Wien – Klarnamen oder Handyregistrierung für Onlinepostings: Gegen dieses Vorhaben der Regierung, insbesondere des Kanzleramts, äußerten Mittwochabend mehrere Medienrechtler auch grundrechtliche Bedenken. Eine bestimmte Form der Registrierung und Bekanntgabe von Daten etwa könne nicht Bedingung für das Recht auf freie Meinungsäußerung sein.

Was tun gegen Hass im Netz?

"Was tun gegen den Hass im Netz?", fragte die Initiative Qualität im Journalismus (IQ) im Presseclub Concordia in Wien. Die Experten auf dem Podium waren durchwegs Medienrechtler: Michael Rami, der als Anwalt unter anderem die FPÖ, Mitglieder der Familie Dichand und "Heute" vertritt und auch Mitglied des Verfassungsgerichtshofs ist, Presserat-Geschäftsführer Alexander Warzilek und Maria Windhager, die als Medienanwältin für die Grünen, für deren ehemalige Abgeordnete Sigrid Maurer und auch den STANDARD arbeitet. Der STANDARD versammelt in seinen Foren die größte Online-Community im deutschsprachigen Raum.

Pseudonym als Privileg der Meinungsfreiheit

Rami ist "etwas gespalten" bezüglich einer Klarnamenpflicht: "Ich verstehe das Anliegen, und es ist mir sympathisch. Natürlich ist es eine Verbesserung, wenn man im Fall der Fälle einen Täter einfacher herausfinden kann. Die Frage ist nur: um welchen Preis? Das Veröffentlichen unter Pseudonymen" – etwa von Zeitungsartikeln oder auch Büchern – "ist ein uraltes Privileg der Meinungsfreiheit." Rami: "Ich weiß noch nicht, ob das der Weisheit letzter Schluss ist. Ich sehe das etwas kritischer."

"Arme Würstchen vom Rande der Gesellschaft"

"In der Praxis", sagt der Medienanwalt, "ist der anonyme Hassposter nicht der springende Punkt." Denn: "Man findet viele." Und die "bösen Hassposter" erweisen sich vor Gericht dann "als arme Würstchen vom Rand der Gesellschaft, die sich glaubhaft entschuldigen, dass sie das nicht so gemeint haben".

"Verleumden, verhetzen, beleidigen unter Klarnamen"

Rami: "Viele posten unter ihren Klarnamen, verleumden, verhetzen, beleidigen." Oftmals "ungeschickte Pseudonyme" sind für den Medienanwalt keine große Herausforderung: "Wenn man die Verläufe auf Facebook analysiert, kommt man drauf, wer das ist."

Die Motivation hinter dem Vorhaben interpretiert Rami so: Die Regierung hoffe auf einen "indirekten Effekt: Wer sich registrieren muss und seine Identität bekanntgibt, wird sich zusammenreißen. Das ist die Pointe der ganzen Sache."

Hass "meist unter Klarnamen"

Über die Pointe kann Windhager freilich nur müde lächeln: Mit Hass im Netz hat die Medienanwältin "am meisten unter Klarnamen" zu tun – sie führt etwa für die Grünen und deren Ex-Chefin Eva Glawischnig dutzende Verfahren dazu. Nur in einem von 40 Fällen konnte sie die Identität eines Facebook-Posters nicht herausfinden – weil sich Facebook querlegte.

"Hass kommt nicht nur von Würstchen", beobachtet Windhager. "Hass ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen, er hat durch die technischen Tools massiv an Bedeutung gewonnen. Vollkommen absurde Inhalte und offenkundige Falschbehauptungen werden großflächig weiterverbreitet."

Doch Windhager äußert ernste Zweifel, ob eine Handy-Registrierungspflicht für Onlineforen mit den Grundrechten vereinbar ist: "Die Freiheit der Meinungsäußerung ist ein Grundrecht. Kann ich das nur ausüben, wenn ich mich vorher registriere und meine Daten bekanntgebe? Das ist hochproblematisch."

"Kein Grundrecht auf Autofahren"

Und was ist mit dem Gegenargument, dass auch jeder, der ein Auto lenken will, sich registrieren müsse? Windhager: "Es gibt kein Grundrecht auf Autofahren. Der Vergleich hinkt gewaltig." Das Argument offenbart für Windhager, "dass in unserer politischen Debatte Grundrechtsfragen anscheinend nicht einmal erkannt werden und schon gar nicht problematisiert. Darüber müssen wir als Gesellschaft eine Debatte führen."

Windhager bezweifelt auch, dass solche Anforderungen gegenüber internationalen Konzernen wie Facebook durchsetzbar sind. Eine rigidere Regelung für nationale Onlineforen aber könnte dem Gleichheitsgebot der Verfassung widersprechen.

Wie sieht Rami diese Bedenken – immerhin ist er als Verfassungsrichter für die Wahrung der Grundrechte zuständig? Rami betont, er könne nur als Privatperson und Anwalt sprechen: "Ich persönlich teile das schon." Nachsatz: Solche Bedenken "wird man lösen können – aber man sollte sich der Sache sicher stellen".

Einschüchterung von Whistleblowern

Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats, hat auch bei einer Klarnamen- und Registrierungspflicht auch Bedenken bezüglich Transparenz und Kontrolle: "Man schüchtert dadurch auch Whistleblower ein, die in Postings auf Missstände hinweisen oder Hintergründe erklären." Warzilek sieht zudem die Gefahr, "dass diese Register für andere Zwecke missbraucht werden. In Zeiten, wo Datenschutz so groß diskutiert wird, müsste man überlegen, ob man diesen Preis zahlen möchte."

Südkorea hat's versucht

Ingrid Brodnig, Vorsitzende des Vereins IQ, Digitaljournalistin und Autorin eines Buches über "Hass im Netz", verwies auf das Beispiel Südkorea und dessen "digitales Vermummungsverbot". Dort hob ein Höchstgericht die Online-Registrierungspflicht mit einer persönlichen Bürgeridentifikationsnummer auf. Die Verpflichtung diskriminiere nationale Plattformen gegenüber internationalen und löse das Problem nicht, lautete die Begründung. Die Registrierungsdaten waren zudem Ziel großer Hack-Aktionen bei privaten Medien, berichtet Brodnig.

Warzilek wünscht sich bei der Gelegenheit auch einen anderen Begriff für "digitales Vermummungsverbot": "Das ist Regierungssprech."

Sigrid Maurer in der ersten Reihe

In der ersten Reihe bei der Podiumsdiskussion in der Concordia: Sigrid Maurer, ehemalige Abgeordnete der Grünen. Sie hatte Messenger-Nachrichten mit sexueller Belästigung veröffentlicht und wurde dafür wegen übler Nachrede und Kreditschädigung geklagt. Die erste Instanz entschied (nicht rechtskräftig) auf üble Nachrede. Ihre Anwältin Windhager verbrachte die Weihnachtsferien damit, die umfangreiche Berufung gegen diese Entscheidung zu formulieren.

Medienpranger

Windhager stellt zur Diskussion: "Die allerabschreckendste Wirkung, die allerärgste Strafe für Belästiger" sei doch, ihre Belästigung öffentlich zu machen. Wie also könnten rechtliche Rahmenbedingungen aussehen, "die dieses Öffentlichmachen auch ermöglichen und absichern?".

Rami ist "völlig" Windhagers "Meinung, die Taten öffentlich zu machen". Und er fand auch "den vermeintlichen Täter zu nennen sehr cool". Um rechtlich auf der sicheren Seite zu bleiben, "hätte man nur ein bisschen anders formulieren müssen". Also, grob umrissen, wohl: Den Account-Namen nicht in der Debatte als Autor der Botschaften bezeichnen.

Aber: "Ziemlich heikel" wird es für Rami mit der namentlichen Nennung doch. Denn: Wenn Onlinebelästiger genannt werden, werden dann auch wie in den USA die Namen (und Adressen) von Menschen veröffentlicht, die wegen Vergewaltigung verurteilt wurden? "Wer das eine befürwortet, könnte auch einen Schritt weitergehen, und das wollen wir wohl alle nicht."

Windhager, als Anwältin von Medien und Medienopfern laufend mit der Prangerwirkung konfrontiert, betont, ihre Schlüsse aus dem Fall Maurer seien ein Diskussionsbeitrag: Der Fall hätte nicht diese Wirkung gehabt ohne den Faktor Öffentlichkeit.

Ihre Grundfrage: "Was braucht es, damit wir als Gesellschaft einen Schritt weiterkommen? Wie begegnen wir als Gesellschaft dem Hass im Netz? Wie machen wir deutlich, was wir nicht tolerieren?" Ihr Schluss: "Sigrid Maurers schräge Aktion war ein wirksameres Instrument als viele rechtliche Mittel." (fid, 17.1.2019)