Lake Minnewanka ist nur eine kurze Autofahrt von Banff entfernt und liegt mitten im Nationalpark.

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Auch so manches Wolfsrudel kann in freier Wildbahn beobachtet werden.

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Pumas lauern in den kanadischen Rocky Mountains hinter vielen Bäumen. Zu sehen bekommt man die scheuen Tiere aber nur selten.

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Laura Rance hält die Antenne ihres Empfangsgeräts noch ein wenig höher, doch es ertönt kein Signalton. Es ist früh am Morgen in den kanadischen Rocky Mountains, im Banff-Nationalpark im Westen der Provinz Alberta herrscht eine unheimliche Stille. "Sie können nicht weit sein", sagt die Parkrangerin. Erst vor wenigen Tagen wurde hier in der Gegend ein Wolfsrudel gesehen. Eines der Tiere trägt ein Funkhalsband, Rance kann es mit ihrem Ortungsgerät noch aus großer Entfernung wahrnehmen. Im Winter kommen die Wölfe dem Städtchen Banff aber ohnehin oft sehr nahe.

Der Banff-Nationalpark ist der älteste und meistbesuchte Nationalpark Kanadas. Mehr als vier Millionen Touristen besuchten ihn im Jahr 2018. Im Hochsommer herrscht selbst auf entlegenen Wanderwegen Hochbetrieb, im Winter bevölkern unzählige Gäste die Abfahrtspisten. Die Skigebiete von Lake Louise oder von Sunshine Village sind von November bis Mai geöffnet. Die meiste Zeit davon ist Après-Ski statt stiller Winterzauber angesagt.

Negative Schlagzeilen

"Mit der Anzahl der Besucher steigt auch das mögliche Konfliktpotential mit Wildtieren", sagt Saundi Norris. Die Biologin ist im Nationalpark zuständig für das Zusammenleben von Mensch und Tier. Meistens klappt das reibungslos, doch gerade im Winter, wenn Eis und Schnee die Wildtiere auf der Suche nach Nahrung in die Nähe von Siedlungen zwingen, kommt es gelegentlich zu Begegnungen. Ein Vorfall wie jener von 2001, als ein Puma eine Langläuferin tötete, gilt als aber absoluter Ausnahmefall. "Wir haben Jahr für Jahr hunderte positive Begegnungen mit Wildtieren", sagt Norris, "aber diejenigen, die es in die Schlagzeilen schaffen, sind immer nur die negativen." In den letzten hundert Jahren gab es nach offiziellen Angaben nur 25 tödliche Puma-Angriffe in ganz Nordamerika.

Rund um Banff führen die Wildkorridore oft nicht weit von Supermärkten, Schulen und Kindergärten vorbei. Panisch wird beim Auftauchen von Wölfen und Pumas aber niemand. Die Fährten werden im Winter von Norris’ Mitarbeitern gezählt und ausgewertet. "Manchmal sind wir auch im Hinterland des Nationalparks unterwegs und zeichnen dort die Spuren auf", sagt Norris.

Schilder für Einsame

Anders als auf den Abfahrtspisten der drei Skigebiete, die im Banff-Nationalparks liegen, herrscht auf den Langlaufloipen kaum Andrang. Und wer auf ihnen den Winterwald erkundet, stößt tatsächlich immer wieder auf Fährten von Wölfen, Pumas und Luchsen. Nur Bärenspuren sucht man vergeblich. Die Grizzlys und Schwarzbären halten in der kalten Jahreszeit Winterruhe. Je weiter man ins Innere Parks vorstößt, desto dichter rückt der verschneite Zauberwald an die Loipen heran. Und umso höher ist natürlich die Wahrscheinlichkeit, wilde Tiere zu sehen.

Auf dem Bryant Creek Trail im Spray Valley umgibt Langläufer schneeflockenumsäuselte Stille und absolute Einsamkeit. Denn auf der Loipe durch dieses Tal, gut eineinhalb Stunden südlich von Banff, trifft man nur selten Gleichgesinnte, am Pistenrand stehen einsame Schilder und warnen vor Bären. Im Sommer sollten sich Wanderer tatsächlich in Acht nehmen, doch im Winter kann man die Hinweise getrost ignorieren. Bestenfalls wird einem ein Kojote oder ein Elch begegnen.

In die Waldeinsamkeit

Von weitem ist das leise Glucksen von Tannenhühnern zu vernehmen, sonst nur das gleichmäßige Knirschen der Skier. Eine einsame Büffelkopfente zieht im eisfreien Bryant Creek ihre Kreise, aus den Baumwipfeln am Ufer des Baches grüßt ein Schwarm Seidenschwänze. Wie die Ente sind die Singvögel mit der spitzen Federhaube nur Gäste in Alberta. Im Frühjahr kehren sie zum Brüten in die Taiga zurück. Das dunkle Wasser des Bryant Creek plätschert fast lautlos an filigranen Schneeinseln vorbei und dem alles überragenden Cone Mountain entgegen. Der herrschaftliche Berg wirkt von der Loipe aus wie eine Pyramide, an der ein mächtiger Grizzly seine Pranken gewetzt hat.

Danach führt die Loipe immer weiter in die Waldeinsamkeit bis zum feierlich daliegenden Watridge Lake. Sein im Sommer türkisblaues Wasser hat sich in eine blendend weiße Fläche aus Eis und Schnee verwandelt. Noch eindrücklicher ist die Atmosphäre am nächsten See im Tal, dem Marvel Lake. Unmittelbar neben diesem langgezogenen Gewässer steht der Mount Assiniboine als stiller Wächter, dessen Silhouette ein wenig ans Matterhorn erinnert.

Kette aus Dreitausendern

Irgendwann verliert sich die Loipe schließlich im Neuschnee, wer weiter will, muss sich seinen Weg durch die Wildnis erst bahnen. Wer von der Abgeschiedenheit dann noch immer nicht genug hat, kann eine Nacht in der Schutzhütte von Bryant Creek verbringen oder sich über den Wonder-Pass nach British Columbia durchschlagen. Alle Anderen bleiben am besten in der gemütlichen Mount Engadine Lodge, wo ein Kaminfeuer wärmt und die Küche wie die Aussicht fürstlich sind: Von der Terrasse überblickt man das gesamte Gebirgstal mit einer Kette aus Dreitausendern.

"Fast jede Nacht haben wir Elche zu Besuch", verrät Lodge-Mitarbeiter Nick Kostiuk. "Im Herbst konnten wir auch ein Rudel Wölfe beobachten, das mit einem Grizzly um die Beute kämpfte." Angst vor Wölfen hat der 25-Jährige dennoch nicht. "Vor einem ausgewachsenen Elch habe ich sehr viel mehr Respekt."

Wenn in der Nacht dann das Heulen der Wölfe von den Berghängen um die Lodge zu vernehmen ist, kriecht ein Schauer unter die wohlig warme Bettdecke. Und das Knacken, das gleich vor den Fenstern zu vernehmen ist: Stammt es von einem kapitalen Elch? In der Früh werden es die Spuren im Schnee verraten. Tröstlich jedenfalls, dass die Grizzlys gerade ihren Winterschlaf halten. (Win Schumacher, RONDO, 10.2.2019)