Die Linken-Fraktionschefs Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch sind sich nicht immer einig. Das gemeinsame Gedenken, beobachtet von Oskar Lafontaine (links hinten), ist aber Pflicht.

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Es ist unsere Pflicht, an die beiden zu erinnern. Sie haben ihr Leben für eine linke Idee gegeben." Hermann (78), Rentner aus Ost-Berlin, steht im Nieselregen am Rande des sogenannten Sozialistenfriedhofs in Berlin-Friedrichsfelde und hält zwei rote Nelken in der Hand, erworben für je einsfuffzich beim Blumenstand am S-Bahnhof.

Die will er gleich am Mahnmal niederlegen, zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Vor 100 Jahren, am 15. Jänner 1919, sind die Gründungsmitglieder der Kommunistischen Partei Deutschlands in Berlin in den Wirren des Revolutionswinters 1918/19 ermordet worden. Der Mord spaltet die Linke bis heute. Damals hatte die SPD-Führung mithilfe von Freikorpstruppen den "Spartakusaufstand" niedergeschlagen, der "Januarputsch" forderte 156 Tote.

"Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!", riefen Kommunisten nach den Morden. Der Schlachtruf hat sich bis in die Gegenwart gerettet. Vor 100 Jahren beklagte man, die SPD habe den sozialistischen Umsturz verhindert und dabei Kommunisten getötet. Heute wird er immer noch hervorgekramt und muss für den Frust darüber herhalten, dass die SPD viele Ideen der Linken partout nicht mittragen will.

Das Elend am S-Bahnhof

"Schauen Sie sich das Elend doch an", sagt Hermann und deutet in Richtung S-Bahnhof. Dort liegen im kalten Neonlicht der Gänge viele Obdachlose. "Luxemburg und Liebknecht waren echte Sozialisten, die hätten gegen diese Armut gekämpft. Aber die Sozialdemokraten sitzen seit Jahrzehnten in der Regierung, und sie tun nichts." Das ist für ihn der Unterschied zwischen Sozialismus und Kommunismus, da könnte Hermann viel erzählen.

Aber zunächst beruhigt er sich, denn nun marschiert zu getragenen Klavierklängen wie eine Phalanx die Linken-Spitze mit roten Kränzen auf: Fraktionschef Dietmar Barsch, die Parteichefs Katja Kipping und Bernd Riexinger, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und natürlich Luxemburg-Fan Sahra Wagenknecht. Über ihr Vorbild sagt sie: "Sie war eine leidenschaftliche Kämpferin für Frieden und soziale Gerechtigkeit."

Hermann ist erfreut: "Die Wagenknecht ist wirklich eine schöne Frau, da hat sich das Herkommen doppelt gelohnt." Und: "Klug ist sie auch." Ihm gefällt ihre neue Bewegung "Aufstehen", mit der sie Linke, SPD und Grüne vereinen will. "Die Linke kann nur machtvoll sein und die herrschenden Verhältnisse ändern, wenn sie endlich ihre Spaltung, die mit diesen Morden begonnen hat, überwindet und zusammenhält", ist er überzeugt.

Arbeiter, vereinigt euch!

Auch Martin Düspohl, Kurator der Ausstellung Berlin 18/19, weist darauf hin, dass es schon vor 100 Jahren den Slogan "Arbeiter vereinigt euch – mit oder ohne eure Führer" gegeben habe. "Ein bisschen erinnert der Versuch Wagenknechts ja daran", sagt er.

Sie will mit "Aufstehen" so viel Druck machen, dass die Spitzen von SPD, Linken und Grünen sich wieder mehr auf soziale Aspekte besinnen. 170.000 Menschen haben Wagenknechts Aufruf bisher unterzeichnet. Neuerdings schwärmt auch Ex-AfD-Chefin Frauke Petry für das Projekt.

Doch von den Spitzen der Linken, der SPD oder der Grünen bekommt Wagenknecht keine Unterstützung. Dort meinen auch manche, sie werde sich eines Tages entscheiden müssen zwischen ihrem Amt als Linken-Fraktionschefin und der Bewegung.

Was den Mord an Luxemburg und Liebknecht betrifft, so dürfte es bis zur Versöhnung auch noch ein weiter Weg sein. Von einigen Linken wurde die SPD anlässlich des Gedenkens zum einhundertsten Jahrestag aufgefordert, die Verantwortung für die Morde zu übernehmen. Im November hatte SPD-Chefin Andrea Nahles noch gemeint, es sei "wahrscheinlich", dass der damals für Militär zuständige SPD-Politiker Gustav Noske "seine Hände im Spiel hatte". Jetzt sieht sie dafür keine Beweise. (Birgit Baumann aus Berlin, 13.1.2019)