"Heutzutage haben ja alle Angst davor, Blut anzufassen", stellt Helen, die spätpubertäre Erzählerin in Charlotte Roches Roman "Feuchtgebiete" fest, nachdem sie ihren "selbstgebauten Tampon (…) blutig und schleimklumpig" in einem Lift im Krankenhaus platziert hat. 

Der gebrauchte Tampon ist wohl die ultimative Illustration der These der bekannten britischen Kulturanthropologin Mary Douglas: "Schmutz verstößt gegen Ordnung", er ist "Materie am falschen Ort". Und es gibt, bis heute, wie die Reaktionen auf die "Feuchtgebiete" 2008 zeigten, wenig Materie, welche die Ordnung noch auf einer prärationalen Ebene so sehr zu stören scheint wie Menstruationsblut.

Menstruierende Frau: Bedrohung der Ordnung

Diese Angst vor Unordnung ist es auch, welche alle Religionen dazu veranlasst (hat), sich mit dem Thema Menstruation in ihren jeweiligen Normen und Riten zu befassen. Menstruation spielt in der zentralen Ordnungskategorie "rein – unrein" gleich doppelt eine wichtige Rolle. Zum einen ist Blut im religiösen Kontext generell "ein ganz besonderer Saft", da es als Träger des Lebens wahrgenommen und dementsprechend sorgsam behandelt wird. Zum anderen rückt Menstruationsblut aber schon körpertopographisch in die Nähe der "unreinen" Ausscheidungen. Und schließlich ist dieses Blut höchst ambivalent, gerade als regelmäßiger Verlust des Lebensträgers, ohne tatsächlich lebensbedrohlich zu sein.

Die menstruierende Frau wird so als eine Überschreitung und damit Bedrohung der Ordnung wahrgenommen, deren Uneindeutigkeit beseitigt werden muss. In den meisten großen Religionssystemen geschieht dies dadurch, dass eine menstruierende Frau für unrein erklärt wird. Diese Unreinheit zieht eine Reihe von Konsequenzen nach sich, die je nach Religion unterschiedlich formuliert sind, in deren Kern aber immer eine Abgrenzung der menstruierenden Frau von ihrer Umwelt und ihrem sonstigen Alltag sowie natürlich vom jeweiligen Heiligen steht.

Verunreinigung der Dinge

Das Alte Testament, in dessen normativen Texten Reinheit und Unreinheit generelle eine zentrale Rolle spielen, erklärt im Buch Levitikus im 15. Kapitel detailliert die aus der Menstruation entstehende Unreinheit und ihren Geltungsbereich: Die Frau selbst ist sieben Tag unrein, "wer sie berührt, ist unrein bis zum Abend". Doch auch alles, womit die Frau in Berührung kommt, worauf sie, wie es wörtlich heißt, liegt, sich setzt, ist unrein und wer wiederum die von ihr "verunreinigten" Dinge berührt, "muss seine Kleider waschen, sich in Wasser baden und ist unrein bis zum Abend".

Noch weitreichender ist die "Verunreinigung" durch Sex mit einer menstruierenden Frau: Ein solcher Mann ist gemäß Levitikus 15, 24 ebenfalls sieben Tage unrein. Der Kontext dieser Ausführungen sind Vorschriften zum Umgang mit "Ausfluss" im allgemeinen, männlichem Samenerguss und eben Menstruation. Dass es sich primär um eine religiöse Ordnung und eben nicht um archaische Hygienepraktiken handelt, wie in älterer wissenschaftlicher Literatur mitunter zu lesen ist, wird nochmals deutlich an der beschriebenen Wiederherstellung des Zustandes der Reinheit: Zwei Tauben werden durch den Priester geopfert, um so "für sie so vor dem HERRN wegen ihres verunreinigenden Ausflusses Versöhnung (zu) erwirken." (Lev 15,30).

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Menstruationsblut nimmt in vielen Religionen eine zentrale Rolle ein: Oft jene der Verunreinigung und des Ausschlusses der Frau.

Christentum: Keine offizielle Lehre des Menstruationstabus

Das Christentum konstruiert seine neue Identität auch durch Abgrenzung vom Judentum, dem sein "Gründer" entstammt, nicht zuletzt durch die bewusste Übertretung jüdischer Reinheitsvorschriften: Eine Frau, die "den Blutfluss seit zwölf Jahren" hat, sprich Zwischenblutungen oder eine sonst wie gestörte Menstruation, und demensprechend den oben dargestellten Gesetzen zufolge seit zwölf Jahren als unrein und de facto unberührbar gilt, berührt das Gewand Jesu. Was diesen eigentlich unrein machen müsste, sieht der Messias sehr entspannt. Er entlässt die angesichts ihrer Gesetzesübertretung zitternde Frau mit den Worten: "Meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage!" (Markus 5,25-34).

Die Kategorien rein und unrein werden im Christentum zumindest in der Theologie in das seelische Innere des Menschen verlegt. Körperliche Reinheit verliert dementsprechend an Bedeutung (durchaus auch im wörtlichen Sinn der Hygieneverweigerung) und die alttestamentlichen Menstruationsvorschriften gelten im Christentum nicht mehr. Theoretisch. In der Praxis finden sich bis in die jüngste Vergangenheit zahlreiche Beispiele von Tabus rund um die Menstruation, welche die menstruierende Frau als unrein ausweisen und ihr den Kontakt mit dem Heiligen untersagen. Offizielle Lehre waren die auch in christlichen Gesellschaften zu findenden Menstruationstabus jedoch nie.

Andere Religionssysteme: Glaubenspraxis nicht erlaubt

Im Islam ist, wie im Judentum, Reinheit beziehungsweise Unreinheit eine zentrale Kategorie, welche die Lebenswelt des Menschen und seine Beziehung zu Gott maßgeblich strukturiert. Die Menstruation ist Sure 2:222 zufolge "ein Leiden" und Männer erhalten die klare Anweisung, sich von Frauen während dieser Zeit fernzuhalten, bis sie wieder rein sind. Verschiedene Auslegungen des Koran verbieten darüber hinaus einer Menstruierenden das Beten, Fasten, Betreten einer Moschee oder die Berührung des Korans.

Auch nicht-monotheistische Religionen wie der Hinduismus (beziehungsweise die religiösen Vorstellungen, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden) und der Buddhismus kennen die Vorstellung von Menstruationsblut als verunreinigend. Im Hinduismus brahmanischer Prägung wird von der Frau verlangt, dass sie sich die ersten drei Tage der Menstruation von ihrer Familie separiert und keinerlei weltliche Tätigkeiten und besonders religiöse Handlungen vollzieht. Wie aktuell dieses Verbot für viele gläubige Hindus noch ist, zeigt ein Beispiel aus Thiruvananthapuram im Süden Indiens: Lange Zeit war es Frauen im gebärfähigen Alter und damit potentiell Menstruierenden verboten, den Tempel dort zu betreten. Erst 2017 wurde dieses Verbot vom Obersten Gericht des Landes aufgehoben, allerdings stieß ein erster Versuch von zwei Frauen auf heftigen Widerstand und hatte ein Reinigungsritual zur Folge.

Ganz ähnliche Verbote gibt es auch in verschiedenen Ausprägungen des Buddhismus. Auch hier ist menstruierenden Frauen der Besuch eines Tempels oft verboten, da dies Verunreinigung bedeuten würde.

Gefahr durch Menstruationsblut

Selbst religiöse Praktiken, in welchen Menstruationsblut eine zentrale Rolle spielt, wie etwa in bestimmten tantrischen Ritualen oder aber in indigenen Kulturen, wie sie die Anthropologen Thomas Buckley und Alma Gottlieb in ihrem Werk "Blood Magic" beschreiben, gehen immer davon aus, dass Menstruationsblut eine extrem gefährdende Qualität innewohnt. Die Verwendung von Menstruationsblut, oft in Form der rituellen Konsumation, bringt eben den Akt extremer Transgression von Reinheitsvorstellungen zum Ausdruck. Die Kategorien rein – unrein werden dadurch nicht negiert, sondern bestätigt – nicht zuletzt, um deren Überschreitung als heroischen spirituellen Akt, der besondere Fähigkeiten nach sich zieht, zu stilisieren. Die "Macht des Unreinen", wie ein Beitrag des Religionswissenschafters Hugh B. Urban über entsprechende Rituale im Sakta Tantra betitelt ist, setzt voraus, dass das verwendete Menstruationsblut unrein ist und eine Gefahr darstellt, der sich nur wenige stellen, wenn sie es, wie von Urban beschrieben, im Rahmen ritueller Handlungen trinken.

Diese überaus starke Tradition von Menstruationsblut als "unrein" und damit "gefährlich" für die Weltordnung quer durch verschiedene Religionssysteme trug und trägt natürlich wesentlich zu einer normierenden Beschränkung von Frauen in diesen Religionen und den Gesellschaften, die von diesen Religionen mitgeprägt werden, bei. Feministische Neuansätze in religiösen Traditionen, die versuchen, Menstruationsblut positiv umzudeuten, bleiben letztlich in einer religiösen Konnotation von "Macht und Gefahr" dieser Körperflüssigkeit verhaftet, ohne diese transzendente Bedeutung grundsätzlich in Frage zu stellen.

Ob die Tabus rund um die Menstruation mit zunehmender Säkularisierung tatsächlich verschwinden, oder sich nur in den Bereich der Hygiene verlagern, darf hier als offene Frage stehen bleiben. Die Aussage von Helen aus den Feuchtgebieten wäre jedenfalls zu ergänzen: "Heutzutage haben ja NOCH IMMER alle Angst davor, Blut anzufassen." (Theresia Heimerl, 9.5.2019)

Literaturhinweise

Hugh B.. Urban, The Power of the Impure. Transgression, Violence and Secrecy in Bengali’s Sakta Tantra and Modern Western Magic, in: Numen, Vol. 50, No. 3, 2003, pp. 269-308.

Melissa Raphael, Menstruation, in: Encyclopedia of Religion, hg. Lindsay Jones, vol. 9, Chicago 2007, pp. 5866-5868. 

Thomas Buckley, Alma Gottlieb (hg.), Blood Magic. The Anthropology of Menstruation, London 1988.

Mary Douglas, Reinheit und Gefährdung, Berlin 1985 (Original "Purity and Danger", London 1966).