Ed Atkins hält sich nicht mit Höflichkeiten auf. Er begrüßt mit großem Theaterdonner. Monitore an einem riesigen Portalkran, dazu Ravels Bolero in voller Lautstärke, empfangen das Publikum. "No Fear", suggeriert ein Wolf auf einem Kinoplakat. Je nach Einstieg in den Drei-Kanal-Videoloop, wähnt man sich im Schlachthaus oder auf dem Flughafen. Letzteres trifft zu. Mit Safe Conduct, einem neunminütigen Video, parodiert der aktuell gefragteste Medienkünstler seiner Generation Demonstrationsvideos für Sicherheitskontrollen.

Foto: Ed Atkins

In die Wannen auf dem Laufband kommen bei Atkins aber nicht Kleidung und Handgepäck. Da landen abgehackte Hände, Fratzen, die sich sein Avatar immer wieder vom Gesicht reißt, Nasen, Ohren, das Hirn, schließlich der ganze Mann. Diesem, seinem Alter Ego, leiht Atkins' Stimme, Aussehen und Gefühle. Einen Dummy für Emotionen habe er entwickelt, sagt der 1982 geborene Künstler. Und so weint sich der Stellvertreter durch die Ausstellung. Ob das Computerwesen wirklich berührt, sei dahingestellt. Ein bisschen unheimlich wirkt der Avatar, schließlich hat er ein Eigenleben. Er lässt sich nicht wie im Videogame leiten und kontrollieren.

Monsterbaby in der Höhe

Vom Flugplatz geht es in eine pseudohistorische Welt. Old Food, eine Werkgruppe, die Atkins immer wieder erweitert, führt in eine lieblich blühende Landschaft und in eine rustikale Hütte. Da wie dort steht als Fremdkörper ein Klavier. Ein junger Mann im historischen Kostüm aus Kniebundhosen und lila Samtwams rennt steif und unbeholfen durch diese Landschaft, setzt sich ans Klavier und übt brav.

Ed Atkins: "Good Wine", 2017
Foto: Ed Atkins

Ein Baby in Monstergröße fliegt schwerelos durch die Hütte, stößt an Möbel und Dekoration, zerstört. Mit Absicht oder versehentlich? Wer weiß. Frankenstein schaut vom Bildschirm über dem Klavier zu. Wahrscheinlich ist es ein Babymonster, unterwegs zum Friedhof der Kuscheltiere. Ein älterer Mann im mittelalterlichen Kostüm schaut verzweifelt unter seiner Kapuze hervor. Er heult und sabbert. Der Spuckefaden will sich nicht lösen. Aufkommender Ekel wird durch die Unwirklichkeit des Gesichts gebremst: Alles künstlich, man muss sich nicht grausen.

Tausend Tränen tief sind Ed Atkins' Figuren im Leid versunken. Hier weint der Bub aus "Good Boy".
Foto: Ed Atkins

Dem Baby kullern Tränen aus den Augen, die Mundwinkel sind nach unten gezogen. Ein Bild des Jammers, niemand tröstet. Wären die Tränen nicht dicker Glibber, müsste man sich erbarmen. Auch der brave Junge im lila Wams weint. Vielleicht, weil er auf dem Klavier ständig die gleichen Töne (Komposition Jürg Frey) üben muss.

Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz 2017
Foto: Markus Tretter

Neun Monitore laufen gleichzeitig, das Durcheinander an Tönen und Bildern wird durch hunderte Kostüme aus dem Fundus der Bregenzer Festspiele und des Landesmuseums gedämpft. Man schlängelt sich durch die Kleiderregale, denkt sich Carmen und José in die Kostüme, überlegt, was man im Fasching brauchen könnte. Das Eintauchen in die analoge Welt der Täuschung lässt einen kurze Zeit die schluchzenden Computermänner vergessen.

Sandwich ohne Makel

Taucht man aus dem Fundus wieder auf, sieht man sich mit Food-Porn konfrontiert. Makellose Toastbrote werden zum Sandwich zusammengesetzt und auseinandergenommen. Doch Atkins füllt seine Brötchen mit Menschlein, Totenköpfen, Körpersekreten. Das Sandwich wird zum Stellvertreter des menschlichen Körpers, ist auf den Wandpaneelen, die an Gedenktafeln erinnern, zu lesen. Perfektion und Hochglanz toppen den Ekel. Alles ist in unserer Bilderwelt retuschiert, lässt uns Atkins wissen: schönes Essen, schöne Menschen, schöne Statistiken.

Ausstellungsansicht Kunsthaus Bregenz 2017
Foto: Markus Tretter

Die Erzählung vom verzweifelten Mann setzt sich in den beiden oberen Stockwerken fort. Auf vier sich in der Größe steigernden Screens begegnet man dem traurigen Avatar in seinem Schlafzimmer. Obwohl vollgeräumt, wirkt es steril. Atkins schildert in Hisser zwanzig Minuten lang die Einsamkeit seines Protagonisten. "Sorry, I didn't know", wird der nicht müde zu sagen oder zu singen. Wofür er sich entschuldigt, bleibt offen. Das Haus bebt, die Erde öffnet sich, Mann und Zimmer werden verschluckt. Er hat ausgejammert.

Ed Atkins: "Neoteny in Humans", 2017
Foto: Ed Atkins

Im obersten Stockwerk gehen Haus und Screen eine Symbiose in Grautönen ein. Die Betonwände des Zumthorbaus und das Schwarzweiß des Films harmonieren perfekt. Der künstliche Mann ist in Happy Birthday!! zwar dem Untergang geweiht, dass tut der Schönheit keinen Abbruch. "Don't take it too serious", empfahl Ed Atkins bei der Eröffnung den Besuchern seiner bisher größten Einzelausstellung. (Jutta Berger, 21.1.2019)