Der Charme des Reumannplatzes erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Zwischen abgenutzten Betonflächen, vereinzelten Grünräumen und U-Bahn-Aufgängen kommt das Potenzial des über zwei Hektar großen Platzes kaum zur Geltung. Seit vor knapp eineinhalb Jahren die Station der Straßenbahnlinie 67 aufgelassen wurde, sehen die übriggebliebenen Wartehäuser und die vor ihnen liegenden Gleise verlassen aus.

"Der Platz an sich macht nix her, keine Frage – so wie er jetzt ist", sagt Oswald Kuppelwieser. Der Pensionist steht vor dem Eissalon Tichy, der erst im Frühling wieder aufsperrt, und schaut auf den Platz. "Er ist irrsinnig vernachlässigt worden." Kuppelwieser, der seit vielen Jahren in Favoriten lebt, engagiert sich in der Bürgerinitiative "Offener Reumannplatz". Seit die U1 vor knapp eineinhalb Jahren bis Oberlaa verlängert wurde und dem Platz seine Funktion als Endstation abhandengekommen ist, werden Pläne zur Neugestaltung gewälzt. Kuppelwieser und seine Mitstreiter wollen verhindern, dass dadurch auch das Publikum ausgetauscht wird.

Oswald Kuppelwieser war jahrelang Favoritner Bezirksrat auf einem Ticket der Grünen. Jetzt engagiert er sich in einer Bürgerinitiative, die bei der Umgestaltung des Reumannplatzes mitreden will.
Foto: Georg Kö

Vier konsumfreie Zonen

Denn während der Platz für manche auf den ersten Blick unwirtlich erscheinen mag, sehen das nicht alle so. An Besuchern mangelt es ihm, zumindest in warmen Monaten, nicht. Während sich Stadtplaner an anderen Orten Wiens verschiedene Konzepte zur "Belebung" ausdenken, sind die hier die Bänke im Sommer gut besetzt. Arbeitslose sitzen neben Jungeltern und Eismarillenknödelesser neben Pensionisten, die früher als Gastarbeiter gekommen sind. Das funktioniert gut, sagen die Vertreter der Initiative.

Im Herbst 2017 wurden im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens Ideen von Anrainern und Nutzern gesammelt, wie der Platz in Zukunft ausschauen könnte. Die Pläne, die bisher feststehen, orientieren sich daran: vier konsumfreie Zonen, darunter ein erweiterter Kinderspielplatz und ein Ruhebereich mit Liege- und Sitzelementen im südlichen Bereich. Auch eine Bühne für Jugendliche soll errichtet, die Anzahl der Bäume erhöht und ein Wasserelement zur Kühlung geschaffen werden.

Durch die aufgelassene Straßenbahnstation gewinnt man zusätzliche Fläche, die der Reumannplatz dringend gebrauchen kann. Was darauf entstehen soll, ist noch nicht sicher.
Foto: Andy Urban

Angst vor Verdrängung

Sorgen bereitet der Bürgerinitiative der Vorschlag, der vor einigen Monaten von lokalen Unternehmern mit Unterstützung der Wirtschaftskammer auf den Tisch gelegt wurde: ein Gastro-Pavillon mit 400 Quadratmetern Größe und 200 Sitzplätzen in der Mitte des Platzes. Dadurch solle "neues Publikum" angesprochen und "das Sicherheitsgefühl und Wohlbefinden vor Ort" gestärkt werden. Auch Bezirksvorsteher Marcus Franz (SPÖ) hat sich als Unterstützer präsentiert.

Vorgebracht wurde außerdem, dass seit der U-Bahn-Verlängerung die Passantenfrequenz gesunken und im Winter besonders wenig los sei. Stimmt nicht, sagt die Bürgerinitiative und will das mit einem Video widerlegen. Ein derartiger "Prosecco-Tempel" sei eine "Dystopie", sagt Historiker Georg Kö, ein Mitstreiter von Kuppelwieser. Er will nicht, dass öffentlicher Raum privatisiert wird.

Kleine Gastro

Diese Pläne seien aber in der Dimension kein Thema mehr, sagt Franz zum STANDARD. In kleinerem Umfang – 150 Quadratmeter, etwa 70 Sitzplätze drinnen und 30 draußen – sei ein Gastro-Angebot als Aufwertung des Platzes aber durchaus vorstellbar. Vorbild: das Heuer am Karlsplatz. Bis März solle geklärt werden, ob ein Lokal überhaupt realisierbar wäre – was von mehreren Faktoren, unter anderem der Absiedlung eines Mitarbeiterraums der Wiener Linien und der Finanzierung, abhänge.

Ein Kompromiss wäre auch mit der zuständigen Stadträtin Maria Vassilakou (Grüne) möglich. Hieß es in puncto Gastro-Pavillon noch, "das unterstützen wir nicht", sieht es bei einem kleineren Angebot anders aus. "Voraussetzung ist, dass kein Grünraum betroffen ist", sagt ein Sprecher zum STANDARD. "Dann ist gegen eine kleine Gastronomie nichts einzuwenden." Das sei auch im Beteiligungsverfahren gewünscht worden.

Der Umbau soll im September beginnen und im Lauf des Jahres 2020 abgeschlossen sein. Etwa sieben Millionen Euro wird er kosten.

Der stadtbekannte Eissalon Tichy hat im Winter geschlossen.
Foto: Andy Urban

Gentrifizierungstendenzen

190.000 Menschen leben in Favoriten, dem bevölkerungsreichsten Stadtteil Wiens. Tendenz steigend. Das Einkommen der Favoritner liegt unter dem Wiener Durchschnitt, die Arbeitslosenrate darüber, und die Akademikerquote ist nur in Simmering niedriger.

Nicht alle finden, dass das Zusammenleben gut funktioniert. In einem Kaffeehaus in der Nähe stellt eine Kellnerin im Minutentakt Mittagsteller auf die Tischer der Gäste. Das Lokal ist gut gefüllt. Sie sei vor dreißig Jahren hergezogen, erzählt sie, aber vor vier Jahren dann weg, aufs Land. "Wegen der vielen Ausländer. Es ist keine angenehme Atmosphäre." Ein schickes Lokal könne das aber auch nicht ändern.

Besonders rund um den Reumannplatz und die Favoritenstraße wohnen viele Menschen mit Migrationshintergrund. Die Einwohnerdichte ist bemerkenswert: Während in Wien 43 Einwohner auf einen Hektar kommen, sind es in Favoriten 59. Rund um den Reumannplatz wohnen durchschnittlich 334 Personen auf dieser Fläche. Dort teilen sich außerdem überdurchschnittlich viele Leute eine Wohnung – die Verhältnisse sind beengt. Das deutet laut einer Sozialraumanalyse der Stadt Wien darauf hin, dass Anrainer besonders auf die Nutzung öffentlicher Räume angewiesen sind.

Die Beton-Pergola soll durch etwas Neues ersetzt werden.

Veränderungen

Die Gegend wird sich in den nächsten Jahren verändern. Im Rahmen der Sozialraumanalyse, die bereits 2015 in Auftrag gegeben wurde, wird festgehalten, dass sich entlang der Favoritenstraße "erste Gentrifizierungstendenzen und Verdrängungsprozesse" bemerkbar machen. Darauf deuten unter anderem gestiegene Immobilienpreise hin.

Im Auftrag von Bezirksvorsteher Franz erforscht die TU Wien derzeit, welche Veränderungen auf die Gegend zukommen werden. Einem Aufwertungsprozess gegenüber sei er "zwiegespalten", sagt Franz zum STANDARD. Billigen Wohnraum zu verlieren sei problematisch. Positiv zu sehen sei aber die steigende Kaufkraft der Wohnbevölkerung, sollten Menschen aus höheren Einkommensschichten herziehen. Dass es am Reumannplatz zu Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Gruppen komme, habe er jedenfalls nicht beobachtet.

In der Fußgängerzone Favoritenstraße ist auch im Winter viel los, selbst vormittags. Es werden Krapfen und Döner verkauft, Straßenmusiker spielen, Spaziergänger schieben Kinderwägen. Eine Handvoll Mittzwanziger ziehen Trollys hinter sich her, während sie einen Stadtplan studieren. Vielleicht sind sie auf dem Weg zur Airbnb-Wohnung, die auf der Plattform in der Nähe des Reumannplatzes als "Vintage Design Loft" angeboten wird. (Vanessa Gaigg, 1.2.2019)