Antiregierungsprotest bei einer Donnerstagsdemo in Wien

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Elfriede Jelinek ergreift immer wieder gegen Schwarz-Blau das Wort: Oft legt sie ihre Sätze auch der von Nikolaus Habjan gestalteten Jelinek-Puppe in den Mund.

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Protestforscherin Allyson Fiddler

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Wien – Donnerstagsdemos, offene Briefe und Bündnisse gegen rechts im Kulturbereich: Sind das nicht alte Mittel des Protests gegen eine neue Regierung? Die britische Protestforscherin Allyson Fiddler hat die Bewegung im Kunst- und Kulturbereich gegen die erste schwarz-blaue Regierung in einem Buch analysiert (The Art of Resistance, Berghahn-Verlag). Im Interview erklärt sie, warum es heute schwieriger geworden ist, Widerstand zu artikulieren.

STANDARD: Gibt es so etwas wie eine spezifisch österreichische Protestkultur?

Fiddler: In Österreich finden wir eine sprachliche Verspieltheit, die im Vergleich zu Deutschland viel ausgeprägter ist und auch in der Kunst wiederzufinden ist. Sehen wir uns Elfriede Jelinek an: Sie nimmt Aussagen von Politikern und lässt das Material, durchfädelt mit vielen anderen Stimmen, für sich sprechen. So wird die Absurdität der Aussagen klar.

DER STANDARD hat Demonstranten auf der Donnerstagsdemo nach ihren Beweggründen gefragt.
DER STANDARD

STANDARD: Eine Besonderheit der Proteste gegen die erste schwarz-blaue Regierung waren die wöchentlichen Donnerstagsdemos. Ist es nicht fantasielos, dasselbe heute noch einmal zu probieren?

Fiddler: Im Gegenteil, ich finde es schlau, auf ein etabliertes Label zurückzugreifen. Die damalige Protestbewegung war rekordverdächtig: Sechs Jahre lang wurde jede Woche demonstriert. Die Ausgestaltung der heutigen Demonstrationen ist ja durchaus anders: Sie sind angemeldet und thematisch geplant.

STANDARD: Kritiker sind der Meinung, dass die Demonstrationen schon damals kaum etwas bewirkt haben. Warum soll man es also noch einmal mit derselben Protestform versuchen?

Fiddler: Bei Protesten kann man nicht nach dem einen roten Faden suchen, der vom Ereignis direkt zum Ergebnis führt. Nur weil Trump jetzt Präsident ist, hinterfragen wir auch nicht die Anliegen von Martin Luther King. Unter Schwarz-Blau I war es wichtig, für Menschen, die mit der FPÖ-Regierungsbeteiligung unzufrieden waren, einen gemeinsamen Ort zu schaffen. Einerseits auf der Straße: Trotz Social-Media-Aktivismus sollte man die Bedeutung von einem physischen Zusammenkommen nicht unterschätzen. Andererseits bot der Begriff des Widerstands einen geistigen Treffpunkt, vor allem im künstlerischen Bereich.

STANDARD: Was war aus Sicht der Kunst und Kultur die Besonderheit an den damaligen Protesten?

Fiddler: Einzigartig war die Mobilisierung unterschiedlichster Menschen: Es waren nicht nur Linke, die auf der Straße standen. Es waren auch nicht nur professionelle Künstler, die ihrer Empörung künstlerischen Ausdruck verliehen. Das beste Beispiel sind die Widerstandslesungen auf dem Ballhausplatz, organisiert von El Awadalla und Traude Korosa. Neben bekannten Autoren lasen dort spontan auch Unbekannte. Im Jahr 2000 hat die Diagonale diese Aufbruchsstimmung innerhalb der gesamten Kunst- und Kulturszene mit dem Motto "Die Kunst der Stunde ist Widerstand" treffend zusammengefasst.

STANDARD: Welche Kunstsparten traten besonders hervor?

Fiddler: Es gibt einige Kunstformen, die sich besser für spontanen Widerstand eignen als andere. Der Roman ist ja naturgemäß eine träge Angelegenheit. Film, Musik oder Theater können viel schneller auf aktuelle Ereignisse reagieren. Ganz zu schweigen von der Alltagskultur: Protestierende haben damals Schlüssel in der Luft geschwenkt gegen Kanzler Schüssel: War das Kunst oder Protest?

STANDARD: Merkt man vom damaligen Elan heute noch etwas?

Fiddler: Erinnern wir uns an den Protestsongcontest. Seit 2004 wird die Veranstaltung live im Radio übertragen, seit 2015 sogar auf ORF III ausgestrahlt. Oder das Kabarett-Trio Maschek: Sie sind zur Zeit der schwarz-blauen Regierung großgeworden, heute bilden sie einen fixen Bestandteil der österreichischen Kulturszene. Wenn wir davon reden, dass der ORF unter Beschuss steht, betrifft das auch diese kritischen Kunstprogramme.

STANDARD: Gibt es künstlerische Strategien, die sich für Protest besonders eignen?

Fiddler: Damals wurde viel mit Infantilisierung gearbeitet. Martin Reinharts und Katarina Matiaseks Kurzfilm Pinocchio funktioniert wie ein Daumenkino, auf dem man die teilweise beschmierten Wahlplakate von Jörg Haider sieht. Da wächst Haider plötzlich eine lange Pinocchio-Nase – einmal mit und einmal ohne Hitler-Bart. Oder das Bilderbuch für Kinder und Erwachsene: Jörgi, der Drachentöter von Gerhard Haderer und Leo Lukas. Wahnsinnig schlau!

STANDARD: Könnte man mit denselben Strategien auch heute arbeiten?

Fiddler: Ja natürlich, Sebastian Kurz wird bereits infantilisiert und als Klassensprecher dargestellt, zum Beispiel in Michael Ziegelwagners satirischem Roman Sebastian – Ferien im Kanzleramt. Jelinek hat ihr Stück Das Lebewohl, das 2000 auf einer Donnerstagsdemo aufgeführt wurde, 2016 umgeschrieben. In diesem neuen Dramolett, Das Kommen, spielt sie auf Norbert Hofer an. Die Gewohnheit vieler FPÖ-Politiker, bei offiziellen Anlässen die Kornblume zu tragen, wird auf Jelineks Homepage auch mitimpliziert. Es gibt ja viel künstlerischen Protest, nur ist dieser verstreut und teilweise international orientiert.

STANDARD: Kunst ist oft nur an ein elitäres Publikum gerichtet ...

Fiddler: Die Stärke von Kunst ist, dass sie Menschen zum Nachdenken bringen kann. Sie ist ein fiktiver Ort, um Sachen gemeinsam anders zu verstehen als zum Beispiel durch politische Reden auf einer Demonstration. Das war natürlich die Stärke von Schlingensiefs Container. Schlingensiefs Intervention hat perplex gemacht, weil sie die herkömmlichen Denkmuster verschwimmen lassen hat: Wer sind die Protestierenden, und wer ist die Öffentlichkeit? Dieser Moment hat einen Raum ermöglicht, in dem die Verwirrung produktiv wurde, weil er eine breite, spartenübergreifende Diskussion auslöste.

STANDARD: Aber Schlingensiefs Container würde heute kaum noch funktionieren ...

Fiddler: Dasselbe funktioniert nie ein zweites Mal. Es gibt aber genug Leute in Österreich, die gute Ideen haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Container von Schlingensief ein Auftragswerk der Wiener Festwochen war. Die wichtigere Frage ist: Wer würde heute so etwas finanzieren? Von der neuen Intendanz der Festwochen können wir nur hoffen, dass wieder etwas kommt, das Leute aufwühlt und ins Gespräch bringt. (Laurin Lorenz, 4.2.2019)