Naxos liegt in der Ägäis und ist mit 429 Quadratkilometern die größte Insel der Kykladen-Gruppe. Den meisten ist Naxos als Urlaubsziel bekannt, doch auch archäologisch hat die griechische Insel einiges zu bieten. Die ältesten Spuren menschlicher Aktivitäten an einer Entnahmestelle für Chert (im Deutschen oft als Hornstein bezeichnet) in Stélida datieren bereits in das Altpaläolithikum. Bekannt ist auch die Fundstelle Grotta im Bereich der heutigen Hauptstadt Chora, die erstmals vom Spätneolithikum bis zur Bronzezeit besiedelt war.

Die Hauptstadt von Naxos, Chora. Rechts im Bild die berühmte Portara am Hafen.
Foto: p. schneidhofer
Dass sich auf dem Gipfelkamm eine befestigte Stadt befindet, möchte man von hier unten aus kaum glauben.
Foto: c. tonning

Aufgrund seiner Größe, aber auch seiner Topografie nimmt das gebirgige Naxos unter den Kykladischen Inseln bis heute eine Sonderstellung ein. Der höchste Berg mit dem Namen Zeus ragt 1.008 Meter über dem Meeresspiegel auf und ist Teil eines Nord-Süd verlaufenden Höhenzugs. Diese und andere Faktoren erzeugen ein Mikroklima, das unter anderem zu höheren Niederschlagsmengen führt – ein Vorteil für die Landwirtschaft und wahrscheinlich einer der Gründe, warum sich Naxos ab dem 3. Jahrtausend v. Chr. zu einem der einflussreichsten Zentren der Kykladen-Kultur entwickelte. Während der byzantinischen Epoche begann Naxos zu florieren. Die arabische Expansion im mediterranen Raum während des 7. und 8. Jahrhunderts führte allerdings zu einer Siedlungsbewegung weg von den Küsten in Richtung des Inselinneren. Im Zuge dieser Ereignisse dürfte irgendwann wehrend des 7. Jahrhunderts die Bergstadt Kastro Apalirou als befestigte Zitadelle und Fluchtburg gegründet worden sein.

Die zerfallenen Reste von Kastro Apalirou. Vor allem Zisternen und Kirchen haben sich dank der Verwendung eines speziellen Mörtels bis heute erhalten.
Foto: c. tonning

Hoch über der Ägäis

Kastro Apalirou liegt auf einem 350 Meter hohen Berg im Südwesten der Insel. Mit 350 Meter Länge und nur 90 Meter Breite schmiegen sich die Ruinen von West nach Ost an den leicht abfallenden Gipfelkamm. Große Teile der Stadt liegen heute in Trümmern, dennoch haben sich ein Teil der befestigten Stadtmauer, über 40 Zisternen, manche davon mit extremem Fassungsvermögen, ein religiöser Bezirk und zahlreiche Gebäude erhalten. Allzu viel wusste man bisher nicht über Kastro Apalirou, und die Stadt warf einige Fragen auf. Wie kommt es, dass auf einer schwer zugänglichen, wasserlosen Erhebung eine Siedlung von solchem Ausmaß gebaut wurde? Erste Interpretationen gingen schnell in Richtung Fluchtburg als Reaktion auf die arabische Expansion. Die große Zahl an Gebäuden, darunter einige Kirchen, die Existenz von ausgedehnten Terrassierungen für den Anbau von Nahrung, vor allem aber das Fundmaterial ließen diese Deutung jedoch zu vereinfacht erscheinen. Zu weitläufig, zu gut organisiert erschien die Anlage und Struktur der Stadt. Um Zweck und Funktion von Kastro Apalirou besser zu verstehen, wurde schließlich das Norwegian Naxos Survey Project ins Leben gerufen.

Jenseits der 35 Grad Celsius und natürlich keine einzige Wolke am Himmel: Man(n) schwitzt beim Arbeiten.
Foto: p. schneidhofer

Das Norwegian Naxos Survey Project

Gestartet im Jahr 2010, ist das Projekt eine bis heute andauernde Kollaboration zwischen dem 2. Ephorate für Byzantinische Altertümer, der Kommune von Naxos und den Kleinen Kykladen, dem Norwegischen Institut in Athen und den Universitäten von Oslo, Newcastle und Edinburgh. Das Projekt beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen und politischen Veränderungen, die von der Mittelbyzantinischen Epoche (565 bis 1081 AD) bis zur Venetianischen Epoche (1206 bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts) stattfanden, und der Frage, ob und, wenn ja, wie sich diese Veränderungen in der archäologischen Landschaft niederschlugen.

Ein wichtiger Teil des Projekts betrifft die vollständige Kartierung und Dokumentation der Ruinen von Kastro Apalirou. Bis dato wurde die Stadt mittels Totalstation vermessen; im Sommer 2018 wurden erstmals Drohnenflüge für Luftbildaufnahmen und ein Bodenradar zur Untersuchung des Untergrunds eingesetzt.

Die Drohne, eine Phantom 4, tat uns im beginnenden Meltemi gute Dienste.
Foto: p. schneidhofer

Kampagne 2018

Die Kampagne 2018 des norwegischen Teams unter der Leitung von Archäologe David Hill wurde während dreier Wochen im Juli durchgeführt. Die heißeste Zeit des Jahres ist nicht gerade ideal für Feldarbeiten in Griechenland; in diesem Jahr ging es terminlich jedoch nicht anders.

Ein winziger Surveybereich am höchsten Punkt von Kastro Apalirou.
Foto: d. hill

Während ein Teil des Teams Drohnenflüge über verschiedenen Gebäudekomplexen durchführte, konzentrierten sich die Bodenradaruntersuchungen auf drei Areale entlang der Stadtmauern. Einerseits hofften wir, mit dem Bodenradar den Verlauf noch unbekannter Mauerteile verfolgen zu können – ein Gebiet, in dem das Bodenradar vor allem durch die erfolgreiche Untersuchung römischer Fundstellen gut erprobt ist. Andererseits suchten wir speziell in einem Bereich nahe einer Zisterne nach Spuren von Gräbern, die uns Aufschluss über die Verwendung dieses relativ freien Platzes innerhalb von Kastro Apalirou geben könnten.

Das Bodenradar muss im Schatten abkühlen. Der Norweger Christer Tonning auch.
Foto: p. schneidhofer

Als wir den Berg das erste Mal sahen, konnten wir kaum glauben, dass sich dort oben eine Stadt dieser Größe befinden sollte. Zu steil ragen die Flanken auf, zu unwegsam ist das Terrain. Nur ganz schwach war die Stadtmauer in der flimmernden Luft zu erkennen. Wir parkten auf einem staubigen Feldweg und machten uns, bepackt mit Bodenradar, Totalstation, Drohne und etlichen Litern Wassern daran, die 350 Höhenmeter bis zum Gipfel hinaufzuklettern. Um gerade einmal 9.30 Uhr zeigte das Thermometer bereits 32 Grad im Schatten. Die ersten Tage verbrachten wir damit, vormittags Equipment auf den Berg zu bringen und uns ein Bild der Lage in Kastro Aparouli zu machen. Wir besichtigten potenzielle Prospektionsareale und trafen eine Vorauswahl anhand der Geländebeschaffenheit und der jeweiligen Forschungsfragen. Wir sahen uns auch den Untergrund an, um die Erfolgschancen des Bodenradars besser einschätzen zu können.

Panoramaausblick, im Hintergrund die Insel Paros.
Foto: p. schneidhofer

Vielversprechender Anfang

Der eigentliche Surveytag zog sich endlos in der glühenden Hitze. Wir verbrachten eine kurze Mittagspause im Schatten einiger Sträucher, während das Bodenradar im Inneren einer Zisterne auf Betriebstemperatur herunterkühlte. Nach neun Stunden hatten wir alles auf dem Datenträger, kletterten etwas wackelig die Bergflanken hinunter, verstauten das Equipment im Auto, fuhren zum Strand und warfen uns buchstäblich in die kühle Ägäis.

Abstieg nach einem langen Tag.
Foto: p. schneidhofer
Das Team 2018 auf dem Weg zum Meer und einem wohlverdienten Mythos.
Foto: c. tonning

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, die Daten zu prozessieren. Abends in der Taverne versammelten wir uns vor dem Computer und sichteten die Ergebnisse – darunter Mauern und Anomalien, die wir als Gräber interpretieren. Ein vielversprechender Anfang.

Kastro Apalirou birgt noch viele Geheimnisse, und zu Recht schreibt Paul Magdalino in dem Buch "Naxos and the Byzantine Aegean", dass man die Stadt nur verstehen wird können, wenn man sie in den Kontext anderer Städte auf Naxos, den Kykladen und Griechenland setzt. Ein Anfang ist durch das Norwegian Naxos Survey Project gemacht, aber wie es so oft geht mit guten Forschungsprojekten: Am Ende steht man mit mehr Fragen da als vorher. (Petra Schneidhofer, 24.1.2019)