Die Beine müssen unter dem Stab durch: Mit dieser Übung wird die Koordinationsfähigkeit analysiert.

Foto: Wolfgang Leitl

Beim Fahnenspiel nehmen sich die Kinder gegenseitig bunte Bänder weg, die am Rücken befestigt sind. Dafür ist taktisches Gespür und Schnelligkeit notwendig.

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Beim Weitsprung wird die motorische Explosivität eines Kindes gemessen. Man braucht sie zum Beispiel beim Fußballspielen.

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Das Quietschen von Turnschuhen, Gelächter und Musik dringen aus dem großen Turnsaal der Wiener Schmelz. Der Song Teenage Dirtbag stimmt 20 Kinder und deren Eltern auf einen Nachmittag mit Sportanalytikern ein, die am Ende die passende Sportart für jedes Kind verraten sollen. Viele der versammelten Kinder haben einen großen Bewegungsdrang und vertreiben sich die Zeit, bis es losgeht, mit Fangenspielen und Kennenlernen: "Bist du eine Tomate?" – alle lachen, und das Eis ist gebrochen.

Währenddessen unterhalten sich die Eltern über ihre Sprösslinge. Der siebenjährige Moritz geht gerne freiwillig mit seinen Eltern laufen und spielt regelmäßig Tennis. "Klar, er macht das, was wir ihm vorleben", sagen seine Eltern, die herausfinden wollen, ob er sich auch für Teamsport eignet. Der sechsjährige Anton klettert gern und liebt Fußball. Seine Mutter will wissen, ob sie künftig ihre Wochenenden anfeuernd auf Fußballplätzen verbringen wird. Insgeheim hofft sie ein klein wenig, dass es doch das Klettern wird. Es wäre eine willkommene Gelegenheit, ihre eigenen Kletterkenntnisse wieder aufzufrischen.

An neun Stationen probieren die Fünf- bis Elfjährigen aus, was sie gut können und was weniger. Anders als bei anderen Programmen wie den Sports Monkeys, bei denen alle paar Wochen eine andere Sportart auf dem Programm steht, geht es bei der Sportanalytik darum, die individuellen Kompetenzen zu testen.

Talente entdecken

Analysiert werden die wichtigsten körperlichen Fähigkeiten wie Kraft, Ausdauer, Geschwindigkeit, Koordination und Beweglichkeit. An allen Stationen werden objektiv Daten erhoben und per Computer ausgewertet. Die Wurfweite beim Basketball sagt etwa etwas über die Kraft aus. Eine Ausnahme ist das Fahnenspiel: Die Trainer beurteilen es subjektiv, weil die Kinder sich taktisch bunte Fahnen wegnehmen.

Anhand der Ergebnisse bekommen die Kinder später eine Empfehlung für fünf Sportarten. Am Ende wird sich zeigen, ob Moritz tatsächlich ein Läufer und Anton ein Fußballer ist. Gleich zu Beginn heißt es beim 30-Meter-Sprint: "Auf die Plätze fertig los!" Trainerin Anna Steinbichler lässt den Test wie ein Wettrennen aussehen und läuft neben jedem Kind her. Die sechsjährige Leni sprintet los. "Hopp, hopp, hopp!", feuert ihre Mutter sie an und meint schmunzelnd: "Unsere Tochter ist sehr aktiv. Mit drei hat sie gefragt, warum wir nicht einen Turnsaal in die Wohnung bauen." Die Stoppuhr bleibt bei 5,9 Sekunden stehen. Leni weiß, dass sie schnell war und strahlt, von der Trainerin gibt es ein High Five.

Freude an Bewegung

Auch die anderen Eltern auf der Zuschauertribüne fiebern mit. "Ich muss gleich posten, dass mein Sohn in Führung liegt", sagt ein Vater. Ist nicht ernst gemeint, aber ein bisschen doch. Die Veranstalter betonen, dass Sportanalytik keine Spitzensportlersuche ist. "Jedes Kind kann eine Sportart gut. Nur manchmal ist es eine, an die man nicht sofort denkt, wie Floorball oder Fechten", erklärt Harald Steinbichler, einer der Sportanalytik-Gründer in Österreich. Er kennt das Problem vieler Eltern, die auf der Suche nach der passenden Sportart unterschiedlichstes Zubehör anschaffen, das nach kurzer Zeit wieder in der Ecke landet. "Merken Kinder, dass sie in einer Sportart nicht besonders gut sind, verlieren sie den Spaß daran", so der Vater von drei Kindern. Die Sportanalytik will dem entgegenwirken und Freude an der Bewegung vermitteln.

Überraschungen vorbehalten

Die drei Stunden sind schnell um, alle Kinder haben vollen Einsatz gezeigt. Sie sind einander hinterhergejagt, mit geschlossenen Augen auf einem Bein gestanden und haben akrobatische Stabübungen gemacht. Richtig ausgepowert hat sie aber der 500-Meter-Lauf. Sogar die Aufgewecktesten strecken nach der Ausdauerrunde die Beine aus. "Bin ich froh, dass ich nicht die lange Hose angezogen habe", meint Karl, dem man anmerkt, wie heiß ihm ist. Auch Adrijan, der laut seinen Eltern viel überschüssige Energie hat, braucht jetzt dringend Kohlenhydrate: "Kann ich eine Schnitte haben?"

Nach dem Dehnen bekommen die Kinder ihre Auswertungen. Die einzelnen Ergebnisse werden mit 400.000 Daten des weltweiten Projekts, das sich an Fünf- bis 16-Jährige wendet, verglichen. Zum ersten Mal wurde es 2010 bei den Olympischen Spielen in Vancouver vorgestellt und von der Karls-Universität in Prag weiterentwickelt. Nach Österreich gebracht hat es der Tscheche Jakub Hajnik.

Judo statt Basketball

Die Analysen sorgen manchmal für Überraschungen: "Es kommt vor, dass ein Kind unverhofft perfekt für Kugelstoßen ist oder ein begeisterter kleiner Basketballer für Judo", so eine Trainerin. Doch Moritz' Vater, der gern mit seinem Sohn laufen geht, wirkt erleichtert: Leichtathletik ist die erste Empfehlung. "Passt!", meint er. Und Anton? Er präsentiert stolz den Gepard auf seiner Medaille, der Schnelligkeit und Taktik symbolisiert. Seine Empfehlung: 100 Prozent Fußball, gefolgt von Badminton und Floorball. "War eh klar, Mama", grinst er und sprintet noch einmal durch die Halle. (Marietta Adenberger, 3.2.2019)