittert viel selbst, lässt aber auch das "Team Lindner" (TL) schreiben. Ein Habeck'scher Lapsus würde ihm wohl nicht passieren. Bilder und Worte sind stets sorgfältig inszeniert.

Der enthaltsame Antipode ist CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer. Im August hatte er groß angekündigt, auch twittern zu wollen, um den medialen Diffamierungen über ihn entgegenzutreten. Und tatsächlich: Schon im Dezember war es dann so weit. @der_Seehofer gratulierte Annegret Kramp-Karrenbauer zur Wahl als CDU-Chefin. Es ist sein bisher einziger Tweet.

"Die sozialen Medien als Politiker nicht zu nutzen, bedeutet auch, sich Chancen zu vergeben", sagt Medienpsychologe Dienlin. US-Präsident Donald Trump hätte ohne Twitter die Wahl wohl nicht gewonnen. Dienlien plädiert aber für Mäßigung auf beiden Seiten: "Auch Rezipienten müssen sich nicht über alles maßlos empören." Ein Fehler könne jedem passieren, schließlich seien "auch Politiker nur Menschen".

Soziale Medien haben – wie alle anderen auch – Licht- und Schattenseiten. Sie bilden, oft in einem Zerrspiegel, den Zustand der Gesellschaft ab. Gut rüber kommt, wer möglichst authentisch ist. Das gilt besonders für Politiker, hat aber eine Kehrseite: Flapsigkeiten, unvorteilhafte Fotos und patscherte Formulierungen bleiben im digitalen Raum hängen.

Alexandria Ocasio-Cortez tanzt

Fast hätte die demokratische US-Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez wohl bereut, dass sie vor Jahren, zur Feier ihres Studienabschlusses, ein ausgelassenes Tanzvideo drehte und auf Youtube stellte: Nun, zu ihrem Einzug ins Repräsentantenhaus, zogen es politische Gegner wieder hervor, um sie öffentlich als unbedarft hinzustellen. Zu ihrem Glück ging der Schuss nach hinten los: Die Twitter-Gemeinde verteidigte Ocasio-Cortez.

Bei der demokratischen US-Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez hatten sich politische Gegner verkalkuliert. Für ihr Tänzchen wurde sie gelobt.
Foto: Social Media

Mit der fraktionsfreien österreichischen Abgeordneten Martha Bissmann (Jetzt, vormals Liste Pilz) meint es die Gemeinde gerade nicht so gut. Sie wird als rassistisch kritisiert, weil sie in einem Tweet im Zusammenhang mit Ausländern von "exotisch klingenden Namen" geschrieben hatte.

Sozialdemokraten haben offenbar ein Uhrenproblem: Die Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli wurde für ein Foto mit einer Rolex gebasht, ihrem österreichischen Parteifreund Thomas Drozda, dem SPÖ-Bundesgeschäftsführer, wird sowohl seine Patek-Philippe-Nautilus-Uhr als auch seine "billigere" Rolex vorgehalten.

Grüne stolpern häufig über Ökothemen: So musste sich Habecks Parteifreund Cem Özdemir für ein Twitter-Selfie vom Urlaub in den Anden verspotten lassen – Flugreise! Öko-Fußabdruck! Huch! -, die bayerische Grünen-Chefin Katharina Schulze für ein Instagram-Foto von ihrem Eis, in dem ein Plastiklöffel steckte.

Was auffällt: Vor allem Politiker, die selbst hohe moralische Werte predigen, werden via Twitter und Facebook genüsslich aufgespießt. Das könnte man positiv sehen oder als hochgradig ungerecht und die Plattform dafür verantwortlich machen, wie Habeck: "Twitter ist wie kein anderes digitales Medium so aggressiv, und in keinem anderen Medium gibt es so viel Hass, Böswilligkeit und Hetze." Dazu kommt, dass es unmöglich ist, Debatten auf Twitter zu moderieren – während dies für Facebook-Seiteninhaber theoretisch möglich und in klassischen Medien wie dem STANDARD auch tägliche Praxis ist. Obendrein löscht Twitter Hassbotschaften zumeist nur schleppend.

Wir leaken uns permanent selbst

Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Uni Tübingen, schrieb über den deutschen Hackerskandal in der NZZ: "Wer heute ein digitales Dossier zur Diskreditierung erstellen will, der wird leichter fündig denn je. Denn wir leaken uns in dem fremd- und selbstfabrizierten Panopticon der Gegenwart permanent selbst."

Das Foto auf Insta, der tägliche Tweet, die permanente Kommentierung auf Facebook können süchtig machen. Digital Detox funktioniert meist nur temporär, der Wunsch, auf Resonanz zu stoßen, treibt viele Enthaltsame bald wieder zurück.

Pörksen wagt keine Prognose, wohin das alles führen werde: zu mehr Mitleid mit grausam "entlarvten" Personen? Einer neuen Gelassenheit? Oder zu noch mehr kollektiver Wut, dass auch Politiker nur Menschen sind?

Oder bleibt als Ausweg nur, dass gut polierte Markenaccounts von Politikern online gehen, die von unzähligen Mitarbeitern betreut werden? Wohl kaum. "Tu nichts Dummes", bleibt die beste Devise für den Umgang mit Twitter, Facebook und Co und ist auch das Grundprinzip der STANDARD-Redaktion. Und was, wenn trotzdem einmal etwas Dummes passiert? "Dann", sagt Journalismusforscher Meier trocken, "dann brauchst du eben ein dickes Fell." (Birgit Baumann, Petra Stuiber, 13.1.2019)