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Frühaufsteher Sebastian Kurz.

Foto: AP/Francisco Seco

Woher kommen unsere Einstellungen zum Sozialstaat? Warum befürworten manche Leute großzügigere staatliche Leistungen, während andere für geringere Sozialausgaben eintreten? Eine klassische Antwort der Sozialforschung lautet: Das Einkommen macht den Unterschied. Immerhin verteilt der Sozialstaat (in Österreich vor allen ausgabenseitig) von Besserverdienern zu Geringverdienern um. Je geringer das Einkommen, desto stärker wäre demnach die Präferenz für einen stark ausgebauten Sozialstaat.

Neben dem ökonomischen Eigeninteresse gibt es aber noch andere wichtige Faktoren – etwa, ob man meint, die Empfänger einer Sozialleistung hätten die Unterstützung verdient. Das ist genau der Aspekt, auf den Bundeskanzler Kurz jüngst mit seiner Äußerung zum Frühaufstehen in Wien die Aufmerksamkeit gerichtet hat.

In der Politikwissenschaft unterscheidet man demnach zwischen auf sich selbst bezogenen ("self-oriented") und an anderen orientierten ("other-oriented") Sozialstaatspräferenzen (siehe hier). Erstere korrelieren stark mit dem Einkommen, während letztere viel mehr davon abhängen, welches Bild man von den Empfängern von Sozialleistungen hat.

Illustrieren lässt sich das mit einer Frage aus der Autnes-Vorwahlbefragung 2017. Über 3.000 Personen wurden gebeten, ihre Zustimmung zur Aussage "Der Sozialstaat macht die Menschen träge und faul" auf einer fünfteiligen Antwortskala (von "stimme sehr zu" bis "stimme gar nicht zu") anzugeben. Diese Frageformulierung aktiviert ganz eindeutig jene Präferenzen, die von der Einstellung gegenüber den Empfängern von Sozialleistungen abhängen.

Dementsprechend schwach korreliert das Antwortverhalten auch mit dem Haushaltseinkommen. Bei niedrigen Einkommen liegt die Zustimmung bei 40 Prozent, bei mittleren und hohen Einkommen nur geringfügig darüber (42 und 43 Prozent). Bei Reich und Arm ist demnach die Ansicht, der Sozialstaat mache träge und faul, praktisch gleich stark ausgeprägt.

Ganz im Gegenteil dazu macht die Haltung zur Zuwanderung einen großen Unterschied. In der Gruppe der Zuwanderungsbefürworter etwa liegt die Zustimmung bei nur 29 Prozent, bei den Zuwanderungsgegnern dafür aber gleich doppelt so hoch (54 Prozent).

Dieses Ergebnis ist insofern wenig überraschend, als gerade in den letzten Jahren Migrationsthemen stark in die sozialpolitische Debatte hineinwirken. Die Kritik der Bundesregierung an der Wiener Mindestsicherung bezieht sich ja nicht zuletzt darauf, dass in der Bundeshauptstadt eine große Zahl an Nichtösterreichern zu den Leistungsbeziehern gehört.

Um nicht missverstanden zu werden: All diese Argumente sind in einer demokratischen Debatte legitim. Für den Verlauf dieser Debatte ist es aber von großer Bedeutung, in welchem Deutungsrahmen ("frame") sie stattfindet. Ist das Framing, verkürzt gesprochen, eher "Arm gegen Reich" oder "Frühaufsteher gegen Liegenbleiber"? Im ersten Fall würde das ökonomische Eigeninteresse stärker in den Vordergrund treten, im zweiten Fall die wahrgenommene Redlichkeit der Betroffenen.

Und mit großer Wahrscheinlichkeit wäre auch der moralische Schwerpunkt in der Diskussion einmal eher links ("Hilfe für die Ärmsten") und einmal eher rechts ("Fairness für die Frühaufsteher") angesiedelt. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 16.1.2019)