Wien ist eine richtig leiwande Stadt. Es gibt Jobs, derzeit übrigens so viele wie noch nie in der jüngeren Geschichte der Stadt. Wohnen ist trotz der massiven Preissteigerungen im privaten Sektor noch immer halbwegs günstig – sofern man als Vergleichswert nicht Güssing oder Wulkaprodersdorf, sondern andere Millionenmetropolen wie Barcelona oder München heranzieht. Es gibt ein öffentliches Verkehrsnetz, das auch international beeindruckt und für Bürger der Stadt um einen Euro pro Tag genützt werden kann. Und die kostenlosen Freizeitmöglichkeiten in der größten deutschsprachigen Uni-Stadt sind herausragend.

Wien ist sicher nicht der Sündenpfuhl Österreichs. So will die türkis-blaue Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache die Bundeshauptstadt in der öffentlichen Wahrnehmung positionieren. Wien ist ganz sicher aber auch nicht ohne Fehl und Tadel, wie Bürgermeister Michael Ludwig weiszumachen versucht: Zuletzt musste die gesamte SPÖ-Stadtregierungsriege ausrücken und die Attacken der Bundesregierung auf Wien mit viel Eigenlob verteidigen. Die Kritikpunkte von ÖVP und FPÖ, die insbesondere die hohen Sozialleistungen an "die Ausländer" und Sprachprobleme an den Schulen anprangern, wurden nicht einmal gestreift.

Ludwig ist vor einem Jahr siegreich aus der Kampfabstimmung gegen Andreas Schieder um den Bürgermeistersessel hervorgegangen. Das interessiert in der kommenden Wahlauseinandersetzung um Wien aber genauso wenig wie zu viele Verweise auf bereits erbrachte Leistungen – also auf das, was schon funktioniert. Gewählt soll erst im Herbst 2020 werden, genau genommen läuft der Wahlkampf längst.

Scharmützel zwischen Bund und Wien

Der neue Stadtchef hat bislang eine Vision vermissen lassen, wie Wien noch leiwander werden soll. Und das bedingt auch das Angreifen problematischer Entwicklungen, die es in der Stadt gibt. Zwar sank die Zahl der Mindestsicherungsbezieher wieder deutlich. Nichtösterreichische Empfänger werden dennoch mehr, sie machen mehr als die Hälfte aller Bezieher aus. Hier muss Wien stärkere Anreize bieten, vor allem junge Asylberechtigte schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Vielleicht hat hier auch der Bund gute Ideen. Ludwig kann dennoch authentisch bleiben und weiterhin gegen Kürzungen bei Familien auftreten.

Andererseits muss Ludwig mit Nachdruck darauf hinweisen, dass das Problem von Bildungsdefiziten und Gewalt vor allem bei Kindern in Brennpunktschulen durch die Regierung Kurz verschlimmert wird, wenn nicht genügend Personal zur Verfügung gestellt wird.

All die Scharmützel zwischen Bund und Wien haben auch einen anderen Hintergrund: Kurz will mit der ÖVP wieder Relevanz in Wien erreichen – und die Partei mit seinem Adjutanten Gernot Blümel wieder in der Stadtregierung sehen. Diese Koalitionsvariante ist realistisch, sofern die Stadtpartei ihren historischen Tiefststand von neun Prozent deutlich hinter sich lassen kann.

Derzeit verfolgt Kurz aber nur die Taktik, Wien zu torpedieren und mit der FPÖ schlechtzureden. Andere aus der ÖVP tun das Gegenteil: Wirtschaftskammerchef Walter Ruck sendet wohlwollende Signale an die rote Bastion. Wien sei eine "wunderbare Stadt", sagte er. "Ich möchte in keiner anderen leben." Spitzenkandidat Blümel muss sich da noch entscheiden. (David Krutzler, 3.2.2019)