Nach Linz zur Elektra? Aber immer, aber gern. Speziell wenn Markus Poschner dirigiert: Denn der Opernchef des ortsansässigen Landestheaters ist ein Guter. Zu Beginn seiner Amtszeit hat der gebürtige Münchner vor eineinhalb Jahren behutsam, sängerdienlich und souverän Strauss' Frau ohne Schatten geleitet, zu Anfang dieser Spielzeit hat der Endvierziger Wagners Tristan und Isolde mit Agilität und Sinnlichkeit erfüllt.

In Michael Schulz' "Elektra" residiert die Tragödie im bürgerlichen Heim. Brigitte Geller schaudert als Chrysothemis.
Foto: Reinhard Winkler

Jetzt also die Elektra, dieses Konzentrat des kolossalen Könnens ihres Komponisten Richard Strauss, ein Konzentrat, in dem sich spätromantischer Fin-de-Siècle-Prunk und die deskriptive Direktheit der Moderne mischen. Die Spannweite zwischen der königlichen Herkunft und der viehischen Haltung, die Librettist Hugo von Hofmannsthal der rachsüchtigen Titelfigur zuschrieb, inspirierte Strauss zu seiner vielleicht vielseitigsten, reichsten Opernmusik. Sie offeriert güldene Harmonie- und Melodieseligkeit genauso wie animalische Umtriebigkeiten aus den düsteren Triebhöhlen des Unter-Ichs.

Musikalische Höhen, ...

Archaische Urgewalt und Majestät, grelle Hysterie und sinnliche Laszivität, Frohsinn und Fäulnis: Dies alles und hunderte Zwischentöne und Stimmungsüberblendungen waren bei Chefdirigent Poschner und dem Bruckner-Orchester Linz da, und ein gewaltiger Schluss natürlich sowieso. Es ist also wieder einmal der Orchestergraben, von dem aus im Landestheater Linz die lichtesten künstlerischen Höhen erklommen werden.

Die Sänger erreichten dieses außerordentliche Niveau nicht zur Gänze. Exzellent die Deutlichkeit der fünf Mägde, überdruckvoll der Orest von Michael Wagner, smart Philipp Kranjc als Pfleger. Brigitte Geller bot als Chrysothemis enorme Emotionsamplituden von matter Resignation (beim Vergleich mit den "angehängten Vögeln") bis zu strahlendem Triumphgesang. Rund und geschmeidig der Mezzo von Katherine Lerner als Klytämnestra – fast zu schön für diese Partie? Miina-Liisa Värelä, die eine famose, variabel singende Färberin war, präsentierte als solide Elektra ihr Forte und Fortissimo in etwas gleichförmiger Weise.

Die Inszenierung von Michael Schulz entpuppte sich als grauenhafter Topfen: Man wollte ständig aus Fremdscham die Augen niederschlagen, wäre man aus beruflichen Gründen nicht gezwungen gewesen, sie offen zu halten. Die Majestäten von Mykene residieren in einer mehrzimmrigen Bruchbude mit Baustellencharme und vergilbten Tapeten (Bühne: Dirk Becker).

... inszenatorische Tiefen

Elektra terrorisiert als gachblonde Hippie-Trutschn mit Stirnband und versifftem Morgenmantel (verantwortlich für den Kostüm-Super-GAU: Renée Listerdal) ihre dysfunktionale Familie und das Personal. Die frustrierte, wohlstandsverwahrloste Sofakartoffel wohnt noch in ihrem Kinderzimmer, einem properen, übervollen Spielzeugreich.

Bilder, die wir so nie mehr sehen wollen: Nachdem sie Orest erkannt hat, spielt Elektra erst mal entspannt mit ihren Plüschtieren. Dann knutscht sie im Paillettenkleid mit ihrem heimgekehrten Bruder herum. Der gothicmäßig gestylte Hofstaat hält sich Kinderzeichnungen vor das Gesicht, bevor er kollektiv dahingemetzelt wird. Mehr Küchenpsychologie war nie. Aber wirklich erstaunlich, was eine einzige Frau mit einem Beil so alles anrichten kann.

Schade auch, dass Lerners attraktive Klytämnestra, von Listerdal in das unschuldige Weiß einer Braut gekleidet, kaum an eine alternde Herrscherin mit "fahlem, aufgedunsenem Gesicht" erinnert, die böse Träume ob des Mordes an ihrem früheren Gatten plagen. Auch weil Värelä nicht unbedingt zu den darstellerisch expressivsten Künstlerinnen zählt, will sich eine glaubhafte Spannung zwischen den zwei rabenschwarzen Frauenfiguren nur selten einstellen.

Begeisterung für die Musik, einige Buhs für die Regie. (Stefan Ender, 20. 1. 2019)