Ein Leben für die Geige: Alma und ihr Vater Arnold Rosé gehörten vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur musikalischen Prominenz Wiens. Danach kämpften sie ums Überleben.
Foto: Internationale Gustav-Mahler-Gesellschaft, Wien

Darf nicht verlorengehen" schrieb Alma Rosé auf die Rückseite einer Porträtkarte, die sie ihrer Geige beilegte. Kurz vor ihrer Flucht vor den Nazis aus den Niederlanden am 14. Dezember 1942 übergab sie das Instrument ihrem Liebhaber. Ihr Ziel, die Schweiz, erreichte sie nicht: Bereits am 19. Dezember wurde Alma Rosé, nachdem sie denunziert wurde, am Bahnhof von Dijon verhaftet und nach mehreren Lageraufenthalten im Juli 1943 ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Dort sollte sie bis zu ihrem Tod am 5. April 1944 als Leiterin des KZ-Frauenorchesters jüdischen Musikerinnen das Leben erleichtern – und in vielen Fällen retten.

Gustav Mahlers Nichte

Der 1906 geborenen Violinistin wurde die Musik in die Wiege gelegt. Sie war Nichte von Gustav Mahler, ihr Vater Arnold Rosé als Konzertmeister des Hofopernorchesters und Mitglied der Wiener Philharmoniker ein "Doyen des Wiener Musiklebens", wie Monika Sommer, Direktorin des Hauses der Geschichte Österreichs, sagt. Das im November eröffnete Museum widmet seine erste Wechselausstellung dem außergewöhnlichen Vater-Tochter-Duo Alma und Arnold Rosé.

Für die der Schau zugrunde liegenden Forschungsarbeiten haben die Kuratorinnen Monika Sommer, Michaela Raggam-Blesch und Heidemarie Uhl insbesondere versucht, die Geschichte der Geigen der beiden Ikonen der Wiener Zwischenkriegszeit zu rekonstruieren. Vater wie Tochter schienen mit ihren Instrumenten genauso innig verbunden, wie sie es miteinander waren. Alma besaß bis zu ihrer Flucht eine kostbare Guadagnini, Arnold spielte eine Stradivari, die ihm die Wiener High Society zum 50. Geburtstag spendiert hatte.

Alma Rosé im weißen Aero Cabrio, undatiert. Bis zur Machtübernahme durch die Nazis führte die gefragte Violonistin ein modernes und mondänes Leben.
Foto: The Gustav Mahler-Alfred Rosé Collection/Music Library, University of Western Ontario, Canada

"Unklar war bisher, wie die Stradivari ins Exil nach London gelangte, wohin die Rosés 1939 geflohen sind", schildert Raggam-Blesch, Historikerin an der Uni Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "In Arnold Rosés Vermögenserklärung, zu der alle Jüdinnen und Juden gezwungen waren, schien sie nicht auf, und hätte er sie offiziell angeführt, hätte er unbezahlbare Steuern leisten oder sie nicht außer Landes bringen dürfen."

Der Stradivari-Schmuggel

Anhand eingehender Recherchen in mehreren Archiven fanden die Forscherinnen heraus, dass Alma einen großen Aufwand betrieben hatte, um die Ausreise des Vaters zu organisieren und zudem die Stradivari unbeschadet nach England zu schmuggeln. "Durch ihre Heirat mit dem tschechischen Stargeiger Vása Príhoda im Jahr 1930 war sie bis März 1939 von antijüdischen Maßnahmen ausgenommen", sagt Raggam-Blesch. Die Ehe scheiterte, doch die tschechische Staatsbürgerschaft nützte ihr offenbar, um die Geigen bereits vor der Emigration 1939 nach London zu schaffen.

Zur Zeit der Machtübernahme der Nazis führte Alma Rosé ein mondänes Leben. Sie war längst eine Berühmtheit – nicht nur als Solistin, die durch die Konzertsäle Europas tourte, sondern auch als Leiterin der Wiener Walzermädeln. Das 1932 gegründete Orchester stellte für sie einen Befreiungsschlag dar. Zu lange war sie schon im Schatten ihres Vaters und ihres Gatten gestanden, wie Raggam-Blesch betont. 1933 wurde die launige Combo im bereits nationalsozialistischen Deutschland noch frenetisch gefeiert, im Juli 1938 wurde sie durch die Reichskulturkammer aufgelöst.

Alma Rosés Damenkapelle "Die Wiener Walzermädeln" tourte in den 1930ern durch ganz Europa.
Foto: The Gustav Mahler-Alfred Rosé Collection, Music Library, University of Western Ontario, Canada

1939 endlich – Arnold Rosé wurde unmittelbar nach dem "Anschluss" von der Staatsoper entlassen, die Familie war ohne Einkommen – flüchteten Alma und ihr Vater nach London. Der Bruder war bereits 1938 in die USA emigriert. "Die beiden konnten jedoch in London ökonomisch nicht sofort Fuß fassen", sagt Sommer. "Um die Stradivari nicht verkaufen zu müssen, nahm Alma ein Engagement in Holland an."

Versteckt in den Niederlanden

Als die Niederlande 1940 von den Nazis besetzt wurden, trat sie bei Hauskonzerten wohlhabender Musikliebhaber auf, die in Opposition zu den NS-Machthabern standen. Versuche, eine Ausreise für sich und den Vater in die USA zu erwirken, blieben erfolglos – trotz Unterstützungserklärungen von Berühmtheiten wie Albert Einstein und Arturo Toscanini. Als letzter Ausweg blieb der Fluchtversuch – der in Auschwitz endete.

Dort setzte die aus Oberösterreich stammende Oberaufseherin des Frauenlagers in Birkenau, Maria Mandl, Alma Rosé als Leiterin des Frauenorchesters ein, auch als Mädchenorchester bezeichnet. Es spielte vor allem zu den Aufmärschen der Zwangsarbeiterinnen und zum privaten Amüsement der SS-Führung. Das Ensemble selbst musste keine Zwangsarbeit leisten. "Weil Alma Rosé recht früh erkannt hatte, dass Mandl mit dem Orchester ihre Karriere befördern wollte, schaffte sie es, Privilegien für die Mitglieder herauszuschlagen", schildert Raggam-Blesch. Dazu gehörte ein Ofen in der Baracke – vorgeblich, um die Instrumente zu schützen -, bessere Bekleidung und hin und wieder zusätzliche Lebensmittelrationen.

Spielen um Leben und Tod

Entgegen der ursprünglichen Vorgabe, nur polnische Häftlinge aufzunehmen, engagierte Rosé bewusst jüdische Musikerinnen. Die Ansprüche der ambitionierten und höchst disziplinierten Violinistin waren hoch: Das Orchester, das bis zu 50 Musikerinnen umfasste, musste hart proben, um das rund 200 Musikstücke umfassende Repertoire zu erarbeiten.

Ihre Strenge und die Funktion, die sie zu einem Kapo machte, sowie der Respekt, den sie selbst innerhalb der Lagerleitung genoss, brachten ihr auch Kritik ein. Doch Alma war klar: "Wenn wir nicht gut genug spielen, gehen wir ins Gas." Tatsächlich bedeutete die Aufnahme als "Orchestermädchen" für viele die Rettung in letzter Minute. In der Nacht von 4. auf 5. April 1944 starb Rosé, vermutlich wegen einer verdorbenen Fleischkonserve. Es gab aber auch Gerüchte, sie sei vergiftet worden oder habe sich selbst vergiftet. Ende 1944 wurden die jüdischen Musikerinnen in das KZ Bergen-Belsen verlegt. Die meisten Orchesterfrauen überlebten.

Almas Geige landete letztlich bei Arnold Rosé, der, kurz nachdem er vom Tod seiner Tochter erfahren hatte, sowohl die Guadagnini als auch die Stradivari verkaufte. Im August 1946 starb Arnold. Welchen Weg die beiden Geigen danach nahmen, haben die Forscherinnen in der Schau im Haus der Geschichte Österreich genau dokumentiert. "Die Instrumente touren heute noch durch die Konzertsäle der Welt und werden von prominenten Musikern gespielt", sagt Sommer. Die Guadagnini ist heute im Besitz des russischen Geigers Zahkhar Bron, die Stradivari wurde 2005 von der Oesterreichischen Nationalbank erworben, die sie temporär verleiht.

Diese Notentasche des Frauenorchesters in Auschwitz-Birkenau stammt von Hilde Grünbaum Zimche, die sie aus einem Polsterüberzug genäht hat. Die Tasche aus der Yad Vashem Artefacts Collection ist Teil der Alma Rosé-Ausstellung.
Foto: Markus Guschelbauer

Die Ausstellungsfläche im ersten Stock der Neuen Burg am Wiener Heldenplatz, die fortan den Namen Alma-Rosé-Plateau trägt, ist äußerst geschichtsträchtig: Sie liegt in jener Halle, die direkt auf den Altan führt, von dem aus Adolf Hitler am 15. März 1938 den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich verkündete.

Arrangiert wie für ein unsichtbares Orchester wird das Leben der Rosés auf Notenständern präsentiert, samt einer Fülle von amtlichen und persönlichen Dokumenten, die unter Mithilfe von Anita Lasker-Wallfisch und Hilde Grünbaum Zimche, noch heute lebenden Mitgliedern des KZ-Frauenorchesters, gesammelt wurden. Unterlegt wird die Installation von der einzigen Tonaufnahme, die von Alma Rosé existiert: ein Bach-Doppelkonzert, das sie 1929 mit ihrem Vater eingespielt hatte. (Karin Krichmayr, 20.1.2019)