Digitalisieren, was digitalisiert werden kann? Ob das alleine das analoge Kinofilmerbe rettet, daran scheiden sich die Geister.

Foto: Heribert Corn

Im Jänner 2016 bekundeten das Filmarchiv Austria und das Österreichische Filmmuseum die Absicht, ihre Filmbestände auch in der digitalen Ära auf langzeitstabilem 35-mm-Film konservatorisch sichern zu wollen. Der damalige Kulturminister Thomas Drozda projektierte ein "Film Preservation Center Austria", das in Laxenburg bei Wien entstehen und eigentlich bereits 2017 seine Arbeit aufnehmen sollte.

Dieses Vorhaben hat damals in Deutschland nicht nur Aufmerksamkeit, sondern vielfach auch Hoffnungen geweckt. Denn während das österreichische Konzept klar zwischen der Erschließung und Zugänglichmachung des Filmerbes mittels Digitalisierung einerseits und der analogen, also physischen Langzeitarchivierung andererseits unterscheidet, muss sich der Erhalt des deutschen Filmerbes einer undifferenzierten Digitalisierungsagenda der Bundesregierung unterordnen. Sicherung und Zugang sollen mit dem gleichen Schritt, nämlich Digitalisierung, erreicht werden.

Kompromiss

Ab Frühjahr sollen daher über einen Zeitraum von zehn Jahren jeweils zehn Millionen Euro für die Filmdigitalisierung aufgewendet werden. Obwohl großspurig mit der "Rettung des Filmerbes" beworben, trägt das Förderkonzept Züge eines Kompromisses, der dem hehren Ziel nicht gerecht werden kann. Am schwersten wiegt dabei die Tatsache, dass die grundsätzlichen Unwägbarkeiten solcher Digitalisierungsprojekte kaum ernstlich diskutiert wurden. Dabei wurde in der Fachöffentlichkeit vielfach auf sie hingewiesen – nicht zuletzt mit dem von der US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences geprägten Schlagwort vom "digital dilemma".

Dieses Dilemma besteht unter anderem in der Flüchtigkeit und Manipulierbarkeit digitaler Daten, im Fehlen langzeitstabiler Speichermaterie und internationaler Standards sowie in der Obsoleszenz von Hard- und Software, die periodische Datenmigration und -umwandlung erforderlich macht. Somit kann die Übertragung physischer Filme, Druckschriften und anderer Kulturartefakte ins Digitale überhaupt nur der erste Schritt eines elektronischen Sicherungsprozesses sein. Vertreter der Archive sprechen hinter vorgehaltener Hand von Schätzungen der Folgekosten, die weit über den angekündigten Finanzierungsrahmen hinausreichen.

Erfolg für IT-Lobbyisten

Zweifel an der Ernsthaftigkeit des zur "Jahrhundertaufgabe" erklärten Projektes weckt nicht nur das knappe Budget, das wohl die Auswahl einiger Leuchtturmtitel, aber keinesfalls die Digitalisierung des immensen Überhangs vor allem nichtfiktionaler Filme, Wochenschauen, zeitgeschichtlicher Filmdokumente erlaubt. Auch die Vermischung konservatorischer und kommerzieller Interessen hat einen schalen Beigeschmack: Denn die wertvollen Filme sind ja nun keineswegs die, mit denen man heute noch Einnahmen erzielen kann.

Vor diesem Hintergrund wird die Filmerbestrategie der deutschen Bundesregierung als das erkennbar, was sie ist, nämlich als Erfolg jener IT-Lobbyisten und Blender, die vor arglosem Publikum einen USB-Stick schwenken und verheißen, in Bälde die gesamten Bestände des Bundesfilmarchivs darauf speichern zu können.

All dies wäre noch als irregeleitetes Prestigeprojekt der Kulturstaatsministerin Monika Grütters zu verschmerzen, brächen nicht gleichzeitig die photochemischen Kapazitäten und Strukturen zusammen, die in den zurückliegenden Jahrzehnten die konservatorische Sicherung von Film auf Film gewährleisteten.

Kopieranstalt vor Schließung

Bestes Beispiel hierfür ist die unmittelbar bevorstehende Schließung der bundeseigenen Kopieranstalt in Berlin-Hoppegarten, für deren Fortbestand sich Medienpolitiker der Linken, Grünen und der Alternative für Deutschland erfolglos eingesetzt haben. Ein einstweiliger Weiterbetrieb könnte, wenn die Bun- desregierung doch noch handelte, mit einem Jahresbudget von 300.000 Euro ermöglicht werden. Zurzeit werden mit noch vorhandenem Rohfilm und Chemikalien die letzten Kopieraufträge abgearbeitet: Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm "Triumph des Willens" und "Die Todesmühlen" (USA 1945), dokumentarisches Material aus deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagern. Wenn Hoppegarten anschließend den Betrieb einstellt, verbleibt als letztes (kleines) Kopierwerk in Deutschland nur noch die Berliner Andec-Film.

Eines der Hauptargumente, die zugunsten der Schließung vorgebracht wurden, war übrigens die Unsicherheit, inwieweit künftig überhaupt noch Rohfilm zur Verfügung stehen werde. Dies erscheint beinahe ironisch in Anbetracht der Tatsache, dass die deutsche Firma Orwo-Filmotec neben Kodak eines der beiden weltweit letzten Unternehmen weltweit ist, die noch Rohfilm herstellen. Sie beliefert Filmarchive rund um den Globus sowie jene Spitzenregisseure Hollywoods, die Analogfilm dem Digitalen vorziehen. Dieses eigene Alleinstellungsmerkmal in Europa hat die deutsche Bundesregierung bislang geflissentlich ignoriert.

Da Orwo-Filmotec bereits das Filmarchiv Austria belieferte, dürfte sehr wahrscheinlich auch das "Film Preservation Center" zu ihren Kunden gehören – wenn es denn wirklich an den Start gehen sollte. Die "Digitalisten" spekulieren bereits darüber, ob und wann die ÖVP-FPÖ-Regierung das Projekt fallenlässt. Das Büro des zuständigen Bundesministers Gernot Blümel bekräftigte jedoch im Dezember, dass am "Film Preservation Center" wie auch an der analogen Sicherung festgehalten wird. Aktuell würden sowohl Konzept als auch Kostenschätzung aktualisiert. Man kann nur hoffen, dass sich diese Schritte zügig konkretisieren.

Kein Nostalgieprojekt

Für die Zukunft des Analogfilms in Europa dürfte Österreich eine bedeutende, wenn nicht ausschlaggebende Rolle spielen. Es geht hierbei um wesentlich mehr als nostalgische Filmbetrachtung über ratternde Projektoren; es geht um die Frage der Wissensspeicherung und darum, inwieweit wir unser Gedächtnis und die Fähigkeit zur kollektiven Selbstvergewisserung vom Digitalen abhängig machen wollen. Man darf daher auch in Deutschland gespannt sein, welche Taten die Österreicher ihrer Ankündigung folgen lassen. (Dirk Alt, 29.1.2019)