Bundespräsident Alexander Van der Bellen inspiziert mit dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, den Roboter Apollo. Im deutschsprachigen Raum steht das Streben nach Perfektion öfters rascher Innovation im Weg.

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Zuerst sind sie nützliche Helferlein, dann übernehmen sie unseren Job, am Ende revoltieren sie und versklaven die Menschheit: Etliche Science-Fiction-Geschichten erzählen den Aufstieg intelligenter Maschinen als totale Transformation der Gesellschaft. Wer mit solchen Bildern im Kopf auf heutige Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) in Unternehmen blickt, wird enttäuscht beziehungsweise beruhigt sein.

Derzeit etwa wertet intelligente Software Messdaten aus Trinkwasser aus, justiert Fabrikroboterarme anhand von Sensordaten in Echtzeit oder durchforstet Personendatenbanken nach empfänglichen Kandidaten für einen persönlichen Anruf vom Kundenberater. All das verbessert die Profitmarge, ist aber noch keine komplette Transformation.

Doch österreichische Unternehmen sollten das KI-Potenzial nicht unterschätzen. Derzeit geraten viele von ihnen in dem Bereich nämlich ins Hintertreffen, wie eine neue Untersuchung von BCG Gamma, eine Tochter der Boston Consulting Group, zeigt.

Digitale Nachzügler

Dafür wurden über 2.700 Manager in sieben Ländern zu ihren KI-Aktivitäten und Ambition befragt. Zunächst gilt es abzugrenzen: "KI ist kein geschützter Begriff, betont Jörg Erlebach, Senior Partner bei BCG Gamma in Frankfurt. "Wir sprechen von KI, sobald sich ein Algorithmus laufend selbstlernend verändert." Nach diesem Maßstab wenden lediglich 13 Prozent der heimischen Unternehmen aktiv diese Technologie an, weitere 29 Prozent haben ein vielversprechendes Pilotprojekt in der Pipeline. Etwas besser schneiden Deutschland und die Schweiz ab. In der Vergleichsgruppe sind nur Japans Firmen weniger engagiert. "Viele halten Japan immer noch für einen technologischen Vorreiter, aber das war in einer anderen industriellen Revolution. Bei der Digitalen ist das Land hintennach," sagt Erlebach.

Klar die Nase vorne haben Chinas Unternehmen: Jedes dritte von ihnen verwendet KI in der Praxis, und zwar gewinnbringend. Weitere 53 Prozent der befragten chinesischen Firmen haben ein erfolgreiches KI-Pilotprojekt laufen. Damit gibt das Reich der Mitte das Tempo vor. An zweiter Stelle rangieren die USA. Wobei die amerikanische Wirtschaft sich deutlich in globale Spitzenreiter – siehe Silicon Valley – und Nachzügler aufteilt. Aber was hindert Vorzeige-Industrienationen des deutschsprachigen Raums daran, bei der KI-Revolution ganz vorne mitzuspielen?

Raus damit statt Reißbrett

Der größte Unterschied zwischen führenden KI-Anwendern und dem Rest ist die Geschwindigkeit, mit der Ideen in die Tat umgesetzt werden. So ein Innovationszyklus dauert in Österreich fast 14 Monate – in China ist man doppelt so schnell. Das liege mitunter an der österreichischen sowie deutschen Mentalität, alles bis ins Detail auf dem Reißbrett zu planen. "Heute kann das mehr Hemmschuh als Erfolgsgarant sein", meint Erlebach.

Auch den Einwand, dass heimische Betriebe mitunter zu klein seien, um sich mit chinesischen, möglicherweise staatlich subventionierten Tech-Giganten zu messen, lässt der Unternehmensberater nicht gelten. Die meisten untersuchten Firmen beschäftigen zwischen 100 und 200 Mitarbeiter. Die Innovationskraft sei beim Mittelstand größer: "Man kann noch so viele Datenwissenschafter einstellen – wenn ganz oben Entscheidungen in tradierten Strukturen geschehen, wird das nichts mit der Innovation."

Auch der Staat spielt eine Rolle. Bis Ende 2020 will die EU mehr als 20 Milliarden Euro an privaten und öffentlichen Investitionen zusammenbringen. Tatsächlich muss man die digitale Infrastruktur in Deutschland oder Österreich nachrüsten. Mittel für "digitale Bildung", wie sie auch die türkis-blaue Koalition vorsieht, seien nicht weniger wichtig.

All das könne aber keine Ausrede sein. "Viele Manager geben den schwarzen Peter umgehend an die Politik", sagt Erlebach. Stattdessen rät er besonders den Vorständen, Druck auf das Management auszuüben. Wer jetzt nicht angewandte KI-Projekte lanciert, verliert den Wettlauf. (Leopold Stefan, 22.1.2019)