Y/Project spielt mit barocken Elementen und Streetwear-Einflüssen. Es gehört zurzeit zu den spannendsten Labels aus Paris.

Foto: Arnaud Lajeunie, Giovanni Giannoni

Der Kreativchef Glenn Martens (links) ist einer der interessantesten Köpfe der internationalen Modeszene. Im Jänner war er Gastdesigner auf der Männermodemesse Pitti Immagine Uomo in Florenz.

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Das französische Label Y/Project macht Mode für Männer und Frauen.

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Hier die aktuelle Frühjahrskollektion.

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Das Nischenlabel Y/Project hat sich innerhalb weniger Saisonen zu einer festen Größe in der Pariser Modelandschaft etabliert.

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Martens Mode kommt auch bei Stars gut an.

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Glenn Martens ist etwas außer Atem, als er im Studio von Y/Project ankommt, das in einer kleinen Altbauwohnung im zehnten Pariser Arrondissement liegt. Er ist die vier Stockwerke im Schnellschritt hinaufgestiegen. "Auf den Fahrstuhl kann man sich nicht verlassen", lacht er und ist sichtlich guter Laune. Warum auf den Aufzug warten, wenn man zwei eigene Beine hat? Der 35-jährige Designer sprüht nur so vor Energie.

"Wir brauchen ohnehin ein neues Atelier", erzählt er und redet dabei so schnell, dass sich seine Worte fast überschlagen. "Hier platzen wir aus allen Nähten. Als wir vor fünf Jahren angefangen haben, waren wir nur zu dritt, heute sind wir 25. Auf nur 40 Quadratmetern! Und daneben brauchen wir noch Platz für all die Stoffe und Nesseltücher."

Sweater mit Abendkleid-Dekolleté

Martens hat allen Grund zur Freude. Mit seiner unverwechselbaren Handschrift verwandelte er das Nischenlabel Y/Project innerhalb weniger Saisonen zu einer festen Größe in der Pariser Modelandschaft. Denn seine humorvolle Mischung aus barocken Elementen und Streetwear-Einflüssen wirkt erfrischend neu. Und das ist schon bemerkenswert in einer Welt, in der Mode letztlich nur noch aus Revivals besteht.

Martens spielt mit dem Absurden, übertreibt die Proportionen und sorgt für überraschende Effekte. Sportlichen Sweatern verpasst er zum Beispiel ein Dekolleté wie von einem Abendkleid. Jeans sind wie Cowboyhosen geschnitten: Riemen halten die Beine am Hosenteil fest, sodass die Oberschenkel durchblitzen. Knopfleisten sind so angebracht, dass sie keinen Sinn ergeben. "Ich würde nicht behaupten, dass wir immer das Rad neu erfinden", sagt er. "Am Ende hat der menschliche Körper nun einmal nur zwei Arme und zwei Beine, die Möglichkeiten sind begrenzt. Aber bei Y/Project gibt es immer einen Twist, ein amüsantes Detail."

Seine spielerische und gleichzeitig glamouröse Mode kommt vor allem bei Stars gut an. Der Sängerin Rihanna haben es zum Beispiel die extravaganten XXL-Looks angetan: starre, dekonstruierte Raw-Denim-Kleider mit freigelegten Schultern oder hochhackige Stiefel mit dickem, gerafftem Schaft, die so hoch und breit sind, dass man sich fragt, wie man darin gehen kann. Doch genau das macht wohl den Reiz aus.

Stetiges Wachstum

Jede Saison wachse das Label konstant um 20 Prozent, erzählt der gebürtige Belgier stolz und setzt sich an den Schreibtisch, den er sich mit Franck, seiner rechten Hand, teilt. Weltweit gebe es inzwischen um die 150 Verkaufsstellen. "Wenn das so weitergeht, bekommt Franckie bald eine ganze Armee von Assistenten", scherzt er.

Dabei sah die Zukunft ganz und gar nicht rosig aus, als er das Label 2013 übernahm. Y/Project befand sich in der Trauerphase. Yohann Serfati, der Gründer, der dem Label das Y im Namen schenkte, war wenige Monate zuvor verstorben. Um die Finanzen stand es schlecht. "Die ganze Marke war um seine Persönlichkeit herum gebaut, das hat es nicht einfach gemacht", erzählt Martens. "Aus Respekt vor Yohann haben wir eine ruhige Übergangsphase eingelegt, die etwa zwei Jahre gedauert hat. Ich habe sein Universum, das sehr queer, dark und auf Männermode ausgerichtet war, als Grundlage genommen und jede Saison ein bisschen mehr Glenn Martens hinzugefügt."

Als er 2016 seine allererste Frauenkollektion für das Label zeigte, ging es endlich bergauf. Denn genau zu der Zeit sorgte eine andere Marke für Rückenwind. Vetements machte mit seinem Antiglamourkonzept in Paris den Weg frei für eine ganze Riege junger Brands, die sich nicht in eine Schublade stecken lassen wollten. So wie Koché, Wanda Nylon, Pigalle und eben auch Y/Project.

Shows in Shopping-Malls

Fashion-Shows wurden in trashigen Shopping-Malls oder billigen China-Restaurants veranstaltet, und auf den Laufstegen gab es DHL-T-Shirts, deformierte Schnitte, übertriebene Proportionen und vulgäre Slogans zu sehen. Das antiquierte Paris hatte auf einmal eine Underground-Szene. Und Mode am Rande des schlechten Geschmacks war von nun an salonfähig.

Die Kreationen von Glenn Martens kamen da gerade recht. Seine moderne Opulenz, die großen Rüschenkrägen, altmodischen Samtstoffe, Raffungen, Schleifen, Riemen und barocken Puffärmel. Eine ständige Gratwanderung zwischen schön und hässlich. Nicht immer einfach zu tragen. Aber eine erfrischende Abwechslung zum damals allgegenwärtigen Céline-Minimalismus.

Die Liebe für Kontraste habe er seiner Herkunft zu verdanken, erzählt Martens, der in der belgischen Stadt Brügge aufwuchs. Einer Stadt, die sich architektonisch seit dem Mittelalter kaum verändert hat. "Man lebt dort ein bisschen wie Alice im Wunderland, wie in einem Museum." Gleichzeitig wird die Stadt vom Massentourismus beherrscht, an jeder Ecke stehen kitschige Souvenirshops und Frittenbuden. "Diese gegensätzlichen Codes, die aufeinanderprallen, haben mich und meinen Stil auf jeden Fall geprägt", sagt er. Dass er einmal ein erfolgreicher Modedesigner werden würde, hat Martens selbst jedoch nicht kommen sehen. "Als Kind wollte ich eigentlich Ägyptologe werden. Für mich war Geschichte wie ein Märchen, das wirklich stattgefunden hat." Den Entschluss, seinem Innenarchitekturstudium noch ein Modestudium folgen zu lassen, beschreibt er als eine Art Kurzschlusshandlung.

Denn Mode hatte ihn bis dahin überhaupt nicht interessiert. Zumindest nicht bewusst. Dabei hätte er das in seinen Zeichnungen historischer Figuren wie Julius Cäsar oder Marie Antoinette, die er als kleiner Junge gern anfertigte, eigentlich erkennen können: "Im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich unglaublich viel Mühe in die Kleidung gesteckt habe. Unbewusst muss mein Interesse da schon angefangen haben."

Everybody's Darling

Für jemanden, der Mode erst so spät entdeckt hat, hat es Martens weit gebracht. Alle wollen heute mit ihm arbeiten. So wie der italienische Fashion-Mogul Renzo Rosso. Er bat ihn, eine Capsule-Kollektion für das Jeanslabel Diesel zu machen. Oder die legendäre australische Schuhmarke Ugg, die ihm eine Kollaboration anbot (oben links im Bild die Overknee-Stiefel aus der Zusammenarbeit).

Das wahre Talent von Glenn Martens aber stellt er erst jetzt so richtig unter Beweis. Denn gerade als kleine Brand läuft man Gefahr, einfach nur Teil eines Trends zu sein. Sobald er verpufft, ist auch der Erfolg vorbei. Martens aber ist keiner, der einfach nur mitschwimmt. Spätestens seit seiner letzten Show ist er endgültig dabei, sein Underground-Image abzulegen und sich als ernstzunehmende Marke zu positionieren. Die Kollektion, die er in der vornehmen Salle Pleyel zeigte, war extrem schick und tragbar, ohne dabei an Originalität einzubüßen. Hosen verwandelten sich am Rückteil in Röcke, ein Hosenanzug kam schulterfrei und mit extravagantem Federkragen daher. Und am Ende gab es sogar zwei bodenlange, schimmernde Abendkleider zu sehen. So sieht Stoff aus, aus dem Träume gemacht sind. (Estelle Marandon, RONDO, 5.2.2019)

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