Beliebtes Fotomotiv auf La Réunion: die Cascade Grand-Galet.

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Ansonsten ist La Réunion eher ein schroffes Stück Land vor Ostafrika. Nur wenige Flächen eignen sich für den Vanille-Anbau.

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Grün wie Fisolen werden Vanilleschoten geerntet, ...

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.... gebräunt und fermentiert zu Bündeln geschnürt.

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Auch das eine oder andere Chamäleon fühlt sich im tropischen Klima der Insel im Indischen Ozean wohl.

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Neben Vanille gedeihen dort auch diverse andere Früchte und Gewürze.

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Edmond Albius steht nicht einmal auf einem Sockel. Dabei ist sein Denkmal hier auf Réunion viel beliebter und bekannter als die protzigen Statuen von Charles de Gaulle oder Admiral Labourdonnais, die meterhoch in der Hauptstadt Saint-Denis thronen. Der Sklave Edmond hat weder sein Leben dem Freiheitskampf geopfert, noch brachiale Heldentaten vollbracht. Als Zwölfjähriger hat er im Jahr 1841 Blüten bestäubt – und somit der Insel einen gewissen Reichtum beschert.

Es waren nicht irgendwelche Blüten, es waren die der Vanillepflanze. Sie wurde vor 200 Jahren aus Mexiko eingeführt, wuchs prächtig, doch sie wollte einfach keine Schoten tragen. Bienen, die in anderen Vanilleländern die Bestäubung übernehmen, werden auf der Tropeninsel zu groß, zu schwer für die zarten Blüten. Und so starben jedes Jahr die Blüten ab, und nichts weiter geschah.

Ehre, wem Ehre gebührt

Edmond jedoch erkannte das Geheimnis der fruchtlosen Orchidee, fand heraus, dass es ganz einfach per Hand geht: Mit einem Kaktusstachel zerstörte er das Jungfernhäutchen, das die Selbstbefruchtung verhindert, und drückte mit den Fingern Pollen und Narbe aufeinander. "So machen wir es heute noch", sagt Nathalie Leichnig. Sie gehört zu den erfolgreichsten Vanillebauern von Réunion. Wie die meisten Kreolen geht sie nicht nur regelmäßig in die Kirche, um dem Herrn zu danken, sondern pilgert auch zu Edmond, um für eine gute Ernte zu beten. "An sich sind Denkmäler ja völliger Blödsinn", fügt sie hinzu, "aber mit Edmond ist das etwas anderes. Es tut gut, ihm ab und zu die Ehre zu erweisen."

Nathalie verschränkt die Arme und lehnt sich mit dem Rücken an Edmond. Das Metall der Statue kühlt in der Mittagshitze. "Tja, ohne ihn gäbe es keine Bourbonvanille, keine echte wohlgemerkt, denn die mit dem intensivsten Aroma kommt nur von hier. Da der Name Bourbon nicht geschützt ist, darf jeder die Schote so nennen, auch wenn sie von Madagaskar oder den Komoren stammt. Doch unsere Vanille gab es schon, als La Réunion noch Île de Bourbon hieß." Und seit damals wird auch die Plantage von Nathalie und ihrem Mann Harry bewirtschaftet.

Guter Kletterer

Die Plantage der Leichnigs ist ein riesiger Palmenwald, an den Baumstämmen ranken sich die Vanillelianen empor. Von Zeit zu Zeit klettert Harry geschickt die Stämme hinauf, um die oberen Enden nach unten zu ziehen und auf Mannshöhe festzubinden. Denn eine Vanillepflanze kann bis zu 30 Meter hoch wachsen, doch wer soll in dieser schwindelerregenden Höhe die Schoten noch ernten können? Dieser sportliche Einsatz ist auf jeder Vanilleplantage Männersache, während die Frauen sich traditionell um die Bestäubung der Blüten kümmern. Es erfordert Fingerspitzengefühl, um die Membran zu entfernen und die "Verheiratung", wie Nathalie die Bestäubung nennt, einzuleiten.

Es erfordert ebenso einen geschulten Blick, wann es so weit ist, denn eine Vanilleblüte öffnet sich nur einmal im Jahr an einem Tag für wenige Stunden, sodass es fast schon einen siebenten Sinn braucht, um zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für die "Ehe" gekommen ist. Eine geübte Bäuerin wie Nathalie schafft es, pro Tag an die 1.000 Blüten per Hand zu bestäuben. "Dabei spreche ich mit jeder einzelnen Blüte und sage: Hör zu, du bringst mir ganz viel Vanille!"

Tropischer Winter

Wenn die Bestäubung geglückt ist, wächst aus der Blüte eine grüne Schote, die sich Zeit lässt und erst in ungefähr neun Monaten reif ist. Dann schultern Nathalie und Harry ihre großen Körbe aus geflochtenen Palmenblättern und fahren mit dem Jeep auf die Plantage. Mit einem geschickten Dreh pflücken sie die harten Stangen büschelweise vom Baum. Zum Glück liegt die Erntezeit zwischen Juli und September, im tropischen Winter, der mit 25 Grad erfrischend kühl ist. Die Sonne drückt nicht mehr so heiß, und die Arbeit geht gut von der Hand.

Zu Hause dann schütten beide die Ernte auf dicke Matten. All die Schoten sehen zunächst aus wie Bündel grüner Bohnen, sie sind auch geruchlos, ihnen fehlt noch das Wichtigste, nämlich das typische Aroma, das sich erst im Laufe des Veredlungsprozesses entfaltet. Der wiederum dauert weitere neun Monate.

Viel Handarbeit

Die noch unsortierten Stangen stapelt Harry in einen Schilfkorb, den er kurz in ein heißes Wasserbad taucht, um den Reifungsprozess zu stoppen. Anschließend werden die noch feuchten Schoten in Wolldecken gewickelt und zum Schwitzen 24 Stunden in eine Holzkiste gepackt. Danach geht es für ein paar Tage in die pralle Sonne, später ins aufgeheizte Dachgeschoß, auf einen luftdurchlässigen Lattenrost. Nun läuft die für die Aromabildung entscheidende Fermentation ab: Die Samenkapseln schrumpfen, werden dunkel, und Enzyme setzen nach und nach die Aromen, besonders das Vanillin, frei.

In den folgenden Monaten ist Augenmaß gefragt: Trocknen die Früchte zu stark aus, können sie buchstäblich verbrennen. Das Resultat sind verschrumpelte und brüchige Schoten von schlechter Qualität. "Ich steige immer wieder hinauf, frottiere die Stangen mit der Hand, das macht sie weich und glänzend", erklärt Nathalie, "so entwickelt sich auch das Vanillin im Inneren der Frucht besser."

Königin der Vanille

Eine mühsame Arbeit: Fünf Kilogramm grüner Schoten ergeben ein Kilogramm schwarze Vanille. Eine Bourbon-Schote kostet auf dem Markt, je nach Größe, zwischen drei und fünf Euro. "Meine Früchte haben einen Anteil von drei Prozent Vanillin", erklärt Nathalie. "Das ist Weltspitze. Produkte aus Madagaskar oder Mexiko beispielsweise haben nur halb so viel Vanillin, sind von daher weniger aromatisch und auch preiswerter." Die Leichnigs bauen biologisch an, im Gegensatz zu den industriell geführten Plantagen verzichten sie auf chemischen Dünger und verwenden Kokosblätter als Kompost. Festgebunden werden die Lianen an den Stämmen nicht wie üblich mit Plastikbändern, sondern mit den elastischen Blattfasern des Vacoabaums.

Samstag ist Markttag in Saint-Pierre. Nathalie breitet hunderte Vanillestangen auf ihrem mit bunten Tüchern geschmückten Tisch aus. Die Bourbonvanille, die Königin der Vanille, wird unter Kennern und Gourmets teuer gehandelt. Nathalie ist bereits früh am Morgen von Kunden umringt: Touristen suchen sich ein paar Schoten als Mitbringsel aus, Restaurantköche nehmen sich jede Stange einzeln vor und saugen tief den Duft durch die Nase.

Dunkel und harmonisch

Der Geruch muss dunkel und harmonisch sein – harmonisch bedeutet eine ausgewogene Sinfonie der vierzig verschiedenen Aromastoffe, aus denen eine Vanillefrucht besteht. Liebhaber kaufen nach gründlicher Prüfung kistenweise – und fragen gleich auch nach neuen Rezepten. "Probieren Sie doch mal Jakobsmuscheln!", ruft sie einem der Stammkunden zu und beugt sich vor. "Doch Vorsicht", warnt die erfahrene Köchin, "Vanille ist eigenwillig und sollte nicht mit kräftigen Gewürzen wie Ingwer oder Chili vermischt werden.

Die ölige Flüssigkeit, die die Samenkörner innerhalb der Schote umgibt, ist intensiv. Deshalb ist es angebracht, die Schote der Länge nach aufzuschneiden und das Vanillemark herauszukratzen. Aber auch die Schote selbst enthält Aromastoffe, die sich durch Aufkochen in Milch, Obers oder anderen Flüssigkeiten entfalten. Da sich Vanille hervorragend nicht nur in Fett, sondern auch in Alkohol auflöst, ist der Rum von Réunion oft mit Vanille verfeinert.

Betörendes Aroma

An den Nachbarständen herrscht Durchgangsverkehr, doch bei Nathalie nehmen sich die Marktbesucher Zeit. Eine Französin aus Paris schnuppert an der Ware und rollt versonnen mit den Augen. Sie gesteht, bisher nur das künstliche Vanillin gekannt zu haben, na ja, sie ist in den 1960er- Jahren aufgewachsen, Joghurt, Eis, Pudding, selbst Säuglingsnahrung, alles wurde mit dem chemischen Aroma angereichert. Nathalie schmunzelt: "Die Vanille-Generation – wird Zeit, dass du das Original kennenlernst!"

Mit einem spitzen Messer ritzt sie eine große Schote auf und schabt das feuchte Mark auf ein Holzbrettchen. An die neunzigtausend schwarze Samen schlummern im Inneren, dennoch ist das Häufchen kaum größer als eine Haselnuss. "Hier, gib das mal in deinen Kaffee, das heizt ein und macht ihn stärker als jeden Espresso", sagt Nathalie. Es ist später Nachmittag auf dem Markt, sie klappt ihren dunkelgrünen Sonnenschirm zusammen und verpackt die restliche Vanille sorgfältig in große Holzkisten – sofort verfliegt das betörende Aroma um ihren Stand herum.

Bei Dieben begehrt

Endlich ein freier Tag! Dennoch drehen sich die Gespräche um die Arbeit. Um einige Probleme: Harry ärgert sich über ein paar Produzenten aus Madagaskar, die ihre Vanille auf dem Markt als "réunionesisch" anpreisen – zur Hälfte des Preises. Und Urlauber, die nicht die feine Nase und den geschulten Blick haben, um den Unterschied zur echten Bourbonvanille herauszufinden, fallen auf die Schummelei herein: Die mindere Ware riecht nach chemischem Zusatz, die Schoten sind hart und schrumpelig.

Auch darum geht es in der Runde: Der Vanillepreis ist weltweit gestiegen, und das zieht auch Diebe auf die Plantage. Obwohl jede Schote von den hiesigen Eigentümern mit einem Erkennungsstempel versehen ist, gibt es dennoch Banden, die durch die Plantagen streifen und massig Vanillestangen abrupfen. Wenn die Schoten zu Pulver, Vanilleessenz oder Stückware verarbeitet sind, lässt sich die ursprüngliche Herkunft nicht mehr eruieren. Befreundete Vanillebauern der Leichnigs haben unter Palmen Überwachungskameras angebracht, die den Diebstahl aufzeichneten. Nur, wie soll man die Diebe ausfindig machen, wenn man nicht vor Ort ist? Eine Sirene, die losgeht wie beim Banküberfall? Oder stundenlang in der Nacht die Plantage bewachen? Der Alltag ist anstrengend genug für die Familie.

Schote ins Dekolleté

Harry erzählt, was neulich in der Zeitung stand. Nach neuesten Erhebungen der Landwirtschaftskammer von Réunion bedecken die Vanilleplantagen eine Fläche von etwa 250 Hektar. Das sind 0,4 Prozent der Insel, hauptsächlich an der Ost- und Südküste zwischen den Gemeinden Sainte-Suzanne, Saint-Joseph, Saint-Philippe. Insgesamt gibt es an die 150 Produzenten, die Hälfte der Produktion wird von der staatlichen Provanille-Genossenschaft in Bras-Panon ausgeführt, die andere Hälfte sind private Bauern so wie die Leichnigs. "Ach komm, ist genug!", unterbricht Nathalie, schenkt Vanille-Rum ein, singt und schmiegt sich an Harry.

Dann zerreibt sie ein paar Vanillesamenkügelchen zwischen den Fingern und fährt sich damit durchs Haar. Ein süßer Duft umgibt sie. Vanille, das wissen die Frauen, wird als Aphrodisiakum verwendet, insbesondere für Männer, wenn sie überarbeitet sind. Nathalie schmunzelt: " Harry hat einfach zu viel gearbeitet in letzter Zeit!" Und sie zieht rasch noch die saftigste Schote aus ihrem Korb, steckt sie in ihr Dekolleté und nimmt ihn bei der Hand. (Birgit Weidt, RONDO, 3.2.2019)