St. Pölten ist eine glückliche Stadt. Ihren rund 55.000 Einwohnern stehen unter etlichem anderen ein schönes Landestheater und ein schnittiges Festspielhaus zur Verfügung, ein Museum, das mit seinem Haus für Natur und seinem Haus der Geschichte im Vergleich mit ähnlichen Institutionen bestens aufgestellt ist, und eine Bühne im Hof mit gemischtem unterhaltsamem Programm.

Diese "Spielorte" tragen maßgeblich zum Charakter und zur Lebendigkeit des Lebensraums St. Pölten bei. Sie geben diesem Lebensraum zum Gutteil seine kulturelle Gestalt und gestalten die geistige Grundversorgung mit. Diese Kulturstätten laden die St. Pöltner ein, sich aus gegebenen Anlässen unter all die anderen zu mischen, für die diese Stadt da ist. Und sie bringen Qualitäten mit, die den Alltag jedes und jeder Einzelnen nach außen hin öffnen und den Reichtum der Welt ins Leben hereinlassen.

Jazzlegende Billy Cobham vor seinem 75. Geburtstag in der Bühne im Hof
Foto: Tama

In diesem Zusammenhang hat das Landestheater zum goldrichtigen Spielzeitmotto gefunden: "Die Welt ist groß." Das gilt ganz besonders für unser vernetztes "global village". Das "weltweite Dorf" suggeriert zwar Nähe und Erreichbarkeit von allem, seine gewaltige Ausdehnung sucht es aber zu verbergen. Sie spüren wir vor allem, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht und deutlich wird, dass die Größe der Welt eher von ihrer Komplexität als von ihrer geografischen Ausdehnung bestimmt ist.

Gefühl für die Welt

"Was passiert, wenn die Welt aus den Angeln gehoben wird, weil die Herrscher ihre Orientierung verlieren?", fragt Landestheater-Leiterin Marie Rötzer.

Was ihr Haus gemeinsam mit allen anderen Spielorten anbieten kann, ist die Vermittlung eines Gefühls für die inneren Strukturen dieser unruhigen Welt. Welterklärungen von mehr oder minder brauchbarer Qualität liefern ohnehin andere Institutionen. Aber das Gespür für die Dimensionen der Welt können realistisch, weil nicht bloß ausgesuchten Zwecken untergeordnet, nur Kunst und Wissenschaft geben.

Daher werden die >>>Gastspiele und >>>Premieren des Landestheaters nicht nur den Horizont für dieses Gefühl erweitern, sondern auch die Abgründe und Höhen der Welt spürbar machen.

Und weil Komplexität nicht nur für Verwirrung steht, sondern auch für die Vielfalt und Vielschichtigkeit, kann das Gefühl für die Welt sich auch aus anderen Blickwinkeln speisen. Zum Beispiel bei den Aufführungen im Festspielhaus St. Pölten, die in zwei Schwerpunkte gegliedert sind: in die Höhenflüge des Cirque nouveau und in die Tiefgänge von Choreografie, Performance und >>>Tanz.

"Es gilt, in einer Welt, die zu zerbrechen droht, mit den Mitteln der Kunst das Leben zu feiern", behauptet Festspielhaus-Intendantin Brigitte Fürle. Damit ist weniger Party ohne Ende gemeint als eher das Auskosten der Fähigkeit, Geschichten zu erfinden und Bilder zu inszenieren, die den Wust an Vereinfachungen und Täuschungen der Alltagskommunikation unterlaufen.

Jelinek im Landestheater.
Foto: Herbert Neubauer

Diese Vervollständigung der Wirklichkeit passiert nicht nur im Theater oder im Tanz, sondern auch bei scharfzüngigem Kabarett oder gewitzter Musik, wie sie zum Beispiel die Bühne im Hof gern serviert.

Sinn für Zusammenhänge

Kunst kann bekanntlich nur geben, was in ihr steckt, wenn es auch außerhalb der Institutionen engagierte Citoyens gibt, die sie nach Kräften fördern. Auch das hat die niederösterreichische Landeshauptstadt in Form der Freunde der Kultur St. Pölten mit ihren rund 600 Mitgliedern. Sie sorgen für Austausch und Publikum, und sie helfen auch ganz konkret: aktuell etwa durch die Förderung des Kostümbilds beim Stück Am Königsweg von Elfriede Jelinek im Landestheater.

Ein Hecht im Museumsteich.
Foto: Theo Kust

Zu den zwölf Kulturstätten, denen sich der Verein widmet, gehört auch das Museum Niederösterreich. Dort hat man beispielsweise zur Anschaffung einer Besucherführungsanlage beigetragen. Denn auch Museen sind heute Spielorte – als lebendige Displays, die Forschung sichtbar machen. Im Museum Niederösterreich koexistieren Geschichts- und Naturwissenschaft als Nachbardisziplinen unter einem Dach.

Die in den verschiedenen Häusern erzählten "Geschichten" entwickeln wie von selbst Zusammenhänge untereinander. So gibt es zum Beispiel feine Verbindungen zwischen Jelineks Am Königsweg im Landestheater, Hofesh Shechters Tanzstück Grand Finale im Festspielhaus, der Familie Lässig (Im Herzen des Kommerz) in der Bühne im Hof und der Ausstellung Meine Jugend – Deine Jugend im Haus der Geschichte.

Hofesh Shechter im Festspielhaus
Foto: Rahi Rezvani

Kultur besteht auch darin, im Schönen, Wahren und Fiktiven die wichtigen Kontexte zu entdecken. St. Pöltens Spielorte bieten dafür gute Voraussetzungen. (Helmut Ploebst, 22.1.2019)