Was will das Baby mit seinem Schreien mitteilen? Die Botschaft zu dechiffrieren ist für junge Eltern nicht immer leicht. Entspannungsmethoden können den Dialog unterstützen.

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Endlich ist das Baby da. Und alles ist ganz anders als erwartet. Statt zufrieden zu schlummern, genüsslich an Mamas Brust zu saugen und die Eltern mit dankbarem Glucksen zu erfreuen, quengelt, weint und schreit das Kind im Dauerloop. Das kleine Wesen bringt seine Eltern um Schlaf und Nerven. Die Schreiattacken führen zu tiefer Verunsicherung der Eltern, die ja alles richtig machen wollen und sich täglich scheitern sehen.

Schreien ist die freie Meinungsäußerung des Kindes, sagt der deutsche Psychologe und Körperpsychotherapeut Thomas Harms. Über das Schreien löst das Baby Spannungszustände auf. Wenn es dem Kind nicht mehr gelingt, aus diesem Sturm der Erregung herauszukommen, spricht man von einem Schreibaby, von "frühkindlichen Regulationsstörungen". Gemeint ist damit, dass die sehr sensiblen kleinen Menschen Reize noch nicht verarbeiten können.

Harms ermöglicht mit seiner Methode der "Emotionellen Ersten Hilfe", die auf Erkenntnissen der Körperpsychotherapie, Neurophysiologe, Bindungs- und Traumforschung basiert, Wege zum liebevollen Dialog zwischen Baby und Eltern. 95 Prozent der Eltern vermuten die Ursachen für das Schreien in körperlichen Bedürfnissen oder Beschwerden wie Hunger, nasse Windel, Schmerzen. Körperliche Probleme werden aber nur in fünf Prozent der Fälle diagnostiziert.

Stimmung wird übertragen

Was ist der Sinn des Schreiens? Babys sind Spürwesen, "Stimmungsübertragungsexperten", sagt Thomas Harms. Sie brauchen Ruhe und Geborgenheit, Schutz vor Hektik, umfassende Sicherheit. Unsere sehr beschleunigte Zeit entspricht nicht dem Tempo des Babys, so Harms. Denn: "Babys sind sehr konservativ." Ein Zuviel an Stimulation könnte die Ursache für das Schreien sein, aber auch zu wenig Geborgenheit.

Mit dem Schreien, "die Weltsprache aller Babys, erzählen Babys ihre Geschichte", weiß der Therapeut. Geschichten über Stress in der Schwangerschaft oder erschreckende Erlebnisse bei der Geburt, über Trennung. "Schreien ist ein Imperativ, die Herausforderung ist, diese Botschaften zu dechiffrieren."

Mit der Methode Emotionelle Erste Hilfe helfen geschulte Therapeutinnen und Therapeuten Eltern, zwischen sich und dem Baby eine Verbindung herzustellen. Der Weg führt über einen entspannten Körper, über die Atmung, "diesen Gradmesser unserer inneren Verfassung". Emotionen wie Ablehnung, Genervtsein, Aggression zeigen sich in flacher, gepresster Atmung, die sich auf den Brustraum konzentriert. Diese Anspannung blockiert den Kontakt zum Kind, das Baby reagiert mit verzweifeltem Schreien. Eltern versuchen, sich und das Kind durch hektische Bewegungen abzulenken. Die Unruhe wird nur noch größer.

Konzentrierte Bauchatmung

Als Erste Hilfe empfiehlt Harms die ruhige, konzentrierte Bauchatmung. Mutter oder Vater "verbinden sich mit ihrem Körper", spüren sich selbst. Die Bauchdecke wölbt sich Richtung Baby, über die körperliche Berührung wird die gekappte Verbindung wiederhergestellt. "Die Eltern werden zum Anziehungspunkt, bekommen sofort eine Rückkoppelung. Das Kind entspannt sich. Es übernimmt die Sicherheit der Eltern." Thomas Harms: "Eltern, die dieses Bonding erleben, sind extrem happy, weil ihnen ihr Baby nicht mehr fremd ist."

Eltern in schwierigen Situationen zu helfen sei auch Aufgabe der Gesellschaft, die den Leidensdruck von Eltern oft nicht wahrnehme, sagt Harms. Schließlich würde in den ersten drei Lebensjahren die Basis für spätere Beziehungsfähigkeit geschaffen.

Unterstützung bieten Schreiambulanzen in Wien, Oberösterreich, Salzburg und Tirol. Einzelne Hebammen und Therapeutinnen in Österreich arbeiten bereits nach der Methode der Emotionellen Ersten Hilfe. In Vorarlberg hat sich die IG Geburtskultur a-z, eine interdisziplinäre Fraueninitiative, zum Ziel gesetzt, Schwangerschaft und Geburt durch Bildungsarbeit "ins Zentrum der Gesellschaft zu holen". Die Resonanz auf die Veranstaltungen ist groß. (Jutta Berger, 26.1.2019)