Der prominente Gelbwesten-Vertreter Jérôme Rodrigues erlitt bei der Demonstration am Samstag eine Augenverletzung.

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Warum ihr Schal rot ist, vermögen sie selbst nicht zu sagen. Links stehen die "foulards rouges" jedenfalls nicht. Sie geben sich eher bürgerlich und wollen die schweigende Mehrheit verkörpern. Vor allem aber haben sie genug von den Gewaltszenen bei den Gelbwesten-Protesten, die in Frankreich seit Wochen über die Bildschirme flimmern. "Stopp, jetzt reicht es!", wetterte ein Ingenieur aus Toulouse namens Laurent Soulié schon im Dezember, als ein paar "gilets jaunes" den Triumphbogen enterten und an dem nationalen Monument erhebliche Verwüstungen anrichteten.

Sein Facebook-Aufruf erhielt im Nu tausendfache Unterstützung. Soulié tat sich mit einem anderen Komitee zusammen, das von einem Bäcker aus der Bretagne angeführt wurde und ebenfalls gegen die Gewaltexzesse mobilisierte. Der Boulanger verlangte, dass keine politischen Parteien mitmachten. Soulié, der nicht verhehlt, dass er 2017 der Plattform "En Marche" beigetreten war und für deren Kandidaten Emmanuel Macron gestimmt hatte, war bereit dazu. Dann erließen die "Rotschals" den Appell, am 27. Jänner in Paris gegen die Gewalt auf die Straße zu gehen. Die Teilnahme von Ministern und Parteienvertretern lehnten sie kategorisch ab.

Rotschals und Blauwesten gegen Gelbwesten.
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Zum "republikanischen Umzug für die Freiheit" kamen am Sonntag aber nicht die Massen. Bloß 7000 dürften es gewesen sein. Doch die Gelbwesten bringen – zumindest in Paris – auch nicht mehr Menschen auf die Straße: 4000 "gilets jaunes" zogen am Samstag zum elften Mal durch die Hauptstadt, weitere 65.000 im übrigen Land. Die Rotschals aber spielen zumindest unfreiwillig einem Präsidenten in die Hand, der längst nicht mehr die schweigende Mehrheit hinter sich weiß.

Immer wieder Verletzte

Zudem sorgte an diesem Samstag nicht die Gewalt der "gilets jaunes" für Aufsehen, sondern ein Polizeieinsatz, bei dem ein prominenter und pazifistischer Gelbwesten-Vertreter eine schwere Augenverletzung davontrug. Jérôme Rodrigues filmte am Bastille-Platz gerade die Samstagsdemo, als ihn entweder ein Gummigeschoß oder ein ähnliches Objekt einer Polizeigranate traf. Im Verlauf der vergangenen Wochen sind schon über zehn Demonstranten an ihren Augen verletzt worden. Innenminister Christophe Castaner hat die CRS-Bereitschaftspolizei angewiesen, nicht mehr auf Höhe des Kopfes und der Genitalien zu zielen.

Nach Rodrigues' Verletzung prangerte die Rechtspopulistin Marine Le Pen die "Verstümmelung von Oppositionellen" an; Linkenchef Jean-Luc Mélenchon verlangte den Rücktritt Castaners. Der zur radikalen Fraktion zählende Gelbwesten-Vertreter Eric Drouet rief zum "beispiellosen Aufstand mit allen Mitteln" auf.

Die Pariser Präfektur ordnete eine interne Untersuchung an. Sicherheitsexperte Guillaume Farde erklärte am Sonntag, es sei mobilen Einheiten mit Schutzschildern fast unmöglich, beim Laufen genau zu zielen. Polizeigewerkschafter gaben zu bedenken, dass am Samstag auch ein CRS-Mann schwer verletzt worden sei, möglicherweise durch den Wurf einer Pétanque-Kugel. (Stefan Brändle aus Paris, 27.1.2019)