Innenminister Herbert Kickl hat turbulente Tage hinter sich – und vor sich. Die Neos wollen am Dienstag in einer Sondersitzung des Nationalrats einen Misstrauensantrag gegen Kickl einbringen. Auch die SPÖ fordert dessen Rücktritt. Kickl hatte in einem Interview die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) infrage gestellt und erklärt, völkerrechtliche Bestimmungen auf ihre "Sinnhaftigkeit" überprüfen zu wollen. "Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht", sagte der blaue Ressortchef.

Van der Bellen erinnert an Geschichte

Die Äußerung hatte in Österreich wie auch international für Empörung gesorgt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen ließ dem Innenminister am Freitag neuerlich ausrichten, dass an der EMRK "sicher nicht gerüttelt" werde. Der internationale Grundrechtekatalog sei eine "Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust" und "schlicht europäisches Recht". Daran könne Österreich gar nichts ändern. Am Freitag fand dann auch eine Aussprache zwischen Kickl und Van der Bellen statt.

Innenminister Herbert Kickl in der Kritik: die Opposition fordert seinen Rücktritt.
Foto: Standard/Cremer

Auch Autoren und Künstler protestieren offen gegen Kickl. In einem gemeinsamen Schreiben fordern nun bereits 215 Kulturschaffende seinen Rücktritt. Zu den prominenten Stimmen gehören Literaten wie Daniel Kehlmann und Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Sie fordern: "Die Politik hat in der Demokratie das Recht ohne Wenn und Aber zu respektieren."

Freitagabend postete Kickl eine weitere Stellungnahme auf Facebook und versuchte, seine heftig kritisierten Aussagen zu relativieren: "Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Europäische Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechte als solche in Frage gestellt", schrieb Kickl. "Genauso wenig geht aus meinen kritisierten Aussagen hervor, dass irgendjemandem die Menschenrechte abgesprochen werden sollen oder Österreich aus internationalen Verträgen austreten soll. Das hält auch das Regierungsprogramm fest, das ich nie in Zweifel gezogen habe", erklärte der Innenminister. Die jüngsten Äußerungen des Innenminister sind nicht die ersten umstrittenen in seiner Amtszeit. Ein Überblick.

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Innenminister ohne viel Reue: In seiner kurzen Amtszeit leistete sich Herbert Kickl schon einige demokratiepolitische Fehltritte.
Foto: Matthias Cremer

1. Konzentrationsgelüste

Exakt 24 Tage nach seiner Angelobung als Innenminister brachte es Herbert Kickl am 11. Jänner 2018 zum ersten internationalen Aufschrei. Bei einer Pressekonferenz sagte er, Asylwerber seien künftig "entsprechend konzentriert an einem Ort zu halten". Die New York Times berichtete, BBC-News twitterte über Kickls "Nazi-Sprache", der Bundespräsident mahnte einen "verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache" ein. Kickl versicherte, er habe das nicht provozierend gemeint.

2. Sein Hintermann

Unzensuriert.at ist Ihnen ein Begriff? Das ist jene Online-Plattform, die sich ihrem Slogan zufolge "der Wahrheit verpflichtet" fühlt, in Wirklichkeit aber vor allem gegen Migranten und unliebsame Journalisten wettert. Der Verfassungsschutz stuft die Inhalte der FPÖ-nahen Seite als "zum Teil äußerst fremdenfeindlich" mit "antisemitischen Tendenzen" ein. Außerdem würden "verschwörungstheoretische Ansätze" propagiert. Einen der Unzensuriert-Chefschreiber holte Kickl nach Amtsantritt in sein Kabinett: Alexander Höferl ist seither Kommunikationschef im Innenministerium. Schon damals kündigte er an: Seinen Stil werde er nicht ändern.

3. Die Landbauer-Absolution

Mit dem Rechtsstaat nimmt es Kickl nicht immer so genau: In der Causa rund um ein antisemitisches Liederbuch der Burschenschaft Germania zu Wiener Neustadt etwa erteilte der Innenminister seinem Parteifreund, dem damaligen Verbindungsvize Udo Landbauer, schon vorab die Absolution: "Ich halte es ehrlich gesagt für ziemlich ausgeschlossen, dass es Ermittlungen gegen ihn gibt", erklärte Kickl, obwohl die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit gerade erst aufgenommen hatte. Die Opposition tobte – weil sich das 50-jährige Regierungsmitglied damit über die Justiz gestellt habe. Kickl fühlte sich missverstanden – er habe ja nur gemeint, dass die Anklagebehörde gegen unbekannt ermittle.

4. Verhöhnung des Parlaments

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion kam es im Februar 2018 beim Verfassungsschutz zu einer Razzia, die bis heute Gerichte und einen U-Ausschuss beschäftigt – auch weil dabei Akten über rechtsextreme Umtriebe beschlagnahmt wurden. Seit der umstrittenen Hausdurchsuchung hat das Verwaltungsgericht Suspendierungen von Verfassungsschützern aufgehoben, allen voran jene von BVT-Chef Peter Gridling, für die Kickls Ressort sorgte. Bei einer Sondersitzung im Hohen Haus samt Misstrauensantrag der Opposition machte Kickl Grimassen und andere Faxen.

5. Medienwillkür

Eine E-Mail aus Kickls Ressort offenbarte die anvisierte Infopolitik unter dem FPÖ-Minister: Darin wurden die Landespolizeidirektionen u. a. angehalten, missliebigen Zeitungen (STANDARD, Kurier, Falter) nur die nötigsten Infos zu erteilen. Bei der Uno in New York erklärte der Kanzler jede Einschränkung von Pressefreiheit als "nicht akzeptabel", Journalistenverbände schalteten den Europarat ein, doch die Opposition scheiterte mit einem weiteren Misstrauensantrag gegen Kickl.

6. Geiz bei Prävention

Angesichts der jüngsten Frauenmorde rief der Innenminister "akuten Handlungsbedarf" aus – und richtete öffentlichkeitswirksam eine "Screening-Gruppe" mit Experten der Polizei, Justiz sowie des Opferschutzes ein, um solche Taten einzudämmen. Allein: Erst im Sommer hat Kickl ein ähnliches Präventionsprojekt abgedreht – konkret die Teilnahme der Polizei an jenen Opferschutz-Konferenzen, kurz Marac genannt, bei denen Hochrisiko-Gewaltfälle gegen Frauen mit Interventionsstellen eruiert wurden. Bei der Evaluation sei herausgekommen, dass der erhoffte Nutzen nicht erzielt worden sei, lautete damals die Begründung von Kickls Ressort.

7. Rütteln am Grundrecht

Der Bundespräsident, der Kanzler, der Justizminister und seine deutsche Amtskollegin, die Richterschaft, Verfassungsjuristen und ein Teil des Wahlvolks sind erschüttert über das aktuelle Vergehen von Kickl: In einem "Report"-Interview zweifelte er am Dienstag die Europäische Menschenrechtskonvention an. Völkerrechtliche Bestimmungen seien auf ihre "Sinnhaftigkeit" zu überprüfen, findet Kickl, der sich ärgert, dass er aufgrund des internationalen Grundrechtekatalogs straffällige Flüchtlinge nicht abschieben kann, bevor sie rechtskräftig verurteilt sind. Die Opposition fordert Kickls Rücktritt. Und die Freiheitlichen? Rücken zu seiner Verteidigung aus. Kickl selbst fühlt sich wieder missverstanden. (Theo Anders, Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 26.1.2019)