Auf den ersten Blick schaut es nach dem politischen Amoklauf eines SPÖ-Funktionärs aus. Der rote Postgewerkschafter Josef Hübner übt scharfe Kritik an der "sozialromantischen Schlaraffenlandpolitik" seiner eigenen Partei und lobt enthusiastisch die Politik der türkis-blauen Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz und seinem Vize Heinz-Christian Strache. "Machen Sie weiter so!" Ohne Zynismus. Es geht um die Mindestsicherung. Dass die Regierung diese unter anderem für Flüchtlinge kürzt, findet Hübner gut, dass sich die rot-grüne Wiener Stadtregierung dagegen wehrt, eher nicht. "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt", sagte Strache, und jetzt sagt das der Herr Hübner.

Die SPÖ ist darüber erzürnt, aber auch ein wenig ratlos. Ausschließen oder nicht? Der Mann ist immerhin glühender Sozialdemokrat, wenn auch mit abweichender Meinung.

Wenn die SPÖ ein bisschen in sich geht, ihren Funktionären, Wählern und Sympathisanten zuhört, wird sie feststellen, dass Herr Hübner mit seiner Meinung nicht allein ist. Die Botschaften, die Kurz und Strache konsequent absetzen, haben ihre Wirkung nicht verfehlt: Flüchtlinge wollen wir nicht. Das sind Fremde, intolerante Kulturen und Religionen, Sozialschmarotzer, Vergewaltiger. Auch Mörder. Für alles gibt es Beispiele. Wir müssen die Zuwanderung in unser Sozialsystem beenden. Jene, die noch nie ins Sozialsystem eingezahlt haben, sollen auch nichts – oder jedenfalls deutlich weniger – rausbekommen.

Unser 24-jähriger Praktikant sagte an dieser Stelle bei der redaktionsinternen Diskussion: "Ich habe auch noch nie ins Sozialsystem eingezahlt, immer nur herausgenommen." Wenn alles gutgeht, wird Theo noch ein tüchtiger Steuerzahler, der in der Früh aufsteht und im besten Fall gerne arbeiten geht. Wenn alles gutgeht, wird auch der Flüchtling bald arbeiten. Er wird mehr Unterstützung brauchen, beim Deutschlernen, bei der Wohnungssuche, bei der Arbeitssuche. Dann wird auch er ins Sozialsystem einzahlen.

Schwieriges Terrain

Für die SPÖ ist das ein schwieriges Terrain. Die Solidarität mit Hilfsbedürftigen, gerade mit jenen, die aus dem Ausland kommen, ist etwas für den kleinen, erlesenen Kreis, für den linken Flügel, für Reden vor ausgesuchtem Publikum, aber nichts für die Masse. "Hoch die internationale Solidarität!", das war einmal. Viele ihrer Wähler und auch etliche Funktionäre sind mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert. Aus diffusen oder ganz konkreten Ängsten, aus strategischen Überlegungen oder mit handfesten Argumenten: "... sind nicht das Sozialamt der Welt ...", "... haben noch nie ins Sozialsystem eingezahlt". Um diese Debatte hat sich die SPÖ die längste Zeit herumgedrückt.

Die Kampagne, mit der die SPÖ jetzt dagegenzuhalten versucht, ist nett. "Jeder, der arbeitet, muss gut davon leben können." Dazu in zarter Schrift: "Wer Arme ärmer macht, macht das Leben für niemanden besser." Und ganz klein: "Teilen wirkt."

Ja, eh. Aber wer will schon teilen? Also wird die Mindestsicherung unter allgemeinem Applaus für die Ärmsten gekürzt – je mehr Flüchtlinge davon betroffen sind, umso lieber, das stärkt angeblich die Eigenverantwortung. Eine Debatte darüber zu führen ist schwierig, das weiß jeder, der sich darauf einlässt. Da werden keine Argumente ausgetauscht, da wird aufeinander eingedroschen. Das Klima ist längst vergiftet. Und wenn wer fragt: Wir sind uns selbst die Nächsten. (Michael Völker, 17.1.2019)