Also sprach Innenminister Herbert Kickl: "Es gibt da irgendwelche seltsamen rechtlichen Konstruktionen, teilweise viele, viele Jahre alt, aus ganz anderen Situationen entstanden, und die hindern uns daran, das zu tun, was notwendig ist ... Wir können nicht mit Dingen aus den 50er-Jahren herumtun."

Das ist die Sprache des Rechtsextremismus. Denn Kickl redet von der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die wurde 1953 vom Europarat als Reaktion auf die NS-Menschheitsverbrechen beschlossen. Dazu der Bundespräsident: "Die EMRK steht in Österreich seit 59 Jahren im Verfassungsrang. An ihr zu rütteln wäre eine Aufkündigung des Grundkonsenses der Zweiten Republik." Auch Kanzler Kurz bezog sich auf die "Gültigkeit der Grund- und Menschenrechte".

Aber fast bedeutsamer für das politische Klima im Lande ist, dass sich sozusagen aus der Zivilgesellschaft eine ganze Reihe qualifizierter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gemeldet haben, die ihr prinzipielles Unbehagen mit dieser Politik der Verachtung der Menschenrechte äußern.

Die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, in der "ZiB 2": "Menschenrechte und diese Konvention sind ein Fundament unseres Rechtsstaates. Wer sie infrage stellt, stellt auch unseren Rechtsstaat infrage." Kickl sage, die Rechte würden missbraucht. "Aber ich sehe die Gefahr nicht im Missbrauch dieser Rechte, sondern darin, dass man den Rechtsstaat angreift." "Sehr viele Kolleginnen und Kollegen" seien über Kickl "sehr empört und eigentlich schockiert".

Es folgten eine Reihe von prominenten Juristen wie etwa Friedrich Forsthuber, Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richtervereinigung. Kickl habe am "Wertegerüst unserer Rechtsordnung" gerüttelt: "Es gibt keine Demokratie light, keine Menschenrechte light. Damit wurde eine rote Linie überschritten." Oder der Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer, Michael Enzinger: Das sei eines Rechtsstaats unwürdig.

Der Grazer Rechtsphilosoph Mathias Klatt nahm Kickls Spruch auseinander, das Recht habe der Politik zu folgen. "Politik schafft das Recht, fertig: So ist es nicht. Das Recht zieht der Politik auch Grenzen. Diesen zweiten Teil unterschlägt der Minister."

Werner Kerschbaum, Generalsekretär Rotes Kreuz, fragt: "Was treibt einen Politiker an, der wiederholt und offensichtlich bewusst menschen- und völkerrechtliche Standards unterläuft?" Ähnlich bürgerliche Zeitungen wie die "Salzburger Nachrichten". Der Chefredakteur der "Kleinen Zeitung", Hubert Patterer, bezieht sich sogar auf einen berühmt-berüchtigten Aufsatz des NS-Rechtsphilosophen Carl Schmitt ("Der Führer schützt das Recht"), wo es heißt: "Wir dürfen uns nicht blindlings an die juristischen Begriffe, Argumente und Präjudizien halten, die ein altes und krankes Zeitalter hervorgebracht hat."

Patterer zieht den Schluss: "Lassen wir einmal den Führer weg, aber im Sound ist das Jetzige vom Damaligen nicht mehr allzu weit entfernt. Das lässt ein Unbehagen in einem hochkriechen."

Es ist ein Unbehagen, das nicht wenige bewusste Bürger angesichts der immer radikaleren und von niemandem wirklich gebremsten Grenzüberschreitungen von Strache, Kickl, Gudenus & Co erfasst. (Hans Rauscher, 25.1.2019)