Darmstadt – Unser Blick ruht nur selten für längere Zeit auf einem Objekt, meist huscht das Auge gesteuert von komplexen Prozessen umstet umher. Nun haben deutsche Wissenschafter entdeckt, dass die Okulomotorik sogar noch diffizileren Regeln folgt als gedacht. Ein Team um Constantin Rothkopf an der TU Darmstadt hat nämlich gezeigt, dass Menschen ihre Augenbewegung unbewusst mehrere Schritte voraus planen können. Bei ihrer Untersuchung griffen die Forscher auf Methoden der künstlichen Intelligenz zurück, um das menschliche Planungsverhalten zu untersuchen. Die Ergebnisse sind vor allem für das Verständnis der Informationsverarbeitung unseres Gehirns von Bedeutung.

Im Bereich der künstlichen Intelligenz wird der Vorgang, in der Zukunft liegende Konsequenzen von Handlungen in Entscheidungen miteinzubeziehen, als Planen bezeichnet. Planen ist dabei immer mit einem hohen Rechenaufwand verbunden, da viele mögliche zukünftige Entwicklungen mitberücksichtigt werden müssen. Einfacher wäre es daher, nur die direkten Konsequenzen der jeweils nächsten Handlung zu berücksichtigen, also nicht zu planen. Aber im Allgemeinen kann dieses kurzsichtige Agieren dazu führen, dass wir unser Ziel nicht erreichen. Inwieweit Menschen zukünftige Belohnungen bei Entscheidungen berücksichtigen, kann demnach langfristig einen großen Einfluss auf ihr Verhalten haben.

Wenig Zeit zum Schauen

Nun ist es Forschern am Centre for Cognitive Science der TU Darmstadt gelungen zu zeigen, dass auch der unbewusste Ablauf von Augenbewegungen gleichsam geplant verläuft. Dazu untersuchten sie Augenbewegungen – Sakkaden – von Probanden, die erkennen sollten, ob eine begrenzte Fläche am Bildschirm einen schwarzen Punkt enthielt. Für diese Aufgabe stand unterschiedlich viel Zeit zur Verfügung, so dass die Teilnehmer nur eine oder zwei Augenbewegungen ausführen konnten, um die Fläche zu erfassen.

Die im Fachjournal "Scientific Reports" präsentierten Resultate zeigen: Wenn nur eine Augenbewegung möglich war, fixierten die Probandinnen und Probanden einen Endpunkt, der eine möglichst große Abdeckung der Fläche mit einem einzelnen Blick ermöglichte. Stand jedoch Zeit für zwei Sakkaden zur Verfügung, sah das anders aus: Die Probanden wählten unwillkürlich direkt einen anderen ersten Schritt für ihre Augenbewegungen, der schlechter für das Auffinden des schwarzen Punktes mit einer einzelnen Augenbewegung gewesen wäre. Zusammen mit der zweiten Augenbewegung ließ sich allerdings so das Suchergebnis insgesamt optimieren.

Parallelen zur planenden künstlichen Intelligenz

Die aufgezeichneten Augenbewegungen der Testteilnehmer standen dabei im Einklang mit einem Modell der künstlichen Intelligenz, das ein geplantes Vorgehen beschreibt. Sie passten jedoch nicht zu Modellen, die im Forschungsfeld der visuellen Wahrnehmung vielfach angewendet werden und die keine Planung der Augenbewegungen beinhalten.

Die Untersuchung liefert einen Beleg für eine bedeutsame Komponente in der menschlichen Informationsverarbeitung: Das visuelle System berücksichtigt zukünftige Ereignisse beim Lösen von Aufgaben, die mehrere Schritte benötigen. Mit anderen Worten: Es "plant" tatsächlich. Das Ergebnis ist nicht nur relevant für unser Verständnis menschlicher Blickbewegungen, da wir meist drei Mal pro Sekunde unsere Blickrichtung wechseln, sondern darüber hinaus auch für unser Verständnis der Informationsverarbeitung bei Entscheidungsvorgängen im Gehirn: Obwohl wir bewusstes Planen wie beim Schachspielen, der Planung einer Reise oder der bei der Entwicklung einer Investitionsstrategie als schwierig wahrnehmen – und dabei immer wieder Fehler machen –, planen unsere Augen nahezu optimal. (red, 27.1.2019)