Es klingt ja so gut. Und Bildungsminister Heinz Faßmann macht den Eindruck, als könne er Kritik und Aufregung gar nicht verstehen: Noten in der Volksschule? Die Kinder wollen das doch, weil sie sich gerne mit anderen messen! Leistungstests für Schüler in der 3. und 7. Schulstufe, um deren Gymnasialreife zu überprüfen? Da werde auf die Talente der Kinder geschaut, nicht auf ihre Defizite. Am Ende sind alle glücklicher: die Kinder, weil sie in der für sie passenden Schule landen; die Eltern, weil sie eine bessere Orientierung über die Talente ihrer Kinder bekommen; und die Lehrer und Lehrerinnen, weil ihnen die Eltern nicht mehr wegen guter Noten im Nacken sitzen.

So stellt Faßmann, so stellt die gesamte Regierung gerne die türkis-blaue Bildungspolitik dar. Ob das bei den rund 450.000 Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern aus Ostösterreich, die jetzt ihre Semesterzeugnisse bekommen haben, auch so ankommt, ist fraglich. Denn man kann den türkis-blauen Zugang zu Kindern auch ganz anders sehen: als altmodisch, streng, fordernd statt fördernd. Das Schulsystem an sich wird dabei nicht hinterfragt – es sind die Kinder, die auf dem Prüfstand stehen. Sie müssen "entsprechen", werden beurteilt, bewertet, eingeteilt.

Es ist dies ein kühler, distanzierter Zugang zum größten Schatz des Landes, der Generation der Zukunft. Er äußert sich auch in anderen Maßnahmen der Regierung: sei es die Indexierung der Familienbeihilfe oder die Kürzung der Mindestsicherung für das dritte Kind. Es geht ums Geld, es geht um Kosten und Nutzen – und darum, dass "die Besten" auch das Beste, im schulischen Fall die Ausbildung an der AHS, bekommen.

Individuelle Förderung

Dabei wird aber ausgeblendet, dass "die Besten" dies vielleicht vor allem in Hinblick darauf sind, wie geschmeidig sie das Schulsystem durchlaufen. Und es wird auch ausgeblendet, dass auch jene, die dies nicht so gut draufhaben, möglicherweise Talente haben, die brachliegen werden. Nicht die Kinder sollten sich noch mehr anstrengen müssen, die Schulen sollten es (dürfen). Mehr Geld, mehr Autonomie, mehr Personal für individuelle Förderung in jeder Schule, in jeder Schulstufe – darauf sollten sich die Anstrengungen der Regierung konzentrieren. Sie, die so viel auf Leistung hält, hätte schon längst etwas gegen den akuten Geldmangel an steirischen AHS unternehmen müssen. Dass es immer noch viele Gymnasien gibt, an denen Unterricht wie vor 30 Jahren funktioniert, müsste ein weiterer dringlicher Reformpunkt auf der Regierungsagenda sein. Und dass speziell in Wien, auf Geheiß der Bundesregierung, eher weniger denn mehr Taferlklasslern sonderpädagogischer Förderbedarf zugesprochen wird, spricht auch nicht für einen zugewandten, offenen Zugang zu Kindern, die in ihrer Entwicklung aus der Norm fallen.

Aus der Norm fallen häufig auch jene Kinder, die einen schlechten Start ins Leben hatten. Für Kinder aus kaputten Herkunftsfamilien ist es überlebenswichtig, dass es Menschen gibt, die im Krisenfall für sie da sind – Krisenpflegeeltern. Es ist der schwerste Job der Welt. Und er wird, nach dem Willen der Regierung, künftig erst nach drei Monaten bezahlt. Es gibt nicht viele Krisenpflegeeltern in Österreich. Es kann der Regierung also nicht ums Geld gehen. Es geht ihr ums Prinzip. Die Frage ist, um welches: Dass das Kindeswohl über alles zu gehen hat, ist es mit Sicherheit nicht. (Petra Stuiber, 1.2.2019)