Drei Männer und ihr großes, gelbes Baby (v. li.): Notarzt Lukas Kirchmair, Pilot Johannes Rathgeb und Flugretter Bernhard Obholzer.

Foto: Steffen Arora

Kitzbühel – Bis Startnummer 45 ging am Freitag alles gut auf der Streif. Doch dann passierte es. Der für Schweden startende Osttiroler Alexander Köll (28) blieb nach einem schweren Sturz reglos im Zielschuss liegen. Nun musste alles ganz schnell gehen. Unbemerkt von den Kameras startete der Notarzthubschrauber, der direkt neben dem Zielraum für solche Einsätze bereitsteht.

Die Christophorus 4-Crew vom Stützpunkt Reith bei Kitzbühel ist am Hahnenkamm-Wochenende für die Skistars im Einsatz.
DER STANDARD

In so einem Moment zeigt selbst der erfahrene Pilot Johannes Rathgeb (51) Nerven: "Wenn du startest, fliegst du über 25.000 Leute. Da geht der Puls hoch." Unter dem gelben ÖAMTC-Hubschrauber hängt Rathgebs Crew am Tau: der leitende Notarzt des Christophorus-4-Stützpunktes in Reith bei Kitzbühel, Lukas Kirchmair (44), und der Flugretter Bernhard Obholzer (44). Auf der steilen, vereisten Streif ist landen unmöglich. Daher tragen Arzt und Flugretter Steigeisen, sie werden mitsamt Ausrüstung beim Verletzten abgesetzt.

Drei Jahrzehnte Flugrettung auf der Streif

Seit 30 Jahren steht bei jedem Hahnenkamm-Rennen ein Rettungshubschrauber bereit. Der Kitzbüheler Skiclub, der das Spektakel veranstaltet, hat diese Praxis, die heute Standard bei allen Speedrennen des Weltverbandes (Fis) ist, eingeführt.

Ohne den Hubschrauber geht auf der Streif gar nichts. Kann Pilot Rathgeb einen Pistenabschnitt wegen schlechter Sicht nicht anfliegen, steht das Rennen. Ist die Maschine mit einem Verletzten unterwegs, ebenso. Erst wenn der Hubschrauber wieder die Parkposition im Zielraum erreicht hat, dürfen die Läufer auf die Piste.

Arbeiten in der Auslage

Die vielen Seile von Kameras und Sicherungsnetzen, die über die Strecke gespannt sind, machen das Fliegen zur Millimeterarbeit. Denn Rathgeb muss seine Crew, die am Tau unter ihm hängt, punktgenau zwischen diesen Hindernissen absetzen.

Der Einsatz auf der Streif ist auch für die erfahrenen Retter eine Ausnahmesituation, wie Notarzt Kirchmaier sagt: "Für uns gibt es da nix zu gewinnen." Vor einem Millionenpublikum im TV und Zehntausenden an der Strecke einem Schwerverletzten das Leben zu retten ist Stress pur. Jeder Handgriff wird mit Argusaugen verfolgt. "Die Fotografen halten drauf, selbst wenn du gerade den Tubus setzt." Kirchmair schüttelt den Kopf. Dazu kommen Teamärzte und -betreuer an der Strecke, die oft meinen, sich einmischen zu müssen.

Erinnerung an Stürze statt an Sieger

Wenn die Crew von vergangenen Rennen spricht, geht es dabei nicht um die Sieger, sondern man erinnert sich an die Stürze. Etwa an 2009, als es den Schweizer Daniel Albrecht ganz schlimm erwischt hatte. Der damalige Notarzt musste im Zielraum um das Leben des Schwerstverletzten kämpfen.

Solche Momente verlangen auch dem abgebrühten Flugretter Obholzer, im Zivilberuf Architekt, alles ab. In seiner Rolle assistiert er dem Notarzt und dem Piloten gleichermaßen. Er ist der Bergespezialist im Team, achtet auf die Sicherheit aller Beteiligten und kümmert sich um die Ausrüstung.

Während der Heli auf seiner Parkposition im Zielraum steht, kontrolliert Obholzer immer wieder die Stahlkarabiner, an denen Crew und Patient später hängen: "Bei der Kälte kann es zu Vereisungen kommen, das wäre im Ernstfall fatal."

Athleten als sperrige Luftfracht

Am Freitag lief der Einsatz auf der Streif perfekt ab. Rathgeb setzte seine Crew punktgenau beim verletzten Köll ab, die ihn für den Abtransport vorbereitete. Das ist gerade auf der Streif nicht immer leicht, wie sie erklären: "Viele Athleten sind sehr groß und muskulös, die passen kaum in den Bergesack." Das brachte den Rettern in der Vergangenheit sogar schon Kritik ein, weil Beobachter meinten, die Patienten seien nicht ordentlich gesichert worden.

Um schnellstmöglich wieder zurück im Zielraum zu sein, übergibt die Crew Verletzte auf einem nahen Sportplatz in einer Art Rendezvous-System an einen anderen Hubschrauber. So lange bleibt das Rennen unterbrochen.

Der gestürzte Köll kam mit leichten Blessuren davon. "Das ist immer gut zu hören", sagte Kirchmair. Bleiben noch Slalom und Super-G am Wochenende. Doch die Chancen, dass Kitzbühel 2019 als Rennen ohne Schwerverletzte in die Christophorus-Annalen eingeht, stehen gut. (ars, 26.1.2019)