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Ein Chip unter der Haut: Was wie eine Dystopie aus einem Science-Fiction-Film klingt, wird langsam Realität wie weltweite Beispiele zeigen.

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Bei der US-Firma Three Square Market wurde im vergangenen Jahr ein seltsames Event gefeiert: Im Rahmen einer Chip-Party ließen sich Mitarbeiter freiwillig einen Mikrochip unter die Haut implantieren. Der fingernagelgroße Mikroprozessor, vergleichbar mit einem EMV-Chip in einer Kreditkarte, erlaubt es den Mitarbeitern, kontaktlos Türen zu öffnen, sich in den Computer einzuloggen und Essen in der Kantine zu kaufen. Rund 70 Angestellte sollen sich bereits "verchippt" und damit zum Cyborg aufgerüstet haben. Die Aktion sorgte weltweit für Aufsehen und ließ Datenschützer aufschreien.

Zwar betonte der Chef von Three Square, Todd Westby, dass Mitarbeiter nicht getrackt würden und ein Smartphone 100-mal mehr Bewegungsdaten sammle. Doch ließe sich mit Mikrochips eine lückenlose Überwachung ins Werk setzen. Wann hat Mitarbeiter X den Computer hochgefahren? Wer macht wann Toilettenpause? Wer kauft in der Kantine häufig Süßigkeiten?

Dabei stellt sich auch die Frage nach der Datensicherheit. Was, wenn unbefugte Dritte die gespeicherten Daten unter der Haut auslesen? Dann hätten die Hacker Zugang zu Räumen und Computersystemen – und könnten auf Dateien zugreifen. Mit solchen Chips werden normalerweise Tiere gekennzeichnet oder Pakete getrackt. Das zeigt die Stoßrichtung der Überwachungstechnologie: Der Mitarbeiter wird zum Objekt degradiert.

Eine Art Schlüsselersatz

Auch der schwedische Innovationshub Epicenter ließ Angestellten auf freiwilliger Basis einen Mikrochip in der Größe eines Reiskorns implantieren. Der Chip fungiert als eine Art Schlüsselersatz: Man kann im Handumdrehen Türen öffnen, fotokopieren oder Smoothies kaufen. Die Bodyhacker finden einen Chip unter der Haut praktischer als einen Schlüssel oder Badge, den man im Büro oder zu Hause liegen lassen kann. Das kontaktlose Öffnen von Türen oder Bezahlen mag kommod sein. Doch die Kehrseite ist, dass man einen Mikrochip nicht so einfach ablegen kann wie ein Fitnessarmband – der Prozessor ist Teil des Körpers.

Der US-Paketlieferdienst UPS hat seine Lieferwagen schon vor Jahren mit Sensoren ausgestattet, um zu sehen, wann die Fahrer die Türen öffnen und schließen, den Motor starten und ob sie angeschnallt sind. Die Investmentbank Barclays ließ unter den Schreibtischen ihrer Mitarbeiter Bewegungsmelder installieren, die mit Wärme- und Bewegungssensoren erkannten, ob jemand gerade an seinem Platz sitzt. Im Disneyland Resort Hotel in Kalifornien wurde die Arbeitsleistung des Reinigungspersonals, etwa die Zahl der gewaschenen und getrockneten Handtücher, per elektronischer Überwachung kontrolliert und in einem internen Wettbewerb verglichen: Wer die Ziele des Managements erfüllte, sah seinen Namen auf einem Bildschirm in Grün. Wer langsamer arbeitete, dessen Name wurde gelb. Und wer zurücklag, dessen Name leuchte für alle sichtbar rot auf. Das Management konnte in Echtzeit nachverfolgen, wie oft Wäscher X die Waschmaschine Y bediente. Die Folge dieses brutalen Wettbewerbsdrucks war, dass Arbeiter auf ihre Pausen verzichteten, um nicht zurückzufallen.

Mensch als ferngesteuerte Maschine

Amazon hat ein Patent auf Überwachungsarmbänder angemeldet, die durch Ultraschall präzis die Armbewegungen der Warenhausmitarbeiter tracken und sie mittels Vibrationen in eine bestimmte Richtung nudgen können. Der Mitarbeiter wird zur ferngesteuerten Maschine. Ein autoritär gelenkter Roboter war schon das Idealbild des US-Ingenieurs Frederick Winslow Taylor, der mit seinem Konzept der wissenschaftlichen Betriebsführung (Scientific Management) jeden Arbeitsschritt streng takten wollte. Dass die Belegschaft selbst Zeit- und Bewegungsstudien durchführt, hätte er sich wohl nie erträumen können. Und womöglich hätte er sich als Urvater des Taylorismus auch nicht vorstellen können, dass irgendwann einmal die Gehirnströme von Arbeitern durchleuchtet werden.

Was wie eine Dystopie aus einem Science-Fiction-Film klingt, ist in China längst Routine. Dort müssen Angestellte von staatlichen Unternehmen, öffentlichen Verkehrsbetrieben und Militäreinrichtungen spezielle Uniformhüte tragen, die ihre Gehirnwellen und ihren emotionalen Zustand überwachen. Wie die South China Morning Post berichtete, sind in den Sicherheitshelmen beziehungsweise Hüten drahtlose Sensoren eingebaut, welche die Gehirnströme der Hutträger messen und die Daten an Computernetz streamen, wo sie von Algorithmen analysiert und auf Anomalien untersucht werden.

Eine einzige Dystopie

Auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Peking-Schanghai etwa tragen die Zugführer Uniformmützen, deren eingebaute Sensoren verschiedene Gehirnaktivitäten messen und mit einer Genauigkeit von 90 Prozent Müdigkeit oder Aufmerksamkeitsverluste erkennen. Wenn der Fahrer kurz einnickt, löst die Kappe einen Alarm aus und weckt den Fahrer mit einem Signalton auf. Auch in Flugzeugcockpits soll die Sensorik integriert werden. Die staatlichen Behörden begründen diesen Schritt vor allem mit dem Argument der Sicherheit: Ein übermüdeter oder gereizter Pilot könne die Sicherheit der Passagiere gefährden. Warum man den Menschen dann nicht durch eine Maschine ersetzt, sondern ihn zu einer solchen macht, erschließt sich dem außenstehenden Beobachter nicht.

Die Überwachung ist in China insgesamt weit gediehen. So werden in einigen Städten Verkehrssünder per Gesichtserkennung identifiziert und auf riesigen Bildschirmen öffentlich gebrandmarkt. Wissenschafter haben jedoch Zweifel, ob die emotionale Überwachung funktional ist und man Hirnsignale entschlüsseln kann. Dass der Staat seinen Bürgern in die Köpfe schaut, ist jedenfalls eine Entwicklung, die George Orwells Dystopie 1984 sehr nahekommt. (Adrian Lobe, 20.1.2019)