"Für die Nationalen und Korporierten waren wir immer schon links außen", erinnert sich Gustav Zankl (90). "Wir waren wie Aussätzige."

Foto: Clara Wildberger

Es war die Initialzündung für Graz als international anerkannte Kulturstadt: Am 15. Jänner 1959 wurde das Forum Stadtpark im Café Erzherzog Johann gegründet. Neben den Gründungsvätern – unter anderem Othmar Carli, Gustav Zankl, Siegfried Neuburg, Emil Breisach und Günter Waldorf – waren auch die Literaten Grete Scheuer, Alfred Kolleritsch und Peter Handke früh im Forum aktiv. Ebenso Architekten wie Werner Hollomey und Jazzmusiker wie Erich Kleinschuster und Dieter Glawischnig. Die erste Ausstellung im Haus wurde am 4. November 1960 eröffnet: "Bekenntnis und Konfrontation". Bis zum 4. November 2020 wird daher das Jubiläum mit verschiedenen Veranstaltungen begangen. Akt eins ist das Geburtstagsfest im Vielspartenhaus am Dienstag ab 18 Uhr.

Plakat aus den Anfangsjahren des Forums Stadtpark im Grazer Stadtbild.
Foto: Forum Stadtpark

STANDARD: Wie kamen Sie dazu, das Forum Stadtpark zu gründen?

Zankl: Wir waren eine Gruppe junge Maler, die teilweise in der Sezession in Graz beheimatet waren und die Moderne realisieren und die Rückstände seit dem Krieg aufholen wollten. Wir nannten uns "Junge Gruppe" und wurden von der Sezession ausgeschlossen. Damit hatten wir keine Möglichkeit auszustellen. Günter Waldorf, Siegfried Neuburg und ich waren auf der Suche nach Räumlichkeiten. Bei einem Spaziergang haben wir dann das ehemalige Stadtparkcafé gesehen, zugenagelt, mit zerstörten Fenstern. Da meinte Waldorf, das wäre doch was. Wir haben uns an die Stadt gewandt, die Antwort war Nein. Mit Literaten, Musikern, TU-Studenten, Architekten haben wir dann am 15. Jänner 1959 den Verein Forum Stadtpark gegründet.

STANDARD: Sie hatten auch ein Gründungsmanifest …

Zankl: Für die Spätgeborenen ist das vielleicht schwer zu verstehen. Wir kamen ja alle – bewusst manipuliert oder zwangsweise – aus der Nazitätergeneration. Wir hatten den Krieg überlebt und extrem viele Diskussionen geführt über die Sinnhaftigkeit unserer Existenz. Aus diesen Gedanken hat sich das Forum gegründet. Den Anstoß gaben zwar wir Maler, aber alle zusammen haben wir auch ein spirituelles Zentrum gemeint, es ging von Anfang an nicht nur um Ausstellungsflächen. Wir waren wie Aussätzige in der Gesellschaft.

STANDARD: Wie haben Sie die Widerstände überwunden?

Zankl: Graz war ja eine Nazistadt, die Stadt der Volkserhebung. Die Politiker, rechts wie links, hatten in Wirklichkeit die Naziideologie nie ganz abgelegt. Auch der SPÖ-Bürgermeister Eduard Speck nicht. Uns sahen alle als Entartete. Aber es gab zwei Menschen, ohne die es das Forum Stadtpark nicht geben würde: den ÖVP-Kulturlandesrat Hannes Koren und den Redakteur der "Kleinen Zeitung" Charlie Haysen.

STANDARD: Das Forum verdankt sich also zwei Konservativen?

Zankl: Die waren nicht konservativ. Der Koren hatte Weitblick, der über die ÖVP hinausging, Haysen war CVler (Cartellverband, Anm.), aber von der Moderne durchdrungen. Koren hatte es nicht leicht in der ÖVP, weil er uns geholfen hat. Wir haben nachts selbst auf der Baustelle gearbeitet, weil wir tagsüber Berufen nachgegangen sind.

Emil Breisach, von 1958 bis 1967 Präsident des Forums Stadtpark,
bei einer Ausstellungseröffnung im November 1969.
Foto: Eckart Schuster

STANDARD: Wie sehen Sie die Arbeit Ihrer Nachfolger?

Zankl: Die mediale Situation ist völlig anders. Damals hatte nicht einmal jeder ein Telefon. Nachdem das Forum einen kulturellen Rückstand in Graz aufgeholt hatte, haben sich im Haus parallel Strömungen entwickelt. Aus der Fotografie ist etwa mit der Camera Austria etwas Eigenes entstanden. Das Mutterhaus musste eine andere Position einnehmen. In den letzten 20 Jahren wurde das sehr gut gelöst mit verschiedenen Interessenpools. Aber die FPÖ und andere wollen das alles zum Schweigen bringen. Die wollten hier mit Billigung von Bürgermeister Siegfried Nagl ein Kaffeehaus machen! Damit würde man das Haus umbringen.

STANDARD: Warum will die FPÖ das Forum nicht?

Zankl: Weil es eine kritische Stimme ist. Wenn man die nicht hat, hat man es angenehmer. Aber das Forum genießt heute viel Anerkennung. Es hätte kein Trigon gegeben, keinen Steirischen Herbst, keine Kunst-Uni, all das ging aus dem Forum hervor.

Am internationalen Tag der Menschenrechte 2017 lud man zur Aktion "Feldstellen – Präsenz der vielen" vor das Forum Stadtpark – also auf den Platz der Menschenrechte.
Foto: Lena Prehal

STANDARD: Ende 2018 herrschte Aufregung, weil die FPÖ nach einem Aufruf des Forums zu einer regierungskritischen Demo dessen Förderungen infrage stellte. Erinnert Sie das an die Gründungszeit?

Zankl: Damals ging es grundsätzlich ums Überleben in einer Nazistadt. Und es war die am zweitstärksten zerstörte Stadt Österreichs nach dem Krieg. Wir sind in Mänteln im Hörsaal gesessen, es gab nichts zum Heizen. Es ist nicht alles vergleichbar. Was heute aber ähnlich ist: der Widerstand der Nationalen und Korporierten. Für die waren wir immer schon links außen.

STANDARD: Das war man damals aber auch schnell einmal, oder?

Zankl: Ja, zur Eröffnung der Dr.-Renner-Hauptschule kam Bundespräsident Theodor Körner. Ich hatte als Kunsterzieher einen kleinen Etat, um Kunst zu erwerben, und habe einen Kunstdruck von Picasso gekauft. Der ÖVP-Landeshauptmann Josef Krainer senior sagte zu mir: Der muss weg, weil der Picasso ist Kommunist.

STANDARD: Was haben Sie getan?

Zankl: Nach der Eröffnung hab' ich ihn wieder aufgehängt.

STANDARD: Waren Sie je parteipolitisch engagiert?

Zankl: Ich war drei Jahrzehnte Mitglied des Lehrerbundes, aktiv in der ÖVP-Lehrergewerkschaft. Aber als ich 1969 oder 1970 an die Pädagogische Hochschule der Diözese kam – obwohl ich evangelisch bin –, hat der damalige Leiter verlangt, dass ich alle politischen Ämter zurücklege. In der ÖVP war ich wohl links außen.

STANDARD: Gibt es eine Maxime, an der Sie sich orientiert haben?

Zankl: Kritisches Denken und die Beherrschung aller Emotionen, das bedeutet es, ein Mensch zu sein.

STANDARD: Haben Sie Ihre Emotionen immer beherrscht?

Zankl: Nein.

STANDARD: Wann nicht?

Zankl: Bei Zuständen, die mich zu sehr erregt haben, im Künstlerischen wie auch in der Politik.

STANDARD: Wie geht es Ihnen heute mit der Politik?

Zankl: Ich versuche kritisch zu verstehen, was in einem Konflikt alle Seiten wollen.

STANDARD: Wie sehen Sie Kritiker des Forums Stadtpark wie FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio?

Zankl: Ich halte jemanden wie den Verteidigungsminister Kunasek für gefährlicher. Aber ich halte das Militär grundsätzlich für unnötig. Fürs Schneeräumen brauch' ich kein Gewehr und keine Panzer. Aber das ist mein Problem. Wenn die Mehrheit dieser Meinung wäre, hätten wir kein Heer.

STANDARD: Sind Sie Pazifist?

Zankl: Ja, sicher. Das hat bei mir mit der Erfahrung des Krieges zu tun. Ich war in einem NSV-Heim in Leoben, das von der SS geführt wurde. Es war ein Heim für Kinder aus entlegenen Gebieten oder solche, bei denen es Probleme im Elternhaus gab. Bei mir war das die Scheidung meiner Eltern. Mit zwölf wurde ich bereits zum Scharfschützen ausgebildet. Ich durfte den Eltern kein Wort darüber sagen, was ich dort gemacht habe, sonst gab es die Rolle. Da wurde man in den Schwitzkasten genommen und heftig geschlagen. Freunde konnte man auch nicht ins Vertrauen ziehen, denn jeder hat jeden gemeldet. Das alles hat mein kritisches Denken begründet. Wir mussten auch Führerreden auf Wachsschallplatten anhören, und jeder musste einen Abschnitt daraus auswendig lernen.

STANDARD: Können Sie Ihren noch?

Zankl: "Danzig ist eine Sentimentalität des deutschen Volkes. Die Vorsehung hat mir eine Wehrmacht geschenkt, ich habe zuzuschlagen." Solche Sätze merkt man sich ein ganzes Leben. Wir mussten etwa singen: "Flutsch das Messer in den Judenbauch, dann schlagen die Wellen zu und die Welt hat Ruh." Ich habe einen jüdischen Onkel. Das Lied habe ich nie mehr mitgesungen, aber ich konnte nicht sagen, warum nicht. Das alles war eine enorme psychische Belastung.

STANDARD: Hat Ihr Onkel überlebt?

Zankl: Nein. Er war in Graz bei der Gösser beteiligt und hatte in Zagreb eine Bierfabrik. Sein Name war Albert Pick. Ich mochte ihn sehr. Mein Vater war sieben Jahre arbeitslos, da hat er uns alle mitversorgt. Als er in Zagreb war, hat meine Tante zu ihm gesagt, er solle nicht nach Graz zurückkommen, denn sie fingen bereits an, Juden abzuholen. Mein Onkel hat das nicht verstanden, sagte, er habe doch im Ersten Weltkrieg für sein Land gedient. Sein Bruder hat ihm aus New York geschrieben, er solle kommen. Aber er wollte nicht. Die Ustascha hat ihn später erschlagen.

STANDARD: Wie sind Sie zur Kunst gekommen?

Zankl: Ich wollte mit 14 auf die Flugzeugkonstrukteursschule nach München, aber dazu kam es nicht. Man verhinderte das, weil ich schon im Heim aufmüpfig war. Zeichnen konnte ich immer gut. Als Hitler das Heim besuchen sollte – er kam dann nur auf den Bahnhof in Leoben –, fragte man vorher, wer etwas von Kunst versteht. Ein Lehrer sagte: der Zankl. Dann hat man mich gefragt, welche Bilder im Tagesraum mir nicht gefallen. Ich zeigte zuerst auf eines mit Enzian und Edelweiß. Sofort gab es den Befehl, es aus dem Fenster zu werfen. Dann zeigte ich auf eines über dem Klavier, das von einem Maler war, den Hitler verehrte. Warum ich es nicht mochte, hat man nicht gefragt, sondern nur: "Wer ist dein Vater?" Da fielen mir die Konzentrationslager ein – wir wussten das ja alles –, und ich bekam Angst. Ich wurde degradiert, durfte nicht mehr in den Fanfarenkurs gehen und auch nicht in die Musikschule. Beim Essen musste ich allein sitzen, musste in den Keller. Aber weil meine Freunde im Fanfarenzug so falsch spielten, hat man mich dann doch zurückgeholt. Allerdings hat der Heimleiter meine Einschreibung für die Ingenieurschule zerrissen. So ging ich später auf die Reichslehrerbildungsanstalt, und mein Weg zum Kunsterzieher begann.

STANDARD: Wie halten Sie es mit Demonstrationen?

Zankl: Demonstrieren und seine eigene Meinung sagen: Ja! Aber wenn man wirklich etwas ändern will, muss man die Politik abwählen. Ich goutiere vieles nicht, was unter der aktuellen Regierung passiert. Außerdem habe ich ein Problem mit Ideologien. Diese verhindern immer das kritische Denken, das gilt im Übrigen auch für Religionen. Aber scheinbar ist Kanzler Sebastian Kurz nichts anderes übriggeblieben als zu koalieren, weil es mit der SPÖ einfach nicht mehr ging. Und in der FPÖ treiben weiter Korporierte von rechts außen Strache vor sich her. Ich hoffe nicht, dass diese Kräfte gewinnen. Denn das Völkisch-Nationale hat schon zwei Weltkriege verursacht. Und die Humanisten haben jedes Mal versagt. (Interview Colette M. Schmidt, 14.1.2019)