Kubins "Die Dame auf dem Pferd", 1900/01.

Foto: Eberhard Spangenberg, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Kubins "Die männliche Sphinx", 1903.

Foto: Eberhard Spangenberg, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Kubins "Vepuppte Welt", 1906.

Foto: Eberhard Spangenberg, München/VG Bild-Kunst, Bonn 2018

Lieber Kubin!", schreibt Wassily Kandinsky im April 1910 nach Zwickledt in Oberösterreich, "Arbeiten Sie? Viel? Träumen Sie? Ich mache jetzt endlich das, was ich ,Compositionen' nennen möchte, und höre beinahe ausschließlich Schimpfe (...) Ihnen möchte ich gerne die Sachen zeigen." Alfred Kubin antwortet begeistert: "Vielleicht wird man in Ihnen später den Beginn einer neuen Kunstepoche sehen."

In der Tat kündigt sich Neues an: Kandinsky hat begonnen, Farben und Formen frei auf der Leinwand einzusetzen, 1911 weist die Neue Künstlervereinigung München seine abstrakte Komposition V für eine Ausstellung zurück. Zusammen mit Franz Marc und Gabriele Münter tritt er daraufhin aus der Vereinigung aus. Auch Kubin wird von Münter eilig per Post informiert. Er soll bei der Geburtsstunde des Blauen Reiters dabei sein.

Irrationale Bedrohungen

In der zweiten Ausstellung der Künstlergruppe im Frühjahr 1912 ist Kubin mit Blättern aus dem Mappenwerk Sansara. Ein Cyklus ohne Ende vertreten. In vielfigurigen Szenen brechen irrationale Bedrohungen in die behäbige bürgerliche Welt ein. Aber Schlangen in der Stadt sind längst nicht das unheimlichste Gezücht, das Kubins Albtraumwelten bewohnt. Bereits in den frühen Zeichnungen wimmelt es von spukhaften Visionen und grausigen Deformationen. Unter den messerscharfen Kufen eines Schaukelpferds werden menschliche Leiber zerstückelt, Die Angst hängt als Gespenst am Bein des gestürzten Reiters, um ihn in den Abgrund zu ziehen.

Um 1899 war Kubin, gerade zum Studium nach München gezogen, unter dem Eindruck der symbolistischen Radierungen Max Klingers in einen Schaffensrausch geraten. In wenigen Jahren entstand ein riesiges Konvolut an Tuschfederzeichnungen, die in die Abgründe der Seele schauen.

Gegenseitige Wertschätzung

Und es war Kandinsky, der Kubins Arbeiten 1904 in der Künstlervereinigung Phalanx erstmals in München präsentierte. Die enge Verbindung und gegenseitige Wertschätzung der beiden sollte bis weit über das durch den Ersten Weltkrieg bedingte jähe Ende des Blauen Reiters hinaus bestehen bleiben. Und doch war darüber bisher wenig Konkretes bekannt.

Im Münchner Lenbachhaus, das neben der weltweit größten Sammlung zur Kunst des Blauen Reiters auch das Kubin-Archiv mit fast 400 Zeichnungen, Skizzen- und Tagebüchern beherbergt, werden die künstlerischen und persönlichen Verflechtungen erstmals eingehender beleuchtet. Spannende Einblicke geben die Briefwechsel Kubins mit den KünstlerInnen des Blauen Reiters.

Bibelillustration

Über die formalen Gegensätze hinweg war das Interesse am "Geistigen in der Kunst" ein verbindendes Element. Stilistische Resonanzen zeigen sich zwischen Kubin und Paul Klee. Die von Annegret Hoberg kuratierte Münchner Schau zeichnet anhand ausgewählter Arbeiten auch Entwicklungslinien nach. Und landet dabei in einer Phase Kubins, die von der Suche nach neuen Impulsen geprägt war und unter anderem zu Experimenten an einer flächigen Malerei à la Gauguin geführt hat. Interessanter sind da noch Kubins in Wien aufgesaugte Einflüsse von Koloman Moser, der ihn in die Technik der Kleisterfarbenbilder einführte. Für eine Weile tauchte er da zu Tiefseegespenstern ab.

1912 war bereits ein lockerer Federstrich charakteristisch für Kubin geworden. Drei Jahre zuvor hatte er seinen fantastischen Roman Die andere Seite veröffentlicht, bereits 1908 einen Erzählband von E. A. Poe illustriert. Kandinsky wünschte sich für den Almanach Der Blaue Reiter einen Text ("Schreiben Sie davon, was Sie zum Frühstück aßen, bei wem Sie Schuhe kaufen – alles, was Sie machen, wird gut und mit Dank aufgenommen!") – geliefert hat Kubin Gezeichnetes. 1913 fragte Franz Marc bei ihm für ein Bibelillustrationsprojekt mit Kandinsky, Klee oder Kokoschka an. Kubin war der Einzige, der seine Arbeit noch abliefern konnte. Marc starb 1916 bei Verdun. (Ivona Jelcic, 22.1.2019)